Drittfahrradverkauf (5.1.21)

Der Trend geht ja aktuell zum Drittfahrrad. Nach wie vor bin ich weit davon entfernt mir ein E-Bike zu kaufen, weil ich es täglich irgendwelche Bahnhofstreppen rauf- und runtertragen müsste, und so ein E-Bike wiegt gut und gerne mal 25 Kilo. Außerdem habe ich keine Lust, so viel Geld durch die Gegend zu fahren. Naja, darum soll es hier nicht gehen.

Vor einigen Wochen habe ich gebraucht von einer Freundin ein ganz tolles (ja, ich gebe es zu) Gravelbike gekauft. Zu deutsch: Schotter-Rennrad. Böse Zungen mögen ja behaupten, dass es deshalb Schotterfahrrad heißt, weil man viel Schotter braucht um es zu kaufen. Ich für meinen Teil habe es sehr billig bekommen und habe dann auch noch selbst einen Gepäckträger drangebaut, stolzer kann man gar  nicht sein! Auf der Arbeit habe ich neulich Ärger bekommen, weil ich es mit reingenommen habe. Aber echte Yuppies - young, urban professionals - machen das so. Also, jedenfalls musste ich dann das Mountainbike, das ich mir vor zwei Jahren in meiner Downhill-phase gekauft hatte, wieder loswerden, weil ich zugegebenermaßen nicht mehr damit gefahren bin. (Einige erinnern sich möglichweise an meinen begeisterten Dowhill-Artikel). Meine Hobbies sind teils etwas kurzlebig. 

Was tat ich also? Ich stellte das gute Stück für 150 Euro Festpreis bei der gängigsten Kleinanzeigen Website ein. Den Preis hatte mir mein Nachbar ausgemacht. Anfragen die ich bekam, waren folgende: "Für 100 würde ich es abholen kommen!" Ich: "150. FESTPREIS!" Ich bin eine eiskalte Geschäftsfrau. Weitere Anfragen lauteten (hier die ungefähre Wiedergabe) "Ist noch da?" "Kann man kommen?" "Wie gros?" etc. Da hatte ich keine Lust drauf zu antworten. 

Dann kam eine Nachricht von P. Er schrieb: "Hallo, das Fahrrad gefällt mir! Ich suche so nach meiner Frau. Wir kommen aus Bremen. Liebe Grüße, P." Ich war etwas verwirrt - wie sollte er denn in der Stadt meiner Eltern, in welcher ich das Fahrrad zwischengelagert hatte, seine Frau finden? Und wieso wurde ich da in die Verantwortung gezogen? Ich schrieb ihm zurück, weshalb er denn aus Bremen ins Ruhrgebiet kommen wolle, er würde sicherlich doch auch bei sich in der Nähe eines finden? Darauf bekam ich noch einmal die Nachricht, dass er gerade so nach seiner Frau suche und sie aus Bremen kämen. Da ich danach nichts mehr hörte, wurde ich skeptisch. Ich hatte ihm die Adresse geschickt und fuhr zum vereinbarten Termin zu meinen Eltern, schließlich wusste nun eine mir nicht bekannte Person, dass dort ein Rad stand (besser gesagt, nicht nur eins). Mein Kopfkino wurde immer intensiver: Was, wenn es sich um eine organisierte Gruppe handelte? Was, wenn meine Eltern nicht zuhause wären und man mich überwältigen würde, und dann den sämtlichen Fahrradbestand einsacken? Ich stellte mein Rennrad, mit dem ich angekommen war, vorsorglich ins Wohnzimmer an die (weiße) Wand und machte die Haustür zu, dann wartete ich. Und schließlich klopfte es an die Terassentür (die meisten Menschen wissen  nicht, wie man bei uns die Haustür findet). P. und Frau nebst Hund standen draußen. Er suchte sie also gar nicht, vielmehr hatte er sie schon gefunden! Was für ein Glück. Mit dem Fahrrad waren sie überglücklich, auch der Hund war zufrieden, während er das Waschmittelpulver im Kellerraum meiner Eltern zerstöberte. Frau P. nickte fleißig und sagte nicht viel mehr als "ja!", dann gaben sie mir das Geld und dankten mir, ich dachte: "Es war mir eine Freude mit euch Geschäfte zu machen!". Sie entschwanden gen Norden und ich stellte fest, dass ich viel zu viele Vorurteile habe und mein Kopfkino mal ausstellen sollte! 

Winter und Tiere (20.12.21)

Es ist nichts neues, dass ich den Winter nicht mag. Genauso wenig mag es den Leser*innen unbekannt erscheinen, dass ich eine Affinität zu Tieren hege. Nun ist es also wieder so weit, es ist Dezember, die Sonne hat eine Woche lang nicht geschienen und ich merke, wie meine Stimmung den Bach runtergeht. Wie gut, dass ich Freundinnen habe, die genauso viel Lust auf Natur haben wie ich. Also verabreden wir uns, um in den Tierpark zu gehen. Der Weg dorthin führt durch die Niederungen des Münsterlands, und als wir endlich da sind, ist alles voller Matsche, grau in grau. Wir zahlen Eintritt und sind gespannt, was uns erwartet. Unzählige Eulen, ein Luchs, ein Polarfuchs - alle in zu kleinen Käfigen, wie wir finden. VIelleicht könnte man ja nachts nochmal wiederkommen und ein paar der Tiere befreien, planen wir heimlich. Wir kommen vorbei an Lamas, Kamelen, Enten und Gänsen, Wildschweinen und Elchen. Die Schafe blöken um die Wette, so laut habe ich sie noch nie rufen hören. Die Geweihe des Damwilds beeindrucken mich, genauso wie der Pfau, der direkt neben den Erdmännchen auf dem Zaun sitzt und blau schimmert. Wie gerne hätte ich alle diese Tiere zuhause, denke ich. Genauso, wie einen Hund. Früher hatte ich mal Meerschweinchen und zwei Zwerghamster, aber das war beides nur von kurzer Dauer. Zudem muss man ja auch erwachsen denken und wenn ich erwachsen denke, dann kann ich einen Hund nicht wirklich mit meiner Lebensplanung vereinbaren. Viel Zeit, Hundeschule, Training... Hundesteuer... so versunken in meinen Grübeleien bin ich immer noch, als wir beim Streichelzoo ankommen. In besagtem Gehege darf man Ziegen füttern und  -was für eine Freude - es sind auch ein paar junge Zicklein dabei. Wir betreten das Gelände und sind sofort umringt von einigen kleinen weißen Exemplaren, die an uns hochklettern, um an das Wildfutter zu gelangen. Meine Freundin und ich sind sofort Hals über Kopf begeistert und auch als die anderen Familien mit den Kleinkindern schon längst das Interesse verloren haben, stehen wir immer noch bei den Ziegen, streicheln sie und machen Fotos, können uns nicht losreißen und merken erst später, dass wir total voller Schlamm sind und voller Ziegenhaare.

Und da kommt mir plötzlich ein Gedanke in den Kopf. Eine Freundin von mir sorgt auf einem Bauernhof in der Nähe von Berlin für 17 Ziegen und sagt, sie seien sehr anspruchslos. Man muss für sie keine Steuer bezahlen, nicht mit ihnen zur Hundeschule und ähnliches. Sie haben ihren eigenen Kopf und wenn man will, kann man sie sogar melken und Ziegenkäse herstellen. Fakt ist: Ziegen sind super! Und, wie ich im Tierpark festgestellt habe, sind sie zudem mutig und zutraulich. Vielleicht sollte ich meine Lebensplanung nochmal umwerfen und mich statt nach Hunden nach Ziegen erkundigen. Aber kann man die auch mit zur Arbeit nehmen...? Jetzt ergeben sich natürlich neue Fragen!

Maas- dicht: Grenzstädte, Kleinkinder und Lockdowns (24.11.21)

Heutzutage muss man ja echt aufpassen, was die Aktualität von Nachrichten angeht. Diesen Artikel wollte ich vor zwei Wochen schreiben, als alles noch ganz anders war! Aber alles der Reihe nach.

Gerne wollte ich vor dem Novemberblues fliehen, und zwar in die Niederlande, weil ich dort zwei Jahre (!!!) nicht gewesen war. Und nun, bevor sich das Jahr dem Ende zuneigte, hatte ich es meiner Meinung nach redlich verdient, nochmal eine kleine Radtour zu machen. In Maastricht war ich noch nie gewesen, also fiel die Wahl schnell. Zweifel bekam ich erst, als mein Nachbar mich warnte: Die Inzidenzen seien so hoch, dass die Niederlande ab 19 Uhr wieder alles dicht machen würden, Läden, Restaurants, etc. Da ich aber sowieso nicht vorhatte, mich groß unter Leute zu begeben, schrieb ich Bekannte an, bei denen ich übernachten konnte. Und dann machte ich mich auf den Weg nach Aachen, als begeisterte Nutzerin des Semestertickets. Die Route sollte circa 30km lang sein, ein Klacks wie ich fand, und die Wegbeschreibung war leicht: Einfach nur der B1 in Richtung Vaals (das ist das Grenzstädtchen hinter Aachen). Wie es dann aber manchmal so ist, fand ich die Straße nicht. Was dazu führte, dass ich über eine Stunde lang stur durch Aachen gurkte, ich kann es bis heute nicht erklären. Eigentlich habe ich nämlich einen guten Orientierungssinn. Peinlich! So verzögerte sich meine Ankunftszeit bei meinen Gastgebern um gute 1,5 Stunden, weil ich nämlich auch noch einkaufen wollte. Zwischendurch verlor mein Handy bedrohlich an Akkulaufzeit, es war diesig, kalt und ich schwitzte und fror abwechselnd. Maastricht wollte und wollte nicht näherrücken, und was dazu kam: Der Süden der Niederlande ist ziemlich hügelig! Aber ich war wild entschlossen, nicht allzu spät anzukommen, schließlich hatten meine Gastgeber*innen ein kleines Kind, das zeitig ins Bett musste. Nach einer halben Ewigkeit hatte ich dann auch das Haus gefunden (falsche Hausnummer, wie sich herausstellte) und rannte gewissermaßen offene Türen ein: die Eingangstür zum Wirtschaftsraum nämlich. Dort begrüßte mich Jenny, zusammen mit Amy und Raymond, die mir erklärten, dass sie gerade seit einem Jahr hier wohnten und vieles im Umbau sei. Das erklärte zum Einen die Kälte im Innern, zum anderen das (noch) nicht vorhandene Waschbecken im Gäste-WC. Jenny erklärte außerdem, dass im Badezimmer des ersten Stockwerks keine Tür vorhanden sei, und ich dort auch nachts bitte nicht die Toilette benutzen solle, weil sonst durch die Spülung das Kind aufwachen würde. Wir kletterten nach oben auf den Dachboden (kindersichere Gatter, über die ich nachts bitte auch drüberklettern sollte, das sei leiser als das Gatter zu öffnen und zu schließen). Dort erwartete mich dann ein gemütlicher Schlafplatz neben einer Kaminattrappe, in der ein 3D Feuer prasselte. Erleichtert sank ich hernieder auf meine Bettstatt, ich hatte es geschafft. Die Tour hatte sich gelohnt! Ich hatte Erdnussbutter, Schokostreusel und ein paar Brocken Niederländisch gesprochen. Mehr wollte ich ja garnicht... Am nächsten Morgen wachte ich um halb 8 auf, weil die kleine Tochter unten wach war und spielte. Gut, dass ich meine Ohrenstöpsel dabei hatte! Nachdem ich mich für die Gastfreundschaft bedankt hatte, machte ich mich auf den (viel weniger mühseligen!) Rückweg und erwischte sogar den stündlichen Zug zurück in Richtung Ruhrgebiet. Dass ich dann später im Zug von Aachen 60 Euro bezahlen musste, weil ich in der Eile vergessen hatte, ein Fahrradticket zu kaufen, soll hier unerwähnt bleiben... 

Schwimm drüber (11.11.21)

Seit zwei Jahren bin ich nun nicht mehr in der Schwimmhalle gewesen. In der Ruhr schon, aber das war mehr ein Abkühlen, ein Plantschen im Beisein einiger Kühe an den Ruhrwiesen, die mich skeptisch betrachteten. Nun sind ja -Hurrah- mittlerweile auch die Freizeitbäder wieder auf, und nachdem ich einige Male sehnsüchtig den Chlorgeruch der Belüftungsschächte am Unibad eingeatmet hatte, schaute ich letzte Woche endlich mal wieder dort vorbei. Leider ohne meine Taucherbrille, denn die ist in den letzten zwei Jahren irgendwie verschütt gegangen. Genauso wie meine Bikinihose. Nun war ich also mit einem nicht-zusammenpassenden Zweiteiler in der Umkleide, mit der Maske auf. Erst als ich in die Dusche ging, fiel mir auf, dass ich sie immer noch trug. 

Wie immer war das Wasser ziemlich kalt, so dass ich zügig ein paar Bahnen schwimmen musste, um mich daran zu gewöhnen. Und trubelig war es! Sportgruppen, gestählte und superfitte Körper (wie haben die das geschafft???), sowie Senioren, die an der Aquagymnastik teilnahmen, dass es nur so spritzte. Die Wellen schlugen bis zu mir rüber, so dass ich Wasser in die Nase bekam, als ich stetig meine Brustschwimm-Bahnen zog. Kraulen ging nicht, wegen Taucherbrillenmangels. "Hoffentlich treffe ich hier niemanden, den ich kenne", dachte ich, ich finde Small-talksituationen in Schwimmerbecken von Natur aus eher unangenehm. Aber auch wenn man ständig aneinander vorbeischwimmt ohne zu sprechen ist doof. Glücklicherweise war dem nicht so, und nach einer halben Stunde hatte ich mein Soll erfüllt. Die Duschen wurden leider auch nicht richtig warm, und als ich mich angezogen hatte und auch die Schuhe bereits trug, fehlte die Maske. Mist, die lag immer noch in der Dusche. Also flitzte ich angezogen zurück, an den verdutzten Damen vorbei in den Nassbereich. Als ich mir dann die Haare fönen wollte, gesellte sich eine Frau mit langen schwarzen Haaren zu mir, fest entschlossen nahm sie sich zwei Föne und richtete sie von schräg unten auf die wallende Mähne. Ich musste mir viel Mühe geben, sie nicht bewundernd anzustarren. Es hatte schon etwas archaisches, wie diese volle Föhnung, äh Dröhnung ihre Haare herumwirbelten. Diesen Anblick nahm ich mit nach Hause, und schrieb mir direkt den nächsten Schwimmtermin in den Kalender. Wartets nur ab, ich werde in Nullkommanix die Wasserratte, die ich in der Grundschule war!

Die Skate-Kids von heute (31.10.21)

Seit dem Sommer habe ich ein neues Hobby: Es hat leider nun im Herbst auch viel mit dem Wetter zu tun: Skateboarden. Im Sommer war ich in einem Skatepark in Köln-Süd, und war begeistert von der ultimativ-coolen 90er-2000er Atmosphäre, sowie von den Tricks, die die Skater*innen beherrschten. Glücklicherweise gibt es auch in Herne einen Skatepark und die dazugehörigen Jugendlichen und Erwachsenen, die sich dort an den Halfpipes probieren oder grinden. Und mittendrin ich, 26 Jahre als komplett Unerfahrene was diese Szene angeht. Aufgeregt war ich schon, als ich zum ersten Mal auf einem geliehenen Board stand, wackelig und immer darauf bedacht, mich nicht direkt auf die Nase zu legen. Und peinlich war es mir auch, weil ich mich nämlich nicht cool genug fühlte. Zudem hatte ich natürlich nicht die richtigen KLamotten. Dazu gehören: Baggy jeans, weite T-shirts, bestimmte Marken, am besten noch Mützen (vor allem auch im Sommer! Die Mütze sollte angewachsen sein, daran erkennt man vernünftige Skater*innen). Und, ein Fehler den ich direkt machte: ich hatte keine adäquaten Socken an. Denn: man trägt NIEMALS kurze Sneaker Socken auf dem Board. Niemals. 

Diese ungeschriebenen Regeln erörterten mir unter anderem die drei Alterren im Park, ihres Zeichens seit 30 Jahren in der Szene dabei. Ich musste grinsen, als ich diese Kombination aller Generationen beobachtete. Denn es gibt eine unterschwellige Rivalität zwischen den Scootern und den Skateboards. Die Kids fahren dort nämlich genauso gerne wie die Skater*innen. Scooter sind nur leider nicht so ganz anerkannt wie die vier Rollen unter den Brettern. Ich für meinen Teil finde es allerdings eigentlich ganz cool, dass dort schon die Fünfjährigen herumfahren und sichtlich Freude daran haben. Crashs zwischen Skateboards und Scootern hat es meines Wissens nach noch nicht gegeben. 

Beeindruckt bin ich immer wieder vom Können der Herumfahrenden. Neulich habe ich mich mit einem ungefähr zehn Jahre alten Jungen unterhalten, der natürlich stilechte Baggy Jeans und XXL Shirt spazieren trug und augenscheinlich Talent besaß. Er erklärte mir dann, wie ein Ollie funktioniert (Ich kann keinen Ollie. Ich versuche noch, die Balance auf dem Brett zu halten).

Aber bald, bald wird der Tag kommen, an dem ich meinen ersten Trick lerne. Und dann werden die anderen Leute im Park Augen machen. Bis dahin muss ich mir allerdings noch eine echte Baggy-Jeans kaufen! 

Bist du nicht langsam zu alt für WG? - Über das Suchen von bezahlbarem Wohnraum (21.10.21)

Diese skeptische Frage wurde mir vor nicht allzulanger Zeit gestellt, vor dem Hintergrund dass ich bisher in drei verschiedenen WGs und einer Hausgemeinschaft gewohnt habe. Tja, meiner Ansicht nach ist man nie zu alt, um mit anderen Menschen eine Wohnung zu teilen. Nachhaltiger ist es sowieso in anbetracht der Tatsache, dass leider immer noch neue Wohnungen gebaut werden, obwohl sich gerade das Ruhrgebiet leider nicht mit Ruhm bekleckert, was Grünflächenschonung angeht.  Zudem ist es einfach langweilig, nach hause zu kommen und niemand ist da, um meinen ach-so-spannenden Erlebnissen des Tages zu lauschen. Deshalb, auch weil ich keine Beziehung habe oder eine Familie ernähren muss, habe ich nach wie vor Lust darauf, Küche und Bad mit anderen zu teilen. Und mich darüber aufzuregen, dass der Putzplan eingehalten wurde. Nur halt nicht von mir, und deshalb fühle ich mich schlecht. 

Wenn man auf WG-Suche ist, gibt es hauptsächlich ein Portal, auf dem man seine Vorstellungen des Zusammenlebens filtermäßig einstellen kann. Und ich weiß nicht, viele abermillionen WG-Anzeigen ich mir in den letzten sieben Jahren durchgelesen habe. Wie viele Anfragen ich geschrieben habe, um dann eingeladen zu werden, in die "nicht-zweck WG", in der man auch gerne mal abends zusammen kocht oder einen Film guckt, in der man aber auch einfach die Tür zu machen kann, wenn man seine Ruhe haben will. Jede*r Student*in kennt diese austauschbaren Floskeln wahrscheinlich, sowie der pure terminliche Stress, wenn man drei bis vier Besichtigungen in der Woche koordinieren muss und von A nach B nach C hetzt. Danach kommen Unsicherheit und Aufgeregtheit, wenn man sich dann einer Gruppe aus Leuten vorstellt, die vordergründig ganz entspannt quatschen will, eigentlich aber schon auch relativ viel Macht über einen hat, weil man eben die sich bewerbende Person ist. Man wird kritisch beäugt, es ist ein hierarchisches System. Es gibt WGs, die Probe putzen lassen, oder Partys veranstalten, zu denen alle zu castenden Menschen gleichzeitig eingeladen werden, und es werden alkoholische Getränke zu astronomischen Preisen verkauft. 

Und bei jeder Besichtigung versucht man, möglichst lustig, cool, interessant, einzigartig, höflich, entspannt und originell zu erscheinen, damit man bloß in Erinnerung bleibt. "Wir melden uns dann demnächst bei dir" heißt es dann, Und es wird sich sehr selten zurückgemeldet, obwohl man selber eigentlich den Eindruck hatte, man habe sich super verstanden. 

Wie kann man das Problem der Wohnungssuche bloß entzerren, werden sich viele von euch fragen. Tja, an sich wäre es ja ganz einfach: Gäbe es mehr Wohnprojekte, wie zum Beispiel das "we-house" in Herne, in welchem viele Menschen sich ein Haus nach ökologisch-hochwertigen Standards teilen. Und letztlich kann es auch nicht schaden, im Zusammenleben sich mit den Eigenschaften anderer Bewohner*innen so gut wie möglich zu arrangieren und Toleranz zu üben - Stichwort gewaltfreie Kommunikation! Ich könnte an dieser Stelle nun noch ein paar Geschichten aus meinen bisherigen WGs erzählen, das würde allerdings den Rahmen sprengen. Dazu muss man sagen, dass ich atuell als Suchende schreibe, die im Verdacht steht, das studentische WG- Wohnen zu glorifizieren. Fragt mich also noch mal in ein paar Monaten, wenn ich das siebte Mal umgezogen. bin...

Sverige, sa spännande (14.10.21)

Vor einiger Zeit habe ich beschlossen, mit dem Zug nach Schweden zu fahren, aus Emissionsgründen. Ich buchte meine Fahrt im August, und die Vorfreude stieg. Sie sank jedoch, als ich am Abfahrtstag in Dortmund am Hauptbahnhof stand, um darüber informiert zu werden, dass bereits der erste der vier Züge, die ich an diesem Tag benutzen wollte, eine Dreiviertelstunde Verspätung hatte. In Hamburg bekam ich dementsprechend den Anschlusszug nach Kopenhagen nicht mehr. Dann fiel mir ein, dass ich nicht wusste, wie viel Geld ich noch auf meiner Kreditkarte hatte (in Schweden kann man fast nichts in bar bezahlen). Ich war also mal wieder perfekt vorbereitet. Nicht. Spät in der Nacht kam ich dann vollkommen zerknautscht in Trollhättan an, eine halbe Stunde nördlich von Göteborg gelegen. Ein Städtchen mit 50 000 Einwohner*innen, trotzdem jedoch für schwedische Verhältnisse eine Metropole. Viele Tankstellen, Nadelwälder und große deutsche Supermarktketten, dazwischen hauptsächlich Landstraßen und kleine rote Häuschen. Und: Fastfoodrestaurants, denn die Schwed*innen scheinen große Amerikafans zu sein. Mehrmals begegneten mir Straßenkreuzer aus den 50er Jahren, in denen Marlon Brando und Marilyn Monroe hätten sitzen können. 

Außerdem war es kalt. Ich bekam unmittelbar Ohrenschmerzen vom Wind, als ich am ersten Tag eine Wanderung zur Schleuse und an der Göta Alv entlang machte. Aber die Aussicht war einmalig. Man bekam das Gefühl, mitten drin in einem Astrid-Lindgren-Film gelandet zu sein. Elche liefen mir leider auch bei der 7-stündigen Wanderung am nächsten Tag nicht über den Weg. Dafür machte ich Bekanntschaft mit einem sehr zutraulichen Spatz, den ich mit Kuchenkrümeln fütterte, als ich im Küstenort Uddevalla war. Noch nie hatte mir ein wilder Vogel aus der Hand gefressen - was mich die Tatsache vergessen ließ, dass der Kaffee hier ziemlich teuer war (Kaffee und Kuchen werden hier "Fika" genannt, eine Art schwedischer Freizeitsport, nachdem der Alkoholkonsum stark eingeschränkt wurde). Am Dienstagabend machte ich ein Lagerfeuer mit ein paar Bekannten, und weil es so kalt war und ich sehr nah am Feuer stand, war es beinahe ein Wunder, dass ich keine Rauchvergiftung hatte, so schlecht wie mir danach war. Genauso schlecht war mir allerdings, als ich nach einem Tagestrip nach Göteborg erfuhr, dass ein Schienenersatzverkehr eingerichtet worden war und ich deshalb mit dem Bus zurück nach Trollhättan fahren musste. 

Überhaupt merkte ich in dieser Woche, dass die viele Lauferei ihren Tribut forderte. Ich hatte Muskelkater, sowie Rückenschmerzen, was aber auch an der Tatsache lag, dass ich einfach nicht für das Nächtigen auf Isomatten geschaffen war. Aber was tat man nicht alles für eine kostenlose Unterkunft! 

Was mir in Schweden am meisten gefallen hat? Die Pflege der öffentlichen Anlagen und die Liebe zur Natur. In den Städten gab es überall liebevoll gestaltete Blumenkübel und hübsche Parks, sogar die Uni in Trollhättan war so schön und modern, dass es mir beinahe die Sprache verschlug. Die Schwed*innen waren sowieso zum Großteil gut gekleidet, attraktiv und distinguiert-höflich, so dass ich mich fragte, ob es auch irgendetwas gab, was in diesem Land nicht hübsch war... Das einzige, was aus meiner fast-veganen Sicht definitiv verbesserungswürdig erschien, war die Autofahrerei und der Fleischkonsum. Aber das lässt sich wohl auf fast jedes beliebige Land übertragen!

Cubes - Kunst in Würfeln (7.10.21)

Im Juni wurde ich von einem guten Bekannten gefragt, ob ich Lust hätte, bei einem besonderen Kunstprojekt mitzumachen, es nannte sich CUBES. Interessant, dachte ich - und sagte zu. Ein leerstehendes Ladenlokal in Witten sollte als Ausstellungsort dienen, darin: Holzgerüste, die für Gestaltung durch junge Künstler*innen zur Verfügung standen. Als ich die ersten Werke der anderen Kreativen sah, war ich gelinde gesagt, etwas eingeschüchtert und war kurz davor, wieder abzusagen - bis ich überredet wurde, Texte beizusteuern. Okay, dachte ich, Texte - das kriege ich gerade noch hin. 

Nun muss man ja sagen, dass die Welt der Kunst eine besondere ist. Es gibt abermillionen Deutungsweisen zu dem, was Kunst ist, oder auch nicht ist. Was Kunst überhaupt soll und was sie nicht darf. Überlassen werden ist den geschätzten Leser*innen selbst, darauf eine Antwort zu finden. Jedenfalls lernte ich in den Wochen vor der Ausstellungsphase, wie vielfältig Kreativität eingesetzt werden kann, um aus einem Leerstand etwas neues zu schaffen. Unter anderem waren in einem Cube CCTV Kameras installiert, die auf das kritische Thema der Überwachung im öffentlichen Raum hinweisen sollten. Fotografien stellten sich die Frage, wie weit körperliche Nähe geht, ob sie schon mit Blickkontakt anfängt und was die letzten 1,5 Jahre für einen Einfluss auf Beziehungen hatten. Ein Teilnehmer baute eine Clubtoilette nach, die Wänder durfte man mit Graffitistiften bemalen und dazu Elektromukke hören. Es wurden Pullover bedruckt, mit Skateboards über Leinwände gefahren und ganz generell: ausprobiert, was geht. 

Und dann kam das Wochenende der Showtime. Mein Job war, während der Ausstellung zwei Gedichte vorzutragen. So weit, so einfach. Was dann aber noch dazu kam: Eine ziemliche Reizüberflutung! Jede*r wurde mit einbezogen, es war einigermaßen wuselig, es schallte Musik, eine junge Frau tanzte durch den Raum (zeitgenössisch) und zwischendrin ich mit meinen Texten. Es jetzt im Nachhinein aufzuschreiben, ist relativ schwierig, man muss wahrscheinlich dabei gewesen sein. 

Am zweiten Ausstellungsabend war dann plötzlich auch noch das WDR da - oh mann! Die Hälfte des Abends verbrachte ich damit, vor dem Filmteam zu flüchten und lustige Sprüche an die künstliche Klo-wand zu schreiben, wie zum Beispiel: "Melde dich, Nicole, du wirst Vater!" Dahinter setzte ich eine willkürliche Telefonnummer.

Es waren auch Künstler dabei, die sich selbst als Teil ihres Projekt installierten, einer der beiden Galleristen setzte sich in Unterhosen in den Ausstellungswürfel und bat als "mittelloser Künstler" um ein wenig Spendengeld, während sein Kollege im Anzug die teure Kunst anpries. Zwei andere spielten Gefühle nach, die von den Ausstellungsgästen vorgegeben werden durften. Es war also wirklich alles dabei, die Vielfalt von Kunst wurde greifbar. Spätestens, als ich den kurzen Beitrag im Fernsehen sah, wurde für mich deutlich: Man kann Kunst nicht in Boxen sortieren. Aber manchmal in Würfel...

Endgegner Listening Comprehension (2.10.21)

Schon als ich noch selber in der Schule war, habe ich sie gehasst. Listening Comprehensions sind mein persönlicher Endgegner, wenn man die Schulzeit als ein Computerspiel betrachtet. Dieses Unterscheiden müssen zwischen Multiple-Choice Aufgaben, in denen sich alle Aussagen irgendwie gleich anhören, sind mir höchst zuwider. Meist hatte ich in diesen Aspekten der Leistungsüberprüfung null Punkte. 

Und was soll ich sagen: meinen Schüler*innen geht es nicht anders. Die erste Klassenarbeit der 8er stand an, die erste Aufgabe war Hörverstehen. Und es ist ja nie auch nur das Heraussuchen einer Hörverstehensaufgabe, die Teil der Vorbereitung ist. Es muss immer auch eine passende Audiodatei gefunden werden, es sollte nicht zu schwer, aber auch nicht zu leicht sein, und dann steht man auf einmal vor dem typischen Problem, dass es die betreffende CD mit den Audiotracks entweder nicht gibt oder man sie nicht abspielen kann, weil man keinen CD-Player zur Hand hat. 

Typischerweise kamen am betreffenden Tag der Klassenarbeit vier Schülerinnen auch noch zu spät, so dass der ganze Start schonmal etwas durcheinandergeriet. Corona-tests mussten wir auch noch machen. Ich hatte mir für die Hörverstehensaufgabe extra meinen Laptop eingepackt, merkte dann aber, als alle ihre Stäbchen in die Nase schoben, dass ich eben diesen Laptop im anderen Klassenzimmer liegen gelassen hatte. Und da war er wieder, dieser demütigende Moment, in dem man als Lehrerin über die Flure rennt, vorbei an grinsenden Oberstüflerinnen. Es ist nicht zum ersten Mal vorgekommen. 

Irgendwann war es dann so weit, ich spielte die Audiotracks ab und direkt kamen die Beschwerden: "Boah, eey, das ist viel zu leise, können Sie das nicht lauter machen???" Und mein Lautsprecher stand schon auf höchster Stufe. Na super Ich spielte es noch einmal ab, dann noch einmal. Später, als alle fleißig an den Aufgaben saßen, ging ich herum und schaute mir die bisherigen Ergebnisse an. Und wieder gab es Proteste: "Hier kann man gar nicht das richtige ankreuzen, das ist ja alles richtig!" Und ich musste die Gemeine sein, die auf die Aufgabenstellung hinwies: "Ja, aber ihr sollt nur EINE Antwort ankreuzen!" Gleichzeitig musste ich an meine eigene Verzweiflung denken, was diese multiple Choice Fragen anging. Für mich hatte sich früher auch immer alles gleich angehört. Glücklicherweise hatte ich ja nun die Lösungen... Nun aber nochmal die ganz allgemeine kritische Frage: Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Es ist doch ein höchst unwahrscheinliches Szenario, dass man sich regelmäßig mit englischsprachigen Gesprächspartner*innen unterhält und danach ankreuzen muss, ob sie das Empire State Building schon einmal besichtigt haben, oder es sich nur wünschen, oder überhaupt noch nie in New York gewesen sind. 

Bei der Korrektur haben übrigens nicht wenige meiner Schüler*innen zuverlässig ALLE DREI ANTWORTEN ANGEKREUZT. Natürlich. Aber das darf ich leider nicht gelten lassen... Echt schlimm, dieses Hörverstehen! 

Was meinen Morgen einfacher macht (24.09.21)

Jede*r kennt sie. Diese Sonntagabende, an denen man sich im Bett umherwälzt und nicht einschlafen kann, weil man weiß: Morgen muss ich früh aufstehen. Ich BRAUCHE diese 8 Stunden Schlaf. Was dann unbedingterweise dazu führt, dass man um 24 Uhr immer noch wachliegt und den Wecker ticken hört. Er steht auf Viertel nach 6. So ein Mist. Noch sechs Stunden Schlaf, ich weiß jetzt schon, dass der nächste Morgen eine Quälerei wird. Und nun die große Überraschung: Es wird genauso wie befürchtet. Es ist einfach ein unglaublich fieses Gefühl, dieses sanfte Vibrieren des Smartphones, einhergehend mit frohlockendem Vogelgezwitscher und Geigenklängen, die diesen Moment ein kleines bisschen weniger grausam machen sollen. Und dennoch: Es tut einfach nur weh. Schlafentzug gilt nicht umsonst als Foltermethode. Ich zwinge mich aus dem Bett, die Decken sind von der unruhigen Nacht ganz durcheinander, draußen ist es dunkel und kalt. Mein Körper tut weh und ich schaffe es mit Ach und Krach, mich anzuziehen. (Habe ich schon erwähnt, dass ich morgens nicht in der Lage bin, einen Duschprozess zu koordinieren?) Hoffentlich spricht mich jetzt niemand an, denke ich als ich in die Küche wanke und alle Lichter auslasse, damit ich nicht geblendet werde. Mit Gänsehaut mache ich mir meinen Kaffee, dann geht es raus in die morgendliche Kälte. Unten an der Bushaltestelle warte ich und fröne meiner schlechten Laune, und frage mich ob es den Mitwartenden wohl ähnlich geht. Der Bus kommt 10 Minuten zu spät, und als wir uns alle in das Gefährt hineindrängen, seufze ich innerlich. Während der Fahrt beobachte ich die Menschen um mich herum, die sich mehr schlecht als recht auf ihren Sitzplätzen halten. Irgendwann fährt ein anderer Bus an uns vorbei und die beiden Fahrer grüßen sich. Das hebt meine Laune dann doch um einiges: Es zeugt von einer Verbundenheit, von einer Allianz der ÖPNV-Angestellten, von einer wissenden Kollegialität, von einem unausgesprochenen: "Und? Wie is? Ja Montach, ne. Muss." Ich möchte dann am liebsten mit-grüßen, Teil sein dieser Community der unverzichtbaren Busfahrer. Dieser Gruß macht meinen Wochenanfang dann doch ein kleines bisschen erträglicher. 

Meine liebe kleine Rasselbande (18.09.21)

Die Schule hat wieder angefangen. Seit einem Monat bevölkern wieder Horden von Schüler*innen die Klassenzimmer der Region, und mitten drin die mehr- oder weniger überforderten Lehrkräfte. Vor einigen Tagen kam eine Mail, dass keine Sitzpläne mehr geschrieben werden müssen. Ein organisatorischer Aufwand weniger, nun kann man sich endlich in Ruhe der Dokumentation von Testergebnissen, dem Hinterhertragen von Workbooks und Vokabelheften, sowie dem Schlichten von körperlich-eskalierenden Konflikten widmen. Denn das ist eine der ersten Tätigkeiten gewesen, die ich in meiner Rolle als Vertretungslehrerin an einer neuen Schule ausüben durfte: bei einer Prügelei dazwischen gehen. Wenn ich also nicht damit beschäftigt bin, zwei Streithähne voneinander zu trennen, renne ich von Klasse zu Klasse und klimpere wichtigtuerisch mit meinem Schlüssel. Die 5. klässler (die irgendwie unfassbar niedlich und klein sind, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig als Hurensöhne bezeichnen) geben alles darum, mal selbst mit diesem Schlüssel die Klasse aufzuschließen. Unterricht ist dort eher nicht möglich, weil ich Klassenbucheinträge schreibe, Schüler vor die Tür setze und Fragen beantworte ("wie alt bist du?" "Warum hast du einen Männernamen?"). Jetzt wo es keine Fidgetspinner mehr gibt, die sind out, ploppen die Kleinen nervtötend auf kleinen bunten Paletten mit Pinöppel rum, für die es sicherlich auch einen Namen gibt. 

In der Pausenaufsicht werden die Toilettenschüsseln auf dem Hof zerstört, oder die Süßen klettern in umliegende Gärten und vandalieren ein wenig herum (Sachschaden liegt bei circa 1000 Euro). Hach ja, es ist schon schön, Berufsanfängerin zu sein. Vor allem, wenn man sich redlich müht, für Ruhe zu sorgen und die Rädelsführer der 5a kurz davor sind, aus dem Fenster zu springen. Und dann kommt plötzliche die Klassenlehrerin und fragt: "was ist das denn für ein Affenzirkus hier?" Und man steht da als Englischlehrerin und schämt sich in Grund und Boden, weil man augenscheinlich nichts unter Kontrolle hat. Aber am Nachmittag gibt mir die Kollegin Entwarnung: "Weißt du, die sind bei mir genauso. Da ist nicht mehr viel zu holen - also entspann dich!" Na gut, das ist ja schonmal beruhigend, dass man nicht alle Schüler*innen retten kann. Frohgemut gehe ich ins Lehrerzimmer um mir ein wenig der empfohlenen Entspannung zu gönnen. Dort trifft man nämlich immer auf gesellige Kolleg*innen, mit denen man ein bisschen labern kann. Und labern, das können eigentlich alle Pädagog*innen. Steht quasi in der Berufsbeschreibung, direkt unter: Sich über die Kinder und Jugendlichen beschweren. "Also die Shakira und der Bruce, die sind ja echt sooo anstrengend, ich weiß gar nicht mehr was ich machen soll... Echt schlimm... Das geht einfach gar nicht... Und die Bildungspolitik und die Verwaltung und die Bürokratie etc. pp." Damit kann man Stunden zubringen. Ja, man kann sagen: Ich liebe meinen Beruf. Zum Glück fange ich gerade erst damit an! Auf die nächsten 40 Jahre....

Alte Bekannte und die schwarze Tiefe(13.09.21)

Jetzt, wo sich der Sommer dem Ende zuneigt, hatte ich nochmal sehr stark das Bedürfnis, meine "Erlebnis-ressourcen" aufzufüllen. Wer weiß, was der Winter so mit sich bringt! Ich ging also mit Freunden auf ein Konzert. Und was soll ich sagen- eigentlich bin ich nie ein Fan von Konzerten und Festivals gewesen, aber dieser Abend hat mich mehr als überzeugt! Auch wenn das Wetter  mehr als zu wünschen übrig ließ. Wir zeigten der Security brav unsere Impfpässe, dann durften wir rein ins gemäßigte Getümmel. Und lernten im Laufe des Abends einige Skater kennen, sowie den ein oder anderen Punk. Zwei Bekanntschaften sind mir besonders in Erinnerung geblieben: Pontus und Tritus. Ich weiß nicht ob sie wirklich so heißen, aber sie stellten sich mir jedenfalls mit diesen Namen vor. Pontus war klein, untersetzt und trug einen in die Jahre gekommenen Mohawk-Schnitt, also die Haare an den Seiten raspelkurz und ein Streifen in der Mitte lang, die Haare musste er sich regelmäßig aus dem Gesicht pusten. Auf seiner Nase prangte eine Clownsnase zum Aufstecken, und er trug ein T-shirt mit der giftgrünen Aufschrift: "Blümchen-Fanclub Castrop-Rauxel", das über seinem Bauch spannte. Was ihn zugegebenermaßen sehr interessant machte! Wir fingen an, uns mit ihm zu unterhalten und er erklärte uns, dass er und seine Freunde nun mal die größten Fans der Popsängerin Blümchen (mit bürgerlichem Namen Jasmin Wagner) seien. Spontan sangen wir ein paar Lieder mit ihm und waren begeistert, er konnte die Texte alle auswendig. Toll, dass es sowas noch gibt. Irgendwann zog Rasmus weiter, er wollte noch ein bisschen tanzen, weil er die nächste Band so gut fand. Wir schauten derweil ein wenig den Skatern zu und warteten darauf, dass etwas Spannendes passieren möge. Und es kam: Tritus. Tritus trug eine gelb-grüne Lederhose mit Flammen darauf, sowie eine weiße Lederweste mit bunten Applikationen darauf. Die roten Haare waren steil hochgegelt, darum hatte er wie ein Ninja ein grünes Tuch gewickelt. Er war eine echte Erscheinung. Also sprachen wir ihn an, was er so hier mache auf dem Konzert. Er erzählte uns so dies und das, unter anderem folgendes: Er sei schon weit herumgekommen in der Welt, er sei in der Ferne gewesen (wo genau, das wollte er nicht verraten), aber es hätte ihn immer wieder hierhin zurückgezogen, wegen dieser Schwärze. Ich fragte, was für eine Schwärze er meine. Er erklärte: Na die Schwärze der Tiefe, wenn man ganz unten ist, wo es dunkel ist und ruhig. Als mein Gesicht immer noch Verständnislosigkeit ausdrückte, erklärte er, er sei in Essen auf der Zeche Zollverein in einen Schacht hineingeklettert und eine nicht näher spezifizierte Zeit unter Tage gewesen. Mit einer Taschenlampe, die ihm aber nichts genützt habe, weil alles von der Dunkelheit verschluckt worden sei. Dieses Gefühl, das er dort bekommen habe, sei mit nichts in der Welt zu vergleichen. Diese tiefe, schwarze Dunkelheit (das betonte er mehrere Male). Irgendwann habe er aber den Ausgang gefunden und sei an der Ruhr-Uni in Bochum bei den Geisteswissenschaften am Gebäude GC wieder herausgekommen. Ich war baff. Wenn das die Pendler wüssten, die jeden Tag auf der A40 im Stau zwischen Essen und Bochum stehen! Bewundernd nickten wir ihm zu und er ging seiner Wege, beziehungsweise Richtung Bühne, wo es mittlerweile ein Moshpit gab und Pontus gerade auf der Bühne stand, er machte Anstalten, sich seiner Klamotten zu entledigen, wurde dann aber von Sicherheitsleuten sanft wieder herunterkomplimentiert. 

Das Schönste am Kennenlernen dieser beiden Gestalten war für mich, dass wir sie eine Woche später bei einem anderen Konzert wiedertrafen. Auf die beiden war anscheinend Verlass! Wenn die geneigten Leser*innen also das nächste Mal bei einer Abendveranstaltung zugegen sind, kann ich nur empfehlen, die Menschen anzuquatschen, die einem am interessantesten und am außergewöhnlichsten vorkommen. Lohnt sich!

Pflanzenableger und eine Abschiedsfeier (26.08.21)

Neulich war ich auf einer Abschiedsfeier in Dortmund. Die betreffende Person geht für ein halbes Jahr ins Ausland und hatte zu diesem Anlass zu Gemeinschaft, Musik und Trank geladen, aber nur Geimpfte und Getestete. Ich war gespannt, war es doch schließlich die erste richtige Party zu der ich seit Ewigkeiten mal wieder eingeladen war. Mich hatte die Kunde erreicht, dass es sich um 40 Partygäste handeln würde, die allerdings alle nicht in die zwei-Zimmer Wohnung passen würden. Ich plante, diesen Abend vor allem vor der Haustür auf dem Bürgersteig zu verbringen. Mit Enge hatte ich es schon vor Corona nicht so. Auch hatte ich noch vorsorglich ein Abendessen (bestehend aus Salat und Joghurt) gekauft, weil ich nicht sicher war, was es dort geben würde. Als ich ankam, war die Stimmung schon famos, und natürlich gab es Snacks. Ich hatte also mein Gemüse umsonst dabei. Kurzerhand wurde beschlossen, die gekauften Lebensmittel für alle zur Verfügung zu stellen. Die Musik lief, die Leute waren hübsch hergerichtet und die Sonne schien. Eine tolle Zeit lag vor uns! Nach und nach traf ich immer mehr Menschen aus meiner Heimatstadt, die ich ewig nicht gesehen hatte. Keiner von uns konnte fassen, dass die letzten 1,5 Jahre so seltsam schnell umgegangen waren. So quatschte ich mich einmal quer durch die anwesende Gesellschaft und bewunderte die Mädels, die da fleißig auf der Couch tuschelten und sich augenscheinlich sehr wohl fühlten, so direkt neben der Lautsprecherbox. Dann ging ich möglichst schnell wieder an die frische Luft, weil drinnen kein Sauerstoff mehr vorhanden war. Einige Tanzbegeisterte hüpften schon neben dem Wohnzimmertisch zu Peter Fox und den Ärzten.
Irgendwann zu späterer Stunde vermisste ich meinen "Edingburgh" Pullover. Ich fand ihn nirgends- Überraschung Überraschung, die Bude war schließlich immer noch voller Leute. Nachdem ich eine halbe Stunde mit Suchen verbracht hatte, lieh ich mir kurzerhand einen Pullover aus dem Schrank des Gastgebers, er würde sicher nichts dagegen haben. 

Auch im Treppenhaus des Wohnhauses fanden sich mittlerweile Gäste, die Fotos und Videos von sich machten und ordentlich Spaß dabei hatten, den Haufen Schuhe, der vor der Eingangstür der WG stand, durcheinanderzuwerfen, damit niemand mehr seine Schuhe wiederfand. Also wirklich! Andere fingen an sich zu verkleiden, indem sie sich Mützen aus Alufolie bastelten oder sich komplett in Zellophan einhüllten, wie einen Tupperdosen-Nachtisch auf einem Vereinsfest. Mein Problem war leider: ich musste wieder zurück nach Hause. Da ich an einem Ort wohne, zu dem Abends keine Busse mehr hinfahren, hatte ich mir in einer befreundeten WG einen Schlafplatz organisiert.

Und da war es wieder, dieses Gefühl: Wenn ich jetzt schon (um halb eins nachts) nach hause führe, würde ich sicherlich den besten Teil der Party verpassen. Den, von dem alle anderen noch Wochen später reden würden. Kurz bevor ich also mein treues Fahrrad aus dem Keller holte, fragte ich noch die andere WG-Mitbewohnerin, ob ich einen Ableger einer ihrer vielen Pflanzen haben könne. Gut gelaunt drückte sie mir ein Exemplar in die Hand und rief mir ins Ohr, wie ich ihn zu pflegen habe, damit er richtig wachse- das verstand ich allerdings nicht (die Musik...). Als ich mich dann auf den Weg machte, wunderte ich mich, dass die Polizei immer noch nicht vorbeigeschaut hatte. Die Wohnung lag mitten in einer ruhigen Straße mit vielen Anwohnern, und der Lärm war wirklich beeindruckend... Aber vielleicht müssen gute Parties auch einfach laut sein. 

Rhein ins Vergnügen (10.8.21)

Als ich dann von Köln-Mülheim in Richtung Südstadt radele, bin ich einmal mehr beeindruckt von dieser Stadt. Riesen Fluss, Riesen Dom, Riesen Brücken, alles super. Am Abend sind wir auf dem Edelweißpiraten-Festival, die Location ist ein ehemaliger Schrottplatz mit allerlei metallenen Skulpturen. Direkt nebenan ist das Pascha, das größte Bordell Europas. Dort wird aber gerade umgebaut, oder ist es insolvent gegangen? Mit dem „Kontaktsport“ ist es ja auch eh so eine Sache gerade, kommentiert meine Bekannte trocken.

Die Band, die bei dem Festival auftritt zeichnet sich durch rosa Latzhosen aus, die Stimmung ist famos und wir bleiben, bis wir vor Müdigkeit nicht mehr können. Am nächsten Tag gehe ich durch die Stadt, wie ich das immer mache, auf der Suche nach Kaffee und Zeitungen. Bei den meisten Sehenswürdigkeiten kann ich deshalb guten Gewissens sagen: „Das habe ich mir nicht angeschaut.“ Mir kommt ein älteres, rundliches Pärchen entgegen, sie auf hohen Sandaletten, er mit Dandy-Hut, beide tragen riesige Plüschbären mit sich. Am Zülpicher Platz treffe ich auf eine Dame, die komplett in gelb gekleidet ist. Während ich auf einer Bank ausruhe – das ist ja auch so verrückt in Köln, dass es zwischendurch immer ganz ruhig ist! – pfeift jemand hinter mir auf seinem Balkon die legendäre Scorpions-melodie, und ich finde: Köln bekommt einfach den Preis für die Großstadt des Jahres. Auch, weil es dort meistens gut riecht. Nach Parfum, oder nach Grill. Hätte ich nämlich auch nicht mit gerechnet.

Auf dem Heimweg grüße ich den Zeltbewohner auf dem Grünstreifen, und ärgere mich, dass ich schon wieder keine lustigen Postkarten gekauft habe. Es gibt nämlich viele kleine Buchlädchen in Köln, bei denen ich immer hängen bleibe und mir die Spruchkarten durchlese. Da stehen dann so Sachen wie „In meinem Alter brauche ich keinen Alkohol mehr. Es reicht, wenn ich einfach zu schnell aufstehe.“ Oder „Beim Einräumen der Spülmaschine zeigt sich deutlich, wer als Kind Tetris gespielt hat und wer Blinde Kuh.“

Viel zu schnell ist das Wochenende dann schon wieder um. Ich beschließe, mit dem Rad bis nach Düsseldorf zu fahren und als ich am Schokoladenmuseum vorbeifahre, begegnet mir Fabian Köster, der junge Reporter aus der Heute Show im ZDF. Er joggt mit seinen Freunden bei mir vorbei und ich bin ein kleines bisschen stolz. Abends komme ich in Düsseldorf an und frage mich einmal mehr, warum eigentlich in Düsseldorf ständig irgendwelche pickeligen, nerdigen und tendenziell traurigen Jugendlichen in mittelkreativen, zu engen Cosplay-kostümen am Bahnhof stehen und Bubble-Tea trinken. Sie sind immer da, wenn ich in Düsseldorf bin, und sind unglücklich verkleidet als Schulmädchen, als Sailor-moon oder als -warum auch immer- Koreanische Volleyballerinnen. Das irritiert mich jedes Mal.

 

Über den Heimweg zurück ins Ruhrgebiet lässt sich eigentlich nur berichten, dass der Lokführer so viele Ansagen gemacht hat, wie ich es wirklich noch nie in meinem Leben mitbekommen habe. Extrem nervig, was wohl auch das Zugpersonal fand. Mitten im Satz bricht seine nunmehr fünfte ellenlange Ansage plötzlich ab und die gesamte Schar der Passagiere atmet erleichtert auf. Einige applaudieren sogar.

… nicht schon wieder eine Zug-geschichte (10.8.21)

Es gibt doch wahrlich keine erhebendere Form der Schadenfreude, als wenn sich die Zugtüren der Regionalbahn schließen und die Leute kommen nicht mehr rein, sie drücken verzweifelt den roten Öffnungsknopf, aber nichts tut sich mehr. Und man selbst sitzt im Zug und schaut zu.

Wir anderen sind jedenfalls drin, und es ist alles voller Fahrräder. Außerdem geht eine Tür nicht, vor der stehe ich gerade mit meinem Fahrrad. Ein älteres Ehepaar nimmt die Organisation in die Hand und dirigiert selbstbewusst die beiden Teenagerjungs mit ihren Smartphones. „Macht mal eure Fahrradtaschen da weg“ und „guckt mal, wenn wir das so… und jetzt so… dann müsste das doch…“ Es ist immer noch voll, ich stehe immer noch im Gang und neben mir ein schimpfender Typ mit E-Bike, und keiner von uns weiß, ob an dem Halt, wo wir rausmüssen, die Tür zur richtigen Seite hin öffnen wird, oder ob wir unsere Räder einmal durch den ganzen Gang tragen müssen, an allen Leuten vorbei. Ein Tohuwabohu, ganz wie ich es mag. Als dann mein Halt (Köln-Mülheim) angesagt wird, mache ich mich schonmal präventiv auf den Weg, mit einem sehr breiten Lenker, kichernd an den Leuten und den Koffern vorbei. Es ist wie im Kino oder in der Vorlesung, wenn man in der Mitte sitzt und dann während der Veranstaltung aufs Klo muss und alle müssen aufstehen, um einen vorbeizulassen. Am liebsten wäre ich eigentlich noch gestolpert und hätte dann mit der Hand auf dem Brötchen eines Passagiers Halt gesucht.

Was ich aber eigentlich erzählen will: Ich bin auf dem Weg nach Köln, eine Bekannte besuchen. Ich mag Köln, sehr. Am Bahnschalter in Bochum möchte ich aber vorher noch ein Ticket nach Schweden buchen, und den Mensch hinter der Scheibe kenne ich schon. Ihn und seine seltsame Pilotenbrille. Letztes Mal hat er mir den Buchungsstop nach Großbritannien erklärt.

„Hallo, ich möchte nach Schweden, können Sie mir da was buchen?“, frage ich laut. Er, sehr langsam und bedächtig hinter der Glasscheibe: „Das kommt ganz darauf an.“ Es hört sich an, als würde er hinter jedem Wort einen Punkt machen. Als ich ihn verständnislos anschaue, bequemt er sich zu weiteren Informationen: „Entweder es geht – oder es geht nicht.“ Ich nicke nun genauso langsam, wie er spricht und versuche es weiter: „Also, ich brauch ein Ticket nach Trollhättan, auch zurück, am besten.“ Er unterbricht  mich: „Nicht so schneeellll! Eins nach dem anderen. Nun machen wir erstmal den Hinweg.“ Er tippt auf seiner Tastatur herum und dreht vielsagend seinen Bildschirm zu mir: „Wenn ich hier Trollhättan eingebe, kommt: nichts.“ Ich nicke in Zeitlupe und muss an Computer says no aus der Comedyserie Little Britain denken. Dann triumphiert er allerdings: „So, aber wenn ich Göteborg eingebe:“ -die Spannung steigt- „dann zeigt er mir was an!“ Zauberei, mutmaßlich.

„Wie lange wollnse denn bleiben? 5 Monate?“, erkundigt er sich, nun ganz auf Smalltalk ausgelegt. Ich erwidere, dass ich leider nur eine Woche Zeit habe, wegen der Schule. „Ach ja, die Schule. Da hab ich ja auch schon ordentlich Manschetten vor, mit dem ganzen Impfen“, meint er und erklärt seine Gesprächigkeit: „Der druckt jetzt erstmal. Das dauert ein bisschen.“ Ehrlich gesagt bin ich auch nicht davon ausgegangen, dass ausgerechnet dieser DB-mitarbeiter den schnellsten Drucker der Welt besitzt. Alles andere hätte mich aus der Bahn geworfen, haha.

 

„Sie haben ja schon auch ziemlich viele Umstiege, das ist natürlich schlecht“, kommentiert er gleichgültig und fügt hinzu: „Ich würd Ihnen da auch eher empfehlen, zu fliegen. Das geht schneller.“ Ich schiele auf den Button an seiner burgunderfarbenen Weste, auf dem steht: „Wir haben euch vermisst“. Wahrscheinlich ist er Mitarbeiter des Monats bei seinem Arbeitgeber. Ein Hoch auf die Klimafreundlichkeit der Bahnangestellten! 

Hauptstadt für Anfänger und Fortgeschrittene (4.8.21)

Wie fängt man bloß an, einen Text über Berlin zu schreiben? Wenn man als (autsch) Touristin in der Stadt gewesen ist und sich extra keinen Stadtplan gekauft hat, um eben nicht als solche erkannt zu werden? Alles, was über Berlin geschrieben werden kann, wurde schon geschrieben. 

Und dennoch. Wage ich es, ich bin so kühn, einen Reisetext zu verfassen über die Stadt, die niemals schläft, die, wo die Ärzte ihre ersten Auftritte als Punkband hatten, Anfang der 80er Jahre. Ich mochte Berlin lange Zeit übrigens nicht, zu voll, zu laut, zu viel Plattenbau und DDR. Aber dann: las ich Bücher über die Stadt, schaute Serien, die dort spielten und irgendwann juckte es mich dann doch in den Fingern, mal wieder dort vorbeizuschauen. Es hatte auch damit zu tun, dass ich ein Wochenende in einer Kleinstadt in Süddeutschland verbracht hatte und arge Beklemmungsgefühle bekam. Also zack, Zugtickets gebucht, zack, Couchsurfing-Host gefunden, zack, auf ins Abenteuer. 

Zumindest die Fahrt Richtung Gesundbrunnen (so ein schöner Name für einen Bahnhof!!) war dann aber so überhaupt nicht außergewöhnlich. Das Personal im Abteil war so freundlich wie noch nie, auf der Toilette roch es nach Parfum und wir waren überpünktlich. Ich war dermaßen irritiert, dass ich am Hauptbahnhof zielgerichtet am falschen Ausgang rausging und verwirrt meine gekritzelte Wegbeschreibung anstarrte. Wie das eben immer so ist. Ist eigentlich schonmal jemand auf die Idee gekommen, am Berliner Hbf eine Schnitzeljagd zu veranstalten, oder Verstecken-Fangen?  Da könnte man jeden Kindergeburtstag mit füllen!

Jedenfalls fand ich dann meinen Weg, vorbei am Reichstag und der Charité (mal eben, und bloß nicht zu beeindruckt gucken! Berliner*innen geben sich notorisch unbeeindruckt!) in Richtung Kreuzberg. Eine Millionenstadt erkennt man ja meistens daran, dass die Leute Englisch reden und komische Sachen anhaben. Ich war begeistert! Es war laut, es war bunt, es war trubelig, vor allem als ich dann in Richtung Kreuzberg/Neukölln kam wo ich bei Katrin übernachten sollte. Zu ihr gelangte ich durch ein Labyrinth an Hinterhöfen und Hausfluren, die vollgestellt waren mit Kinderwagen und in denen es muffig roch, aber ich mag den Geruch eigentlich ganz gerne. Vor ihrer Haustür im Innenhof des Altbaus wuchs eine monstermäßig majestätische Kastanie, die den Platz vollkommen überdimensional ausfüllte. Katrin selbst wohnte in einer minimalistischen 1-Zimmer Wohnung, die zwei vorhandenen Möbel hatte sie vom Sperrmüll, das Geschirr stammte von ihren Ausgrabungen und war zum Teil über hundert Jahre alt. Sie hatte Ägyptologie studiert und war ihres Zeichens Archäologin, wie spannend! Aufgewachsen war sie in Kairo, Dubai und Malaysia, hatte dann allerdings das Pech, mit ihrer Mutter in ein Dorf nach Rheinland-Pfalz ziehen zu müssen. Tauchen konnte sie übrigens auch. Wir machten uns auf in Richtung Kreuzberg, ich war barfuß, weil ich die falschen Schuhe mitgenommen hatte. Die Straßen wimmmelten nur so vor Menschen, die vor den jemenitischen und syrischen Restaurants saßen, überall spielte Musik, Obdachlose und Kinder bettelten, während ihre Mütter daneben standen und sich mit anderen Müttern über Buggies hinweg unterhielten. Die Straßen rochen nach Regen und Gras und ich musste an die Serie 4 Blocks denken. 

In Prenzlauer Berg weht ja wiederum ein ganz anderer Wind. Eine Freundin von mir verkauft dort samstags immer Gemüse von ihrem Bauernhof, und so machte ich am nächsten Tag einen Spaziergang quer durch die Stadt. Als ich ankam, wurde jedes Klischee bedient. Von den Hipstern mit teuren Designer-Sneakern, die in den Szene-cafés saßen, bis hin zu den dünnen Muttis in Yoga-klamotten, die ihre Kinder nach dem Geigenunterricht noch mit zum Biomarkt schleppten. Auf dem Spielplatz sah ich einen Typ mit einer riesigen rosafarbenen Schleife auf dem Kopf, die das Man-Bun und den Vollbart ein kleines bisschen weniger ultracool wirken ließen. Auf dem Markt selbst gab es Sachen wie handgeschöpfte Schokolade, Quarkkeulchen und nepalesische Klangschalen, und ein Herr mit farbenbekleckstem Kittel und Tröte lief auf und ab und grüßte die Vorbeilaufenden mit "auf wiedersehen - wie gehts?" Sein Hundchen erweckte den Anschein, sich für sein Herrchen zu schämen. 

Am Abend, als ich mir die dreckigen Füße wusch, dachte ich mir, dass man in Berlin wohl nie alleine ist. Das Gefühl ist ziemlich schwer zu beschreiben, aber wenn ich die Wahl hätte zwischen einer Geburtstagsfeier in einer Dönerbude am Urbankrankenhaus und einem ´hübschen Gasthof in der hessischen Provinz, dann wäre der Fall jawohl klar. Darauf eine Bio-Ingwer-Rhabarber-Schorle!

Brennende Mülltonnen - Auf zur Revolution! (02.0.21)

Tja, eigentlich hatte ich ja gedacht, nur ein, zwei Stunden auf der Feier zu bleiben und ein bisschen zu quatschen. Es war sehr nett, es gab Kuchen, gute Musik und Fruchtbowle mit diesem seltsamen Cocktail-Obst, bei dem man nie so genau weiß, was da eigentlich so alles drin ist. Ich setzte mich zu den Leuten und...

Plötzlich war es ein Uhr morgens, das Feuer brannte immer noch, die Stimmung war famos. Wir waren bei den ganz wichtigen Themen angelangt, und mir war nur ein ganz kleines bisschen schlecht von der Fruchtbowle. In diesen Augenblicken hat man ja für gewöhnlich das Gefühl, den ganz großen Durchblick zu haben und die Rätsel und Unwegbarkeiten der Welt in ihren Grundzügen WIRKLCH zu verstehen. Als ich ins Bett gehen wollte, wurde protestiert, ich solle doch noch bleiben. Schlechtes Gewissen, wegen Fomo. Aber ich konnte echt nicht mehr und hatte auch ewig nicht mehr geduscht, das musste unbedingt noch geschehen, auch um 2 Uhr morgens. Unkoordiniert schleppte ich mich ins Badezimmer, dann ins Bett. 

Am nächsten Mittag wachten wir alle zerzaust auf und mussten aufräumen. Fies. Ich war damit betraut, die Feuerschale wegzuräumen. Ich testete ob das Metall noch heiß war, es war maximal lauwarm. Dann holte ich unsere Biotonne, prüfte, ob die Kohle noch heiß war (war sie nicht, da konnte ich meine Hand für ins nicht mehr vorhandene Feuer legen!) und schüttete die Asche in die Tonne.

Eine halbe Stunde später brachte mein Vermieter (gelernter Feuerwehrmann) die Tonne runter. Ein hübsches eingeschmolzenes Loch sorgte nun für eine noch bessere Belüftung des Biomülls. Nachdem ich mir ein paar Sprüche angehört hatte und mich angemessen schlecht fühlte, überlegten wir, was zu tun sei. Ich bestellte eine neue Tonne im Internet und schlug vor, die alte Tonne könne man doch als Fahrradanhänger benützen, oder als Seifenkiste. Dann müsse man aber noch zwei Räder mehr anbauen. Mein Vorschlag wurde einstimmig abgelehnt. Na gut, dachte ich, irgendeine nachhaltige Verwendung würde ich schon noch finden. Und sei es eine Verwahrmöglichkeit für unliebsame Nachbarn oder anstrengende Gäste...

Ich bin die personifizierte FOMO (02.08.21)

Wenn man jung ist, oder sich so fühlt, kann es schonmal vorkommen, dass man Angst hat, etwas zu verpassen. Der Fachausdruck dazu lautet F(ear) O(f) M(issing) O(ut). Gut, dass es dafür einen Begriff gibt, denn das diffuse Gefühl, irgendwo könnte gerade der Spaß des Jahrhunderts stattfinden und man ist nicht dabei, ist dadurch leichter zu benennen. Natürlich kann man ja nicht überall hingehen, aber besser wär das! Vor allem nach einem Jahr fast ohne Kneipenbesuche und Jubel, Trubel, Heiterkeit. Jedenfalls war der vergangene Samstag schon wieder so ein typischer Fall von "alles mitnehmen müssen". Morgens ein Besuch im Krankenhaus, von da aus dann weiter zum Kaffeetrinken in die Nachbarstadt mit dem amtlichen Kennzeichen RE. Dort dann spontanes Nachmittagstief, was durch den Sturzregen noch verstärkt wurde. Es wäre so einfach, jetzt schön im elterlichen Wohnzimmer vor dem Fernseher zu versacken. Aber: in meiner Hausgemeinschaft fand ein runder Geburtstag statt, bei dem es sicherlich sehr spaßig werden würde. Also auf in Richtung Süden. Mein Weg führte mich vorbei an einer Hundebesitzerin, die ihren bellenden Vierbeiner rabiat an der Leine zog und ihn - man merkte ihr tiefe und genuine Enttäuschung angesichts seiner Reaktion auf Radfahrerinnen an - schalt: "WIE VERHÄLTST DU DICH???!!!" Ich fand das nicht so gut mit dem Leine ziehen, aber ich fand gut, dass sie mit dem Hund wie auf Augenhöhe sprach. Kein "Sitz, platz, aus,", nein. Es wurde auf das Verhalten Bezug genommen. So geht Mensch-Tier Kommunikation heute.

Als nächstes überholte ich zwei circa neunjährige Jungs, die gerade ein bisschen rannten, wie man das eben so macht, als Kind. Das geht in der Pubertät dann verloren, es verwächst sich. Jedenfalls sausten wir parallel und schauten, wer schneller war. Ich war beeindruckt, sie flitzten nämlich bestimmt 100 Meter neben mir her. Sie trugen aber, und das muss dazu gesagt werden, ja auch Jogginganzüge. Leider hatte ich keinen Pokal oder eine Medaille dabei, ich hätte sie ihnen gerne gegeben. 

In der Straßenbahn traf ich später auf ein junges Pärchen, die auf dem Weg zu einer Party waren. Sie: "Ja, also da in dem Städtchen sind ja auch viele von diesen... Vorwerk-Häusern." Dann runzelte sie die Stirn und überlegte. "Nee, wie heißen die nochmal?" Dann kam sie darauf: "Ach, nee, FACHWERK-Häuser." Zufrieden lehnte sie sich zurück und ich stellte mir vor, wie das wohl wäre, in in einer Siedlung voller Vorwerkhäuser. Man könnte wählen zwischen Termomix-Eigentumswohnung und Staubsauger-Doppelhaushälfte, allerdings wäre es sehr schwer, diese Häuser zu bekommen, und überall wären lange Wartelisten. 

Müde kam ich irgendwann auf dem Berg an, wo das Haus steht, in dem ich gerade zur Miete wohne. "Naja, ich kann ja ein- zwei Stunden bleiben und dann ins Bett gehen", dachte ich bei mir, als ich die Partygesellschaft draußen auf dem Hof sah. Es brannte ein Feuerchen, es lief Musik und die Lichterketten leuchteten. Ein schöner Sommerabend! Fortsetzung folgt

 

absolute Wahrheiten und wie man ihnen begegnet (28.07.21)

Das ist jetzt der letzte Artikel über meinen Aufenthalt auf dem Bauernhof in Hessen, ich verspreche es. Eine Sache muss ich nämlich noch loswerden. Und zwar komme ich schlecht mit absoluten Wahrheiten klar, weil ich nicht verstehe, wie Menschen es für sich beanspruchen können, die einzig richtige Meinung zu haben. Nun war es so, dass die Leute, denen ich dort begegnete vor allem in Bezug auf den Haushalt - ein sehr sensibles Thema - anscheinend einfach mehr wussten als ich. Zum Beispiel, dass man ja eigentlich keine Kaffeemaschine braucht, weil: der Kaffee setzt sich ja auch so unten an der Tasse ab, wenn man lange genug wartet. Eine Espressokanne ist dementsprechend unnötig. Dass ich persönlich nicht den ganzen Kaffeesatz mit dem letzten Schluck mittrinken möchte, das sagte ich zu dem Zeitpunkt nicht. 

Weiter ging es mit dem Thema Pfannen: Da wurde mir erklärt, dass Teflonpfannen der Familie nicht ins Haus kämen, weil sie qualitativ eine Katastrophe seien. Gusseiserne Pfannen hingegen seien das einzig Wahre. Diese dürfe man allerdings AUF KEINEN FALL mit Spülmittel reinigen, höchstens mit heißem Wasser. Das ganze Angebrannte Zeug muss also drinbleiben, bis es irgendwann so richtig schön krebserregend ist, dachte ich. Und sagte: Genau, nichts. 

Mahlzeiten: "Abends darf man nichts mehr essen. Schon alleine wegen der Organ-Uhr. Man muss am meisten mittags essen, dann verträgt die Leber das besser."

Heuschnupfen und Neurodermitis: "Ja, du wurdest bestimmt viel geimpft als Kind. Dann bekommt mal viel leichter Allergien." (Und was ist mit meiner Oma, die auf dem Bauernhof aufgewachsen ist und als Kind maximal gegen Polio geimpft wurde? Die hatte auch ihr ganzes Leben lang Allergien)

Königsberg: "Ja, dein Opa ist ja auch aufgrund von Vertreibung und Flucht ins Ruhrgebiet gekommen. Hast du das schonmal mit einer Familienaufstellung geklärt? Das ist super aufschlussreich." (Ich wusste gar nicht, dass sie meinen Opa kannten!)

Menschen mit Trisomie 21: "die Mongoloiden sind ja auch alle total freundlich!" (das ist politisch nicht korrekt, die Menschen, die in der Mongolei leben, haben sich darüber beschwert, dass sie überdurchschnittlich oft mit der Thematik der Trisomie 21 in Verbindung gebracht werden. Der Arzt, der das Syndrom entdeckte, fand, dass Menschen mit Trisomie ähnliche Gesichtsmerkmale haben, wie Menschen aus der asiatischen Region.)

Tja, was lernen wir daraus? Ich habe mich nicht getraut, diesen Menschen meine Meinung zu sagen. Weil ich keine Lust auf Auseinandersetzungen hatte. Und da bin ich ganz und gar nicht stolz drauf!

die Nordhessen wollen verstanden werden (26.07.21)

Mit den Klischees ist es ja immer so eine Sache - eigentlich bin ich keine Freundin davon, Dinge zu pauschalisiseren und Menschen in eine Schublade zu stecken. Deswegen berichte ich einfach von zwei, drei Erfahrungen, die ich in Nordhessen gemacht habe. Es fing schon an damit, dass nicht reagiert wurde, wenn ich etwas sagte oder fragte. Am Mittagstisch stellte ich eine Frage, während alle mit dem Kopf im Essen hingen und es schweigend in sich reinschaufelten. Die Reaktion der Hofleiterin: "Ich kann jetzt nicht antworten. Der Beton kommt gleich!". Entschuldigung! dachte ich beleidigt. Kurze Zeit später fing sie an, sich mit ihrem Mann zu unterhalten. Am gleichen Abend unterhielt ich mich mit der Teenagertochter. Als ich etwas sagte, schnappte sie auf einmal: "Mir doch egal." Dann tuschelte sie mit der Mitbewohnerin, mir wurde es zu bunt, ich ging aus dem Raum. Und vermisste das Ruhrgebiet sowie meine Freunde. Als ich fragte, ob ich etwas von dem Joghurt aus dem Kühlschrank haben dürfe (nach acht Stunden körperlicher Arbeit), erklärte die bereits genannte Tochter, nein, das sei der Joghurt von ihr und der Mitbewohnerin. Aber ich könne mir ja eigenen Joghurt kaufen. Okay, dachte ich, dann halt keinen Joghurt. Als Sonntag war, machte ich zwischen den Arbeitsschichten (Wochenende???) eine kleine Fahrradtour zum Stausee. Dort wollte ich mir einen Cappuccino für 2,50 kaufen, hatte allerdings nicht mehr genügend Bargeld. Was ich der Imbissbudenfrau auch sagte. Sie darauf, sehr laut und sehr schlecht gelaunt: "Hätten Sie das nicht eher sagen können! Jetzt muss ich das stornieren." Dann tippte sie auf dem Kassengerät herum, fragte ihre Kollegin, die auch nicht helfen konnte. Dann, wieder zu mir gewandt: "Ja toll, wie viel Geld haben Sie denn noch?" Ich: "1,80." Sie, unvermindert schlecht gelaunt: "Dann ist heute ihr Glückstag, geben Sie mir einfach das was Sie noch haben." Zu dem Zeitpunkt dachte ich schon, dass ich bereits glücklichere Momente in meinem Leben gehabt hatte. Als ich mit dem Kaffee zwei Meter weiter ging, betrat der Campingplatzbesitzer die Szenerie. Sonnengebräunt, Brusthaar, Sonnenbrille, Polohemd, und ein Ego bis über den Rand des Bundeslands hinaus. Er nickte mit dem Kopf in Richtung meines abgestellten Fahrads und blaffte: "Wem gehört'n das Rad hier?!" Ich, bereits in Hab-Acht-Stellung: "Äh, das ist meins." Er: "Stellen Sie das mal weg hier, aber sofort!" Ich war kurz davor, etwas sehr unfreundliches zu antworten, besann mich aber im Sinne der gewaltfreien Kommunikation und wünschte ihm einen extrafreundlichen schönen Tag noch, als ich das Fahrrad wegschob. Als ich dies zurück auf dem Hof einem queeren Friseur aus Köln erzählte, der gerade zu Besuch war, erwiderte er achselzuckend: "Tja, die Nordhessen wollen verstanden werden." Am liebsten wäre ich direkt mit ihm nach Köln gefahren, um mich mit rheinischer Freundlichkeit zu umgeben. 

Auf die Frage der regionalen Klischees kann ich also an dieser Stelle keine Antwort geben, enden möchte ich jedoch mit einem kleinen Appell: Fahrt nicht zum Twistesee  (nähe Bad Arolsen, falls euch das was sagt), wenn ihr einen schönen Nachmittag mit netten Menschen unter 50 verbringen möchtet. 

Stroh machen mit dem Zettelmeisl (23.07.21)

Zwei Tage vor meiner Abreise von dem Hof müssen wir das Stroh reinholen. Das bedeutet aber nicht, dass ich an dem Tag nicht noch andere Dinge zu tun gehabt hätte: Morgens mussten die Schafe auf eine andere Weide gebracht werden, also bauten wir den Stromzaun auf, und ich stand knietief im Bach um die Wassereimer wieder aufzufüllen. Mittags kamen dann zwei Bauern vorbei, um den Drescher zu reparieren. Der eine, genannt "Zettelmeisl" oder einfach "Zettel", witterte die Gelegenheit zu einem Pläuschchen und erzählte mir ein paar Geschichten über seinen Welpen und sein E-Bike (das ich auch sehr gerne mal ausleihen dürfe, wie er mir anbot). Leider musste ich irgendwann rein, die Johannisbeeren vorbereiten für das Marmeladekochen am Abend. Als nächstes fuhren wir hoch zum Feld und hofften, dass das Dreschgerät seinen Dienst tun würde: Und es funktionierte tatsächlich. Zettelmeisl rollte gemächlich über die Schwadt (das Stroh, das in Linien auf dem Feld liegt) und die Strohpresse produzierte fleißig einen Strohballen nach dem anderen. Unser Job war nun, diese Ballen an die Seite zu räumen und zu Haufen aufzustapeln. Meine Bewunderung angesichts der Ausdauer und Kraft der anderen Hofmenschen stieg quasi ins Unermessliche. Eigentlich hatte ich mich nie für unsportlich gehalten, aber wie da mit der Mistgabel die Strohballen auf den Hänger geladen wurden - das war ziemlich beeindruckend. Ich hätte das mit genau einem Ballen geschafft, danach wäre ich platt gewesen. Aber weiter ging es: Der Hänger war voll, es ging wieder runter zum Hof, wo das Stroh in die Scheune transportiert wurde. Die Hofleiterin stand auf der Ladefläche und warf die Strohpakete in die Luke, wo Tochter und Mitbewohnerin standen, die Ladungen annahmen und stapelten. Es staubte, ich nieste, meine Füße waren immer noch nass vom Wasserholen am Morgen. Alles juckte, der Schweiß lief mir übers Gesicht. Und das war erst die erste Ladung. Beim zweiten Transport zitterten meine Beine, aber ich konnte ja schlecht einen Rückzieher machen. Also schleppte ich weiter. In einem der Ballen war ein Hasenjunges mit verarbeitet worden, zwei Meter weiter fand ich ein weiteres, noch lebendiges Häschen. Das dritte Hasenjunge war ebenfalls tot. Wir versteckten es vor der 13 jährigen Tochter, um sie nicht allzusehr zu erschüttern. Neben dem Feld fand gerade ein Fußballspiel statt, mit vielen Zuschauer*innen. Was für ein verrückter Kontrast, dachte ich, als ich die fein angezogenen Gäste in ihren teuren Autos sah. 

Abends um halb neun waren wir fertig. Und während ich mich nicht mehr bewegen konnte, fing die Mitbewohnerin der Hofbesitzer auch noch an, Marmelade zu kochen. Eine solche Power hätte ich auch gerne!

“Tanze, als ob niemand zuschaut “ 22.07.21

Es gibt ein Thema, das mich nicht loslässt, wie so viele Menschen um mich herum, vielleicht gerade besonders im Moment. Es geht ums Tanzen. Viele Monate ohne Clubs, Konzerte, Feiern, und die geneigten Tänzer*innen fragen sich, ob sie es möglicherweise schon verlernt haben? Bei mir war das Problem ein anderes: Ich habe es nicht verlernt, ich konnte es nie. Beziehungsweise: War meistens zu verklemmt, um mitzukommen, wenn Menschen feiern gingen. Weil ich mich beobachtet fühle, und quasi weiß, dass alle cooler aussehen als ich. Der Tanz ist also mein Endgegner.

Auf dem Hof, wo ich zehn Tage gearbeitet habe, fand am Samstag eine kleine Geburtstagsfeier statt, mit circa acht Gästen, Sieben davon waren über 50, trugen bunte Gewänder und wahlweise Rauschebart oder weite Leinenhosen. Dabei war auch die Tochter des Ehepaars, das den Hof leitet. Sie, die 13 jährige, brachte mich tatsächlich dazu, meine Hemmungen zu überwinden und es zu wagen. Sie sagte nämlich, dass man beim Tanzen gut aussieht, wenn man sich wohlfühlt und das macht, wozu an Lust hat. Achso! Ich trug noch meine alte Jogginghose, mit der ich den Tag über gearbeitet hatte, sowie mein altes “Berlin”- XXL t-shirt. Meine Kleidungswahl schien so unpassend, dass es schon wieder okay war. Musik lief, ganz klassisch, über den Windows-Media Player auf dem Laptop: Kylie Minogue, Juanes, LED Zeppelin (die Tänzer praktizierten Headbanging), Queen. Eine faszinierende Mischung, wie ich fand.

 

Das Geburtstagskind in seinem Blümchenkleid wogte so selig durch den Raum, die Arme schwangen hin und her, dass es eine Freude war. Es war richtig ansteckend, zu sehen, wie viel Spaß diese bunten Leutchen hier hatten. (Anmerkung: Auf dem Dorf gibt es halt auch nicht viel anderes). Ich dachte an diesen typischen Postkartenspruch “tanze, als ob niemand zuschaut” und versuchte, mir ein paar Moves von der Teenietochter sowie von Rauschebartträger Markos abzugucken. Markos, halbgriechischer Sozialarbeiter, war es dann auch, der die gesamte Mannschaft zum Sirtaki aufforderte, zu späterer Stunde. Ich lehnte dankend ab, weil ich so viel Nähe und Verbrüderung dann doch zu anstrengend fand. Außerdem habe ich kein Rhythmus gefühl, es wäre also eher zu einem Sir-taktlos ausgeartet. Aber okay, ich trank fleißig den ekelhaft süßen Almdudler, den sie im Keller gefunden hatten und sah zu. Das einzige, was diesen Abend noch besser hätte machen können, wären natürlich die Backstreetboys gewesen, aber dazu konnte ich den DJ leider nicht überreden. Da ist der Partygesellschaft dementsprechend einiges entgangen. 

Dietmar, Beton-t lässig (19.07.21)

Normalerweise verbringe ich meinen Alltag mehr mit Kopf- als mit körperlicher Arbeit. Momentan ist das anders, da bin ich auf einem Hof, mit sehr ambitionierten Selber-machern. Heute ging es darum, die Mistplatte neu zu betonieren. Man war aufgeregt, wir wurden darauf vorbereitet, dass es sehr anstrengend werden würde. Och nee, dachte ich. Ich hatte den Vormittag über bereits die Pferdeboxen gereinigt, Unkraut gejägtet, den Kompost geleert, Körbe gespült und den Haselnussstrauch beschnitten. Vorsorglich machte ich mir einen extra starken Kaffee und harrte der Dinge, die da kommen würden. 

Und es kam: Dietmar. Dietmar und sein Betonmischfahrzeug. Als wir Dietmar fragten, ob er einen Schlauch für den Beton hätte, kicherte er etwas zu zweideutig und sagte, er habe keinen Schlauch, sondern ein ROHR. Und das wäre fünf Meter lang. Wäre Dietmar (der tatsächlich dem Schauspieler Dietmar Bär aus dem "Tatort" ähnelte)  mir nicht so sympathisch gewesen, hätte ich mich über diese Genitalien-Analogie aufgeregt. So aber kicherte ich fleißig mit und rollte mit den Augen ob dieses albernen Klischees, dass in bestimmten Metiers manche Art von Humor nach wie vor präsent ist. Jedenfalls fuhr unser Beton-freund dann den Mischer bis vor die Miste, kurze Zeit später strömte das graue Gold hinab, wie Lava, und wir mussten es verteilen. Es war wie mit Gummistiefeln durchs Watt zu laufen, oder durch Kuchenteig. Wir schippten und schoben, was das Zeug hielt, und ich merkte erneut, dass mein Bizeps lange nicht an den der Hofbesitzer*innen heranreichte. Daher machte ich es mir zur Aufgabe, zusammen mit Dietmar Flachs zu reden und die Gerätschaften vom Beton zu reinigen. Meine Beine machten trotzdem irgendwann schlapp, und so setzte ich mich auf die Bank und schaute zu, wie das zähflüssige Gemisch glattgestrichen wurde. Sobald ich versuchte aufzustehen, schmerzte mein ganzer Körper, und ich war ein bisschen stolz, dass ich nun wieder ein bisschen was in Sachen Handwerk dazu gelernt hatte. Stahlbeton braucht Gitter drunter, und er muss glatt gestrichen und gespritzt werden, weil er schnell trocknet und dann aushärtet. 

Am Ende des Nachmittags hingen wir alle in den Seilen, während auf dem angrenzenden Dach auf einmal ein Mann auftauchte und auffällig-unauffällig begutachtete, was wir dort gearbeitet hatten. Wir wurde auf Englisch - denn dieser Sprache waren die Nachbarn nicht mächtig - erklärt, dass die Hauseigentümer nebenan ganz schrecklch seien und nur auf der Suche nach dem nächsten Grund für einen Prozess, man habe mittlerweile eine Rechtsschutzversicherung. Und so eine neu betonierte Mistplatte, das schien definitiv ein Grund zu sein, mal wieder Stunk zu machen. Es ist doch faszinierend, was für eine Langeweile manche Menschen haben müssen

Bond was born in Bochum-Wattenscheid (14.07.21)

Neulich habe ich mit meinem Vermieter und seinem Sohn nach Ewigkeiten mal wieder einen Film geschaut - James Bond jagt Dr. No. Der erste James Bond Film mit Sean Connery, aus dem Jahr 1962. Als ich klein war, haben wir diese Klassiker oft als Familie geschaut, bei den "schlimmen Szenen" musste ich immer weggucken. Mit 26 beobachtete ich aus einer anderen Perspektive was 007 so alles trieb! 

Dieses Mal musste ich die Augen eher aufgrund von anderen Dingen schließen: Zum Beispiel, wenn eine der vielen sexistischen Anspielungen kamen, die aus heutiger Sicht einfach gar nicht mehr gehen, 1962 damals aber anscheinend noch ganz normal waren. Die klassischen Rollenbilder, die bedient werden. Der Mann, der alles kontrolliert, alles kann und immer den Überblick behält, der Mann, der sich jede Frau nimmt, wenn er will. Und die Frauen, die sich ihm jederzeit hingeben, begeistert von seinem Charme und nicht fähig, seinen tollen Anmachsprüchen zu widerstehen. 

Auch diese legendäre Szene, in der Ursula Andress als Muscheltaucherin Honey Rider dem Meer entsteigt, nur mit einem Bikini bekleidet. Sie singt das Lied "Underneath the Mango Tree", James Bond antwortet singend darauf, sie ist erst erschrocken ("huch, böser fremder Mann am Strand, er könnte mir was tun") und zieht ihr Muschelmesser. Aber dann, zum Glück, stellt sich heraus, dass James ein ganz toller Beschützer und Retter und, tätätää, Liebhaber ist. Apropos Zweiteiler: Das Badestück, das die schweizerische Schauspielerin in dem Film trug, wurde später als der teuerste Bikini der Welt versteigert. Er hat Ursula Andress berühmt gemacht. Das nennt man wahrscheinlich "das Kapital der Frau", oder so ähnlich. 

Zum Glück wissen wir alle, wie der Film endet: Bond besiegt Dr. No, die beiden werden aus dem Atom-Unfall-Tatort gerettet und Bond verbringt noch ein bisschen Zeit mit Honey. Ende gut, alles gut. Ursula Andress wurde übrigens im FIlm nachsynchronisiert, weil die Produzenten ihr Englisch nicht gut genug fanden. Aber der Körper war anscheinend gut genug, wie schön. 

Man könnte jetzt eine Grundsatzdiskussion darüber führen, ob die Serie sich mittlerweile entwickelt hat oder ob sie immer noch ein problematisches Frauenbild transportiert - stattdessen möchte ich diesen kurzen Text schließen mit dem Faktum, dass James Bond (tatsächlich!) in Wattenscheid geboren wurde. Wer das nicht glaubt, möge es bitte kurzfristig recherchieren.

Trainspotting in Hannover (12.07.)

Vielleicht ist es mittlerweile gar nicht mehr die Zeit, um Geschichten über die Bahn zu schreiben, kennt ja jeder, sie sorgen nur mehr für müdes Gähnen. Dennoch möchte ich den Geschehnissen Raum geben, sich zu entfalten. Was geschah also auf der Rückfahrt von Leipzig nach Dortmund? Es fing damit an, dass im Raum Hannover ein Notarzteinsatz am Gleis war, sodass wir nicht in den Hauptbahnhof einfahren konnten. Mein Bruder und ich schlossen Wetten ab, wie lange der Zug brauchen würde, um wieder ins Rollen zu kommen. Die unregelmäßigen Durchsagen lieferten keine neuen Informationen, höchstens, dass „Hannover uns noch nicht haben wolle“, wie der Zugbegleiter erklärte. Dann gab es eine Planänderung: „Wir machen jetzt einen Kopf“. Ratlos starrten wir die anderen Fahrgäste an. Es bedeutete wohl, dass der Zug rückwärts fahren würde, um von einer anderen Seite in Hannover anzukommen.

Dort herrschte dann das Chaos pur. Wir lernten einen netten Herren mit Kapitänsmütze kennen, der sich mit uns über das Getümmel an den Gleisen amüsierte. Die armen Bahnmitarbeitenden waren vollkommen überfordert, es fehlte Personal für die Weiterfahrt. Zusätzlich musste die Rampe für einen Rollstuhlfahrer ausgeklappt werden, und Leute blockierten die Türen. Es war das volle Programm. Leute rannten hin und her, es erinnerte ein bisschen an den Film Titanic, als klar wird, dass es nicht genug Rettungsboote (= ICEs in Richtung Köln) geben wird. Wir stiegen aus dem Zug aus, dann stiegen wir einfach wieder ein. Die Zugbegleiterinnen riefen hektisch irgendwelche Kommandos hin und her, auch der Kapitänsmensch stieg aus und wieder ein. Die Rollstuhlrampe musste hernach noch ein zweites Mal ausgefahren werden, weil auch der Rollstuhlfahrer wieder hinein musste in den Zug, denn es fuhr nichts anderes mehr in unsere Richtung. Nächste Überraschung: Ein paar Haltestellen entfielen. Minden, Herford, Bielefeld, Göttingen, Hamm, alles nicht so wichtig. Da bekommt doch das Gesellschaftsspiel „finden Sie Minden?“ noch einmal eine ganz neue Bedeutung, dachte ich.

 

Die Durchsage lautete dann: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie auf der Fahrt in Richtung Dortmund, ich bin jetzt… (undeutliches Knistern und leicht zittrige Stimme) die einzige vom Zugpersonal, ich tue mein Bestes.“ Der Zug gondelte zwei Stunden lang durch die Niederungen des Weserberglands, wo pittoresk die Sonne unterging und Wiesen und Felder in verwunschene Nebellandschaften verwandelte. Die nette Zugfrau verteilte fleißig Fahrgastrechteformulare und ich überlegte, ob ich ihr etwas zu essen anbieten solle, denn sie war wohl direkt vom Abendbrottisch weg zum Einsatz bestellt worden. Am Bahnhof in Dortmund verabschiedeten wir uns wortreich vom Kapitän, sowie auch vom Studenten aus Köln, die beide noch eine deutlich längere Weiterfahrt als wir haben würden. Das Schöne an solchen Aufregen-über-die-Bahn-Situationen ist ja, dass sie sehr gemeinschaftsbildend sind. Denn nichts verbindet die Reisenden mehr, als das Meckern über die Unfähigkeit des Personentransports. In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihr Verständnis, wir wünschen Ihnen alles Gute für die Weiterfahrt und entschuldigen uns für alle Unannehmlichkeiten. 

Ich war mal in Leipzig gewesen/ Leipzig for lovers (11.07.21) (Teil 1)

Gerade sitze ich im Zug mitten im Nirgendwo, mit krummem Rücken und starre aus dem Fenster in den Nebel, der sanft aus den Feldern aufsteigt (… und aus den Wiesen steiget / der weiße Nebel wunderbar – dichtet schon Matthias Claudius!). Mein Bruder und ich waren für das Wochenende in Leipzig, nachdem ich vor einem Jahr von der Nachbarstadt Dresden so begeistert war. „Hypezig“ wird die Stätte der friedlichen „Wir sind das Volk“- Demonstrationen auch genannt, weil so viele coole Menschen aus Berlin hier her kommen.

Untergebracht waren wir bei Harvinder, einem Couchsurfing-Host, der lieber „Happy“ genannt werden will, weil das mehr seinem Lebensgefühl entspricht. Wir kamen also an und wurden erstmal mit selbst gekochtem Chai begrüßt (indischer Gewürztee mit Milch). Es hatte geregnet in Strömen, so dass wir uns erstmal trockenlegen mussten, bevor wir uns ein bisschen umschauen konnten. Überraschung: Als wir wieder los wollten, goss es immer noch wie aus Eimern, aber weil wir nicht aus Zucker sind, machten wir uns dennoch auf den Weg. Clara-Zetkin Park, Palmengarten, Johannapark, alles sehr hübsch anzusehen! Die Sachsenbrücke schien normalerweise der Ort zum Treffen und Abhängen zu sein, an diesem verregneten Spätnachmittag jedoch traute sich niemand außer uns raus. Als wir zum zweiten Mal gut durchgeweicht waren, beschlossen wir, einzukaufen und zurück zu unserem Host zu kehren. Dort wurden wir mit Chupati und Kartoffel-Tofu-Curry bewirtet (sozusagen unser persönliches Happy-Meal), zudem war noch ein anderer Couchsurfer zu Gast, Matthias aus Jena (Happy sprach seinen Namen wie „Mattjes“ aus). Zu viert zogen wir weiter zu Marcel, einem Kumpel der allein in einer Vierer-WG in der Innenstadt wohnte, und blieben dort um uns ein paar semi-interessante Geschichten über das Dasein als IT-Programmierer anzuhören, denn das verband die drei. Sie waren App-Entwickler.

Am nächsten Tag gab es selbst gemachte Pancakes von Happy, aber leider keinen guten Kaffee, deshalb machten wir uns auf in die Innenstadt, da war es aber so voll und langweilig, dass sich uns die Zehennägel kräuselten. Schnell also in Richtung Connewitz! Denn nur da versprach es richtig spannend zu werden, da dieser Stadtteil als eine Hochburg für linke Krawalle gilt. Gerne werden dort Autos angezündet und Demonstrationen eskalieren. Wir fanden eine Klima-Messe, bekamen Sticker geschenkt und live-Musik umsonst, aber hatten noch keinen Kaffee. Vorbei ging es an mit Graffiti besprühten Häusern, aus denen Flaggen hingen mit anti-kapitalistischen Parolen. Aber abgesehen davon war es verhältnismäßig ruhig. Mein Bruder aß ein vietnamesisches Pho, ich fand sehr schöne Sportschuhe in einem „zu verschenken“ Karton an der Straße, dann war es langsam Zeit für die Salsa-Party im Clara-Park, zu der uns Happy und Mattjes eingeladen hatten. Sie waren nämlich Verfechter des Paartanzes, im Gegensatz zu meiner Wenigkeit. Getanzt wurde dort dann aber nicht, es war vielmehr eine internationale Zusammenkunft. Ich wollte nach hause, sozial inkompatibel wie ich nun mal war. Mir gingen die vielen schönen, hippen, alternativen Menschen auf die Nerven, ich sehnte mich nach Ruppigkeit und Gestank.

Ein paar Stunden später hatten mein Bruder und ich dann aber doch noch mal das Bedürfnis unter Leute zu kommen. Also los: Wir fanden das Kneipenviertel, wo ein Typ live auf der Straße Trompete in Kombi mit elektronischer Musik spielte. Eine Frau in Rollschuhen tanzte dazu, immer mehr Jungvolk schloss sich dem an. Die Lichterketten strahlten um die Wette mit den attraktiven Künstlern und Intellektuellen, die sich hier ihre Zigaretten selber drehten und teure, bunte Sneaker trugen. Ich fühlte mich dem Ganzen nicht zugehörig, wir zogen weiter, landeten in einem Biergarten unter einem Pavillon zwischen Menschen mit stylischen roten Hüten und modischen Kurzhaarschnitten. Alles sehr fancy, sehr beeindruckend, sehr schön! Ein typischer Juliabend in einer lebenswerten Stadt. Happy und Mattjes waren natürlich schon wieder irgendwo auf einer WG-Party, ihr ganzes Leben schien aus Feiern zu bestehen, sie kannten unzählige Leute. Und ich, ich sehnte mich nach meiner heimischen Zudecke, wollte nicht unter diesem doofen Schlafsack schlafen. Litt ich unter Heimweh? War meine Stimmung eine Trotzreaktion auf zu viel „Joie-de-vivre“ hier im Osten? Unruhig schlief ich an diesem Abend auf dem Sofa ein.

Der Sonntag strahlte mit den Leipzigern um die Wette, als wir aufwachten und zum Frühstück in ein großes Café gingen, in welchem sich die Bedienung einen feuchten Kehricht um uns scherte. Als wir endlich unseren Cappuccino hatten, war die Zeit wie im Flug vergangen und unser Zug zurück ins Ruhrgebiet wartete schon. Was hatten wir an diesem Wochenende von Leipzigs Sehenswürdigkeiten gesehen? Nichts. Aber wir wussten nun, dass die Menschen dort gerne Kanu in den Flüssen und Kanälen der Stadt fahren, und dass man als coole*r Leipziger*in am besten unnahbar und distanziert-zurückhaltend bleibt, um ja nicht von irgendetwas zu sehr beeindruckt zu werden. Okay, okay, ich hab’s verstanden, dachte ich, als wir in den Zug Richtung Dortmund stiegen. Alles relativ ereignislos, entspannt und hübsch. Und dann kam ein paar Stunden später der Bahnhof Hannover… Fortsetzung folgt

 

 

kleines persönliches Yeah (6.7.21)

Vor zwei Wochen hatte ich so einen ganz, ganz doofen Wochenstart. Montage an sich sind ja immer so eine Sache, aber nach dem Montag letztens war ich wirklich nochmal mehr gegen diese 24 Stunden, die den Anfang einer neuen Woche einleiten. Das schöne war: Gestern habe ich eine korrigierende Erfahrung gemacht: Montage sind gar nicht immer schlimm! 

Das Wetter war so semi-gut, verhangen und nicht wirklich warm (der Juli lässt grüßen, was ist denn bloß los?), ich saß stundenlang in der Bibliothek, und als ich dann losradeln wollte zum Kartenspielen im Westpark, fing es an zu nieseln. Och nö, dabei hatte ich mich so auf die Bewegung gefreut! Kurzerhand fuhr ich trotzdem und riskierte dann eben, nass zu werden. Und tatsächlich: nach einer Viertelstunde hörte es auf zu regnen! Mein Weg führte mich an der Universität in Dortmund vorbei, in Richtung Möllerbrücke. Auf dem Weg dahin musste ich allerdings noch ganz dringend zum Supermarkt, weil es da eine Sammelaktion gab: Ab 10 Euro EInkaufswert bekam man Sticker von Shawn das Schaf - wie cool ist das denn??? Also hetzte ich schnell rein in den Laden, suchte einen Verkäufer und fragte, ob ich auch Sticker bekommen könne, wenn ich für weniger als 10 Euro einkaufe. Er meinte, ich würde sogar mehrere kommen, weil die Aktion beendet sei und man sie loswerden wolle, die Sticker. Hurrah! An der Kasse gab er mir dann ganze fünf Päckchen mit Stickern und ich freute mich sehr. 

Weiter ging es dann in den Westpark, wo ich zwei Mädels traf, zum Kartenspielen. Wir unterhielten uns auf Englisch und ich stellte mir vor, dass wir uns in Schottland befänden, wo ich eigentlich diesen Sommer hinwollte. Meine Wehmut wurde ein bisschen besänftigt, als dann, endlich, die Abendsonne hinter den Wolken hervorkam und es nochmal richtig warm wurde. 

Aber der Abend war noch nicht zuende: Kurz darauf holte ich eine sehr schicke Mütze ab, die ich schon ganz lange besitzen möchte. Ich weiß, dass Materialismus nicht glücklich macht- aber in diesem Moment, als ich zurück zum Hauptbahnhof fuhr, dachte ich: Endlich, endlich, endlich habe ich auch so eine Mütze. Und setzte sie dementsprechend direkt auf, no matter the season.

Der Abend fand dann seinen Abschluss im Bermudadreieck, wo ich einen Kumpel traf, den ich schon länger nicht mehr gesehen hatte, wir quatschten und lachten und beobachteten die Leute (natürlich mit Abstand und so), die sich dort im Kneipenviertel tummelten. Überall hörte man Musik, die Menschen hatten gute Laune und ich musste an die gefühlt unzähligen trostlosen Samstag- und Sonntagabende denken, an denen ich hier lang geradelt war und alle Kneipen und Cafés leer und zu und wie ausgestorben waren. Wie weit weg mir das jetzt vorkam, Anfang Juli. So, genauso, sollte sich der Sommer anfühlen, finde ich. Menschen, Musik, Sonne und Begegnung.

Stille Bibliothekswasser sind tief (1.7.21)

Irgendwo in einer Bibliothek des Ruhrgebiets, wo die Bücher sich türmen und die Lüfter leise rauschen, sitze ich und schreibe - nur schreibe ich nicht an meinen Unidokumenten, sondern schreibe über Frau R. Ich kenne sie schon sehr lange, sie  -klein und kompakt, mit Brillenkette - sitzt meistens zwischen riesigen Regalen, in denen millonen Dokumente gelagert werden und grüßt freundlich. Mehr weiß ich über sie eigentlich nicht. Doch, einmal habe ich sie in der U-Bahn gesehen, mit einem großen Rucksack, auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. 

Ein Jahr habe ich sie dann fast gar nicht gesehen, weil ich nicht in die Bib durfte. Jetzt, wo ich wieder fast jeden Tag hier bin, sehe ich Frau R. mit anderen Augen. Und das kam so:

Als ich meinen negativen Coronatest vorzeigte (letzte Woche mal irgendwann), erzählte sie mir, dass sie auch bald ihren nächsten Impftermin habe. Ich freute mich mit ihr und wir tauschten ein paar Höflichkeiten aus, dann ging es (wie mir das leider oft passiert, wenn ich eigentlich vorhabe nicht zu viel zu reden) plötzlich um den Urlaub. Frau R. erzählte, dass sie nach Oberstdorf fahren werde, im August, und darauf musste ich natürlich wissen, was sie denn da so machen wird. Und dann kam der Knaller: die Bibliothekarin ist nämlich leidenschaftliche Eiskunstlauf-Anhängerin. Sie fährt zu den Meisterschaften und unterstützt die verschiedenen Teams als Helferin. Begeistert von dieser Information erzählte ich einem Kumpel davon, der das gleiche studiert wie ich. Auch er hatte seine Erfahrung mit Frau R. gemacht: Als er vor einiger Zeit morgens in der Bib war, musste er etwas scannen. Er hatte aber keinen USB Stick und lieh sich kurzerhand einen von der Bibliothekarin. Dann musste Frau R. allerdings dringend zu einem Arzttermin in der Nähe (vermutlich der erste Impftermin) und fragte meinen Kommilitonen, ob es für ihn okay sei, wenn sie ihn für eine Stunde in der Bibliothek einschlösse, bis sie wieder da sei. Er könne ja so lange seine Sachen zuende scannen. Und so kam es, dass mein Kommilitone alleine in der Unibib war, bis plötzlich die zweite Bibliotheksmitarbeiterin die Tür wieder aufschloss und sich halb ohnmächtig erschreckte. "Sie wissen schon, dass das illegal ist, oder?" Fragte sie ihn. Und dann konnte er den Satz der Sätze sagen: "Ja, aber es war so: Ihre Kollegin hat mich in der Bibliothek eingeschlossen." 

Wir sehen also: Manche Menschen haben es faustdick hinter den Ohren! Irgendwann, da bin ich sicher, wird Frau R. noch selbst Eiskunstläuferin...

Barfuß durch Kassel (29.06.21)

Neulich habe ich eine gute Freundin in Kassel besucht, die jetzt in einer neuen Haus-WG wohnt, mit Wintergarten, Feuerstelle und zwei Katzen. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen! Natürlich verlief ich mich auf dem Weg vom Bahnhof zu ihr kollossal, weil ich immer versuche, anhand abgeschriebener Wegbeschreibungen meine Wege zu finden anstatt mit Google maps. Ich lief also zwei Stunden statt einer. Irgendwann taten meine Füße in den neuen Schuhen so weh, dass ich kurzerhand (also eher kurzen Fußes) ohne Schuhe weiterlief, auch in den Supermarkt ging ich so. Da fand gerade eine Schlägerei statt, weil ein Kunde geklaut hatte. Typischerweise hatte er auch die Maske nicht richtig auf (das hätten sich die geneigten Leser*innen wahrscheinlich denken können), und nun versuchten die zwei Kassierer, ihn in Schach zu halten, bis die Polizei kam. Die Mitarbeiterin an der Kasse blieb ganz cool, während ich mein Gemüse aufs Band legte. Sie sagte: "Ja, was soll ich denn auch Angst vor dem haben? Das passiert hier ständig." Sehr pragmatisch. Vom Discounter aus war es nicht mehr weit bis zur WG und ich machte hernach Bekanntschaft mit Gelsenkirchener Barock Einrichtung (Mitten in Nordhessen!) und vegan-alternativem Hippie-Style. Während meine Freundin S. und ich im Wintergarten saßen, retteten ihre Mitbewohnerinnen Hummeln von der Straße und setzten sie auf den Couchtisch, der eigentlich mal ein Straßenverkehrsschild gewesen war. In der Küche stand auf dem Regal eine 2,5 Kilo Dose Heinz-Baked-Beanz, mit dem Schild drauf: "Opis Lieferservice". 

Am späteren Abend brachten wir einen alten Plattenspieler zu einem Kumpel, der zwei Straßen weiter wohnte und aber auch nicht genau wusste, wohin mit dem Ding. Er stand ratlos in Gummistiefeln vor seinem Hauseingang, wo er gerade dabei war zu renovieren, und kratzte sich am Kopf. Während S. mit ihm diskutierte, wo man den Spieler denn nun lagern könne, brachte ich (immer noch barfuß) das Altglas weg. War bisschen spannend, da am Container, mit den ganzen Scherben, aber gut, ich habe ja Hornhaut. Unser Weg führte zu einem kleinen Hügel in der Nähe, von wo aus wir einen formidablen Ausblick auf dramatische Wolkenformationen und die umliegenden Hügel hatten, zurück gingen wir dann durch einen dunklen, duftenden Fichtenwald, und es war die Atmosphäre des Ankunftsabends im Urlaub, wenn man noch einen Abendspaziergang macht. 

Am nächsten Morgen lag ein toter Vogel vor der Haustür, ein Geschenk der Katze an die veganen Mitbewohnerinnen. Die Katze konnte übrigens auch Kunststücke, eine Folge aus der Coronazeit. Sie konnte High-Five, sich im Kreis drehen und auf die Schulter von S. springen. Wir aßen an diesem Wochenende löffelweise Erdnussbutter aus dem großen Glas, und den Dreck auf dem Küchenboden fegten wir diskret in eine Ecke. Als ich am Sonntagmittag zurück zum Bahnhof lief, kam ich an einer alten Tankstelle vorbei, in der jetzt ein Asia-Lieferservice war. Ich passierte ein äthiopisch-rumänisches Geschäft, sowie die "älteste Videothek der Welt", und am Bahnhof traf ich auf eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter - die Tochter trug ein Tiger-Oberteil und dazu eine Leopardenhose. Früh übt sich, wer Trendsetterin werden will!, dachte ich. Und wegen all dieser kleinen Erlebnisse (mal abgesehen von der schrecklichen Corona-Demo im März) fahr ich immer wieder gerne nach Kassel. 

Men at work (25.06.21)

Gestern war ich mal wieder an der Universität, seit langer Zeit. Auf dem Weg dorthin entwickelte sich ein Stau, ein Auto stand quer und der Grund war folgender: eine riesige Kabeltrommel stand mitten auf der Straße, das Bauarbeiter-Auto quer dahinter. Wie nun diese schwere Trommel von der Straße bewegen? Na klar, mit vereinten Kräften! Und dann ging es los: Der Chef, oder Vorarbeiter zählte bis drei, dann rollten die vier das Ding ein Stück weiter, dann wieder, 1,2,3, und wieder ein Stück, 1,2,3,.... es sah wirklich sehr anstrengend aus. Sie machten Geräusche wie "oaaahr" und "huaaah", und ich war beeindruckt. So was macht man also als Bauarbeiter. 

Am Nachmittag war ich dann im Baumarkt, Universal-Schmieröl für mein Fahrrad kaufen. Und im Baumarkt ist es ja immer so eine Sache mit den Service-Menschen. Erst fand ich überhaupt keinen, dann fand ich einen, der aber anscheinend taub war. Ich rannte ihm hinterher und rief, hallo, Hallo, Entschuldigung! Er ging weiter. Ich rief und lief, er hörte mich nicht. Dann sah ich, dass er gerade zu anderen Kundinnen hinging, die ihn um Beratung gebeten hatten. Mist. Also musste ich jemand anderen suchen. Manchmal habe ich übrigens den Eindruck, dass diese Mitarbeitenden sich vor den Käufer*innen verstecken, weil sie keine Lust haben, von allen Seiten genervt zu werden. Aber ich hatte Glück: In Gang 24 tummelte sich ein Exemplar, auf das ich mit Stechschritt zuging und um Hilfe fragte. Kurze Zeit später hatte ich, was ich brauchte und als ich an der Kasse stand, fiel mir auf, dass es das erste Mal seit acht Monaten war, dass ich wieder einen Baumarkt betreten hatte. 

Auf dem Weg zu meiner WG musste ich noch Mehl und Milch kaufen (als gute Hausfrau). Als ich aus dem Laden kam und zu meinem Fahrrad ging, kam mir mein Nachbar auf dem Fahrrad entgegen. Mein Nachbar kennt sich sehr gut mit Radreparatur aus und hatte sich bereits am Abend vorher mein Rad angesehen, weil ich den Reifen wechseln musste. Jetzt funktionierte die Schaltung und die Bremse nicht mehr so gut. Als ich ihm das zurief, hielt er kurzerhand an, und wir besahen mein Fahrrad auf dem Parkplatz des Supermarktes. Ich bekam fachmännische Tipps und musste immer rauf und runterschalten, während er die Kette inspizierte und daran herumfrickelte. Die anderen Kund*innen warfen uns bewundernde Blicke zu, vor allem, weil er noch seinen Full-Face-Mountainbike helm trug.  

An diesem Abend saß ich noch lange auf meinem blauen Camingstuhl und dachte darüber nach, was ich heute gelernt hatte: Die Männer, denen ich heute begegnet war, machten das, was sie machten, mit ganzem Einsatz. Wie löblich!

Wir sind alle eins (20.06.)

Irgendwo im Ruhrgebiet, an der Kreuzung Gelsenkirchener/Berliner Straße, stehen einige sehr graue Zechenhäuser, mit den typischen kleinen Gärtchen dahinter. Letztens fuhr ich mit dem Fahrrad an dieser sehr stark befahrenen Kreuzung vorbei, als plötzlich sehr laut ein Hahn krähte - direkt in einem der Gärtchen schien man sich wohl ein gefiedertes Hobby zugelegt zu haben. Ob das artgerechte Tierhaltung ist, sei mal dahingestellt (es ist keine, nur zur Information), trotzdem vermittelte es ein kleines Stück Landleben in einer sehr industrialisierten Gegend. Ist es eigentlich typisch deutsch, im Garten Tauben oder anderes Geflügel zu halten? Wir leben in einer globalisierten Welt, wo es nicht mehr von Belang sein sollte, wer woher kommt oder wessen Heimat wo ist, außer der Person selbst ist das wichtig. Wenn abends durch die Wohngebiete der Eiswagen mit seiner absolut nervtötenden Klingelmelodie fährt und und zwei Männer sich davor auf Italienisch unterhalten, finde ich das immer total schön. Ich grüße dann mit einem freundlichen "Buona sera", genau so wie ich mich bemühe, im Obst- und Gemüseladen meines Vertrauens herauszufinden, welche Sprache dort gesprochen wird (Arabisch und Kurdisch, der Inhaber musste Arabisch in der Schule lernen, weil Kurdistan unterdrückt wurde/wird). Irgendwie schäme ich mich immer, dass wir mit so vielen Menschen im Alltag zusammenleben, deren Geschichten und kulturelle Hintergründe wir nicht kennen. Wir akzeptieren sie zwar, bemühen und aber nicht, sie wirklich wahrzunehmen und von ihnen zu lernen. Stattdessen werden gewisse Dinge von ihnen erwartet, dass sie Deutsch lernen, dass sie h und nett sind, obwohl wir (und allein das ist schon wieder eine Pauschalisierung, die stark in Richtung Vorurteil geht), das so oft selber nicht sind. 

Die Einflüsse des Westens, und damit meine Ich: die USA, sind allerdings genauso präsent: Wenn die coolen Mädchen in der 10. Klasse meines Englischkurses noch das "Frozen"-Etui aus der Grundschule vor sich auf dem Tisch liegen haben und Elsa mich mit ihren überproportional großen Augen anstarrt. Oder wenn Mitte Juni die Jungs auf dem Schulhof "Jingle Bells" tröten, mit was auch immer für einem Instrument. Das lehrt mich immer wieder aufs neue, dass Kulturen sich gegenseitig beeinflussen, und dass es einfach nicht wichtig ist, wer sich wem irgendwo anpassen sollte. Sondern, dass wir offen füreinander sind und versuchen, die Vorurteile und Kategorien in unseren Köpfen zu hinterfragen. Tesekkürler, iyi günler!

Meldet euch doch endlich! (15.06.21)

Soziale Begegnungen brauchen Übung und sind trotzdem immer wieder komisch, das habe ich in den letzten Wochen gemerkt. Ohne Menschen ist man einsam, mit Menschen ist es kompliziert. Ich würde immer wieder das komplizierte wählen, auch wenn das immer mal wieder Frustration bedeutet. Ja, genau, es geht um das Thema Freundschaftspflege. Und ja, ich vergesse genauso manchmal, auf Sms zu antworten, gebe mir aber generell Mühe, dass das nicht so oft vorkommt. Was ich aber echt schade finde, ist, dass ich bei manchen meiner Freund*innen seit Wochen diejenige bin, die nachfragt. Klar, manchmal hat man viel zu tun und so weiter - trotzdem hasse ich das Gefühl, hängen gelassen zu werden, nicht wichtig genug zu sein. Während ich also fleißig meinen Kontakten texte und frage ob sie Zeit haben, kommt eher selten was zurück. Eher selten die Frage, "hey, wie geht's dir eigentlich? Hast du Lust mal wieder was zu starten?" Das hört sich jetzt ganz schön nach Selbstmitleid an, ich weiß. Und trotzdem muss es mal gesagt werden! Freundschaften leben doch davon, dass zwei Leute sich umeinander kümmern und nachfragen, was bei dem Gegenüber so läuft im Alltag. Oder vielleicht sind manche auch träge geworden, was das Treffen angeht? Ist ja auch vieles einfacher, so in der Zoomkonferenz vor dem Laptop. 

(Achtung Spoiler: Diese Ansicht teile ich nicht. Nullkommanull Prozent.) 

Die Frage ist nun: Was mache ich jetzt mit meiner Enttäuschung, mit dem Gefühl, irgendwo bestellt und nicht abgeholt worden zu sein? Obwohl, wenn man es genau nimmt, wurde ich ja nicht mal bestellt. Ich will nicht immer diejenige sein, die anderen hinterher rennt, das ist mir auf Dauer zu anstrengend. Option eins: Den Menschen, die mir lieb sind, die Freundschaft kündigen, aus Trotz. "Sollen die doch mal sehen, wie das ist." Oldschool, wie in der vierten Klasse. Das Problem hier ist, dass die Zeit, die ich mit meinen Leuten verbringe, ja dann doch immer sehr toll, um nicht zu sagen super, ist. Und lange sauer sein kann ich sowieso nicht. Zusätzlich hätte ich ja auch keinen Gewinn davon, sondern nur langfristige Bitterkeit. Option zwei: Mir neue, coolere Freundschaften basteln. Ginge bestimmt, blöd ist nur: Das geht nicht so von heute auf morgen. Es macht mich immer misstrauisch, wenn ich von Bekannten höre, die in eine neue Stadt ziehen und nach einer Woche überschwänglich berichten, dass sie schon "ganz viele neue Freund*innen gefunden haben". Ja klar. Wahre Freundschaften brauchen Zeit um sich zu entwickeln! Jahrelange gemeinsame Erfahrungen sind doch das, was viele Beziehungen ausmacht! Option drei: Selber eine gute Freundin sein, mich immer wieder bei den Menschen melden und nachfragen. Und dann, beim nächsten Treffen mal sagen, wie es mir geht. Ja, ich glaube, so könnte es gehen. 

Während ich diesen Text schreibe, bekomme ich eine Sprachnachricht von einer Freundin: "Hi, ich hab so lange nicht mehr geschrieben, sorry! Hoffentlich geht es dir gut, wenn du Zeit hast können wir uns gerne diese Woche treffen!" Tja, so ist das manchmal.

Fröhliches Tierleben (13.06.21)

Wenn ich morgens an der Kreuzung Gelsenkirchener/ Berliner Straße stehe und auf die grüne Ampel warte, höre ich aus einem Garten einen Hahn krähen, der mich daran erinnert, wie dringend ich Tiere vermisse. Letztes Jahr hatte ich ja für kurze Zeit eine Pflegebeteiligung für zwei Ponies, die musste ich dann leider aus gesundheitlichen Gründen irgendwann aufgeben. Seitdem sehne ich mich danach, wieder Kontakt zu allem zu haben, was gackert, kräht, bellt, wiehert oder was auch immer. Im Westpark bin ich eines Nachmittags Zeugin aktiven Konfliktmanagements: ganz links im Teich quakten vier Frösche um die Wette. Die Mieterin rechts daneben, ein Teichhuhn im Nest, machte sich derweil auf den Weg, sich mit einem anderen Teichhuhn zu treffen (wahrscheinlich zum Kaffee), musste dabei aber leider über einen der Frösche rüberwatscheln, der das leider nicht so toll fand. Daher das umso lautere Gequake. Der Frosch fühlte sich quasi "übergangen". Aber auch bei den Kanadagänsen ging es hoch her: Gänse an sich sind ja schon tendenziell aggressiv, vor allem wenn sie Küken haben. Dadurch aber, dass sich ein Kormoran in den künstlich angelegten Teich verirrt hatte, wurde es dort etwas eng. Ich rate also jeder Person, die von Sorgerechtsstreits in RTL2 Nachmittagstalksendungen gelangweilt ist, sich im Frühling in den Westpark zu setzen und Kormorane im Clinch mit Kanadagansmüttern zu beobachten. Wrestling ist nichts dagegen!

Weil ich nach diesem Nachmittag aber immer noch nicht genug hatte von der Fauna des Ruhrgebiets, machte ich mich auf in den Tierpark in Recklinghausen, wo ich sogar ohne Test reindurfte. Und die Maske musste ich nur im Vogelhaus aufsetzen, wo ich Wachteln und Papageien bestaunte. Als ich gerade wieder rausgehen wollte, kam eine Pflegerin mit einem Strauß Bambusästen und riet mir: "Wenn Se jetz ma wat richtig Schönes sehen wollen, bleibense noch 'n bissken hier!" Sie hängte das Büschel Bambus in das Gehege (nennt man das bei Vögeln eigentlich auch so?) und keine Sekunde später wühlten sämtliche befiederten Käfiginsassen in den Zweigen, rupften sie mit den Schnäbeln heraus und flogen damit herum. "Das ist ein tolles Spielzeug für die Kleinen!", erklärte die Pflegerin ganz gerührt. "Is dat nich ein toller Anblick?". Ich stimmte ihr zu, musste dann aber weiter, weil der Park nur noch eine halbe Stunde geöffnet sein würde. Und ich wollte noch die Esel, die Meerschweinchen, die Affen und die Ziegen sehen... Was ich dann auch gemacht habe. Den Esel streichelte ich, die Kaninchen- und Ziegenbabys waren so niedlich, dass ich fast in Ohnmacht fiel und die Hängebauchschweinchen wollte ich sowieso schon immer mit nach Hause nehmen. Wie sie da so im Sand lagen, alle viere von sich gestreckt, und in der Sonne dösten. Es muss ein anstrengendes Leben sein, so als Schwein im Recklinghäuser Tierpark. Was bin ich froh, dass es Tiere gibt.  

It's a men's Starwars-World und was ich daraus lerne (6.6.21)

Neulich fuhr ich mal wieder verhältnismäßig langsam morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit (=Schule), während mich bettflüchtige Senioren zügig auf E-Bikes überholten. Mit einem Ohr hörte ich Radio, weil meine Internetflatrate auf dem Handy und dementsprechend auch Spotify nicht funktionierte. Es war der vierte Mai, weshalb der unfassbar gutgelaunte Radiomoderator sich dazu bemüßigt fühlte, den Imperial-march von Starwars zu spielen. Als Erklärung dazu: Der Regisseur George Lucas hatte mal während eines Interviews den Star-wars Gruß "may the force be with you" an die Zuhörer gerichtet, der dann vom Dolmetscher übersetzt wurde mit "am vierten May (may the fourth) we'll be with you." Also: am vierten Mai werden wir bei euch sein. Seitdem ist der vierte Mai internationaler Starwars-Tag. Natürlich ist mittlerweile Juni, aber ein bisschen Allgemeinwissen kann ja nicht schaden. Der Imperial March bereitete mich also auf diesen Schultag vor, an dem ich dreierlei Dinge lernte: Erstens. Ich bin anscheinend zum Objekt geworden. Immer mal wieder bin ich im Alltag "das Fahrrad", wenn Leute mir auf dem Radweg Platz machen. In der Schule bin ich "das Praxissemester". Zweitens: Meine Schüler*innen sind der Meinung, man solle seine Freunde pflegen. Da bin ich ganz bei ihnen, nur wo mit soll man anfangen? Haare kämmen, Nägel schneiden, oder gar eine Nass-Rasur? Beim Thema Nässe muss ich direkt an die beiden kleinen Jungs denken, die im Regen auf dem Marktplatz neben dem Busbahnhof am Wasserkunstwerk spielen. Es ist wahrlich kein Sommertag, es ist nicht warm, alles ist grau- und diesen Jungen ist es total egal, sie rennen durch die Wasserfontänen, dass es nur so platscht. 

Drittens: Und dieser dritte Punkt führt wieder zurück zum vierten Mai: Einige Kollegen tragen FFP2 Masken, deren Ohrschlaufen sehr eng sind. So eng, dass sie die Ohren hängend aussehen lassen wie bei Meister Yoda, was ich sehr bezeichnend finde. Demnach bin ich wohl sowas wie der junge Yedi Luke Skywalker, denn: "viel lernen du noch musst." Im Lehrerzimmer hängt übrigens eine Karte, auf der ein Lehrer gefragt wird: "Warum bist du eigentlich Lehrer geworden?" Die Antwort darauf lautet: "Ich habe eine irrationale Angst vor Stille." 

Notizen aus dem Alltag - im Zug (13.05.21)

Am Essener Hauptbahnhof steht am Gleis vier auf dem Holzding, welche sich zwischen den Schienen befindet, "Anfang". Es sieht aus als sei es mit Graffiti gesprüht. Eine Aussage mutiger Jugendlicher? Oder einfach nur ein Bahnmitarbeiter, der sein Revier markieren wollte? Von was ist es der Anfang? Und vor allem - wie geht es jetzt weiter?

Mein Blick richtet sich außerdem auf den Heißgetränkeautomaten zwei Meter rechts von mir. Er trägt das Bild einer "coffee- lounge"- weiße Sessel, blauer Himmel, mit Blick auf das Wasser. Wenn ich daran denke, wie das Instant-gebräu in den Plastikbechern schmeckt, muss ich direkt an die Liedzeile denken: "Und die Plörre von der Tanke schmeckt wie Kaffee auf Hawaii..." Wie sich doch Fiktion und Realität immer wieder voneinander unterscheiden!

Im Zug werden mal wieder Ansagen gemacht. Weil ich aber den "fest und flauschig"-Podcast von Jan Böhmermann und Olli Schulz höre, verstehe ich nur einzelne Wortfetzen: ."... Sie haben folgende Anschlussmöglichkeiten: Ein Möchtegern-Regionalzug nach..." "...Grund dafür ist eine tägliche Störung am Zug.... Wir bitten Sie um Entschuldigung..."

Nach dem Podcast höre ich ein bisschen Punkrock. Die Ärzte. Der Zug hält am nächsten Bahnhof, ich seh aus dem Zugfenster einen Typen am Gleis gegenüber sitzen. Er hört auch Musik, und seine Füße wippen genau im selben Takt, wie das Lied was ich gerade höre.

Etwas später möchte ich Kaffee trinken. Ich habe mir extra einen Cappuccino (bitte Englisch aussprechen, Kaputschaino, das ist cooler, sagt jedenfalls Jan Böhmermann!) gekauft, auf den ich mich nun freue. Ich schaue mich also um, ob jemand in meiner unmittelbaren Nähe sitzt- nee, der Zug ist fast ganz leer. Dann lüfte ich die Maske und nehme einen großzügigen Schluck - in diesem Moment ruckelt der Zug, ich verschlucke mich, ein Großteil des Kaffees befindet sich nun in meiner FFP2 Maske. Aber die Assoziation zu Kaffeefiltern habe ich ja sowieso, seit ich diese Art Mundschutz das erste Mal getragen habe. Das Ding ist nur, dass ich keine Ersatzmaske dabei habe und nun die nächste halbe Stunde nassen Milchschaumkaffee einatme. Ob das so gut für die Atemwege ist?

Das dürfen wir leider nicht. (3.5.21)

Zu Anfang dieses Textes möchte ich direkt eines klarstellen: Ich bin dafür, dass man in verschiedenen Bereichen des Lebens kritisch ist, aber ich bin vor allem in Bezug auf die politischen Maßnahmen der letzten Monate KEINE Querdenkerin. Viel mehr geht es mir um eine Regelung, die ratzfatz alle Bäckereien und öffentlichen Einrichtungen mit WC erfasst hat. Seitdem kann ich diesen folgenden Satz nicht mehr hören: "Das dürfen wir leider nicht. Hygienebestimmungen." Ich kann es ja verstehen, dass es wichtig ist, die Kontakte so weit wie möglich einzuschränken. Da stehe ich hinter, auch wenn es hart ist. Wenn es allerdings darum geht, dass ich mit meinem Thermobecher alleine in eine Bäckerei gehe und frage, ob ich einen Kaffee bekommen könnte, und dann die Antwort lautet: "Wir dürfen leider nur die Pappbecher ausgeben", dann werde ich ziemlich sauer. Ich zwinge mich dann zu einem Lächeln und frage, ob die Verkäuferin den Kaffee nicht einfach in eine Tasse kippen könne, mir die Tasse dann geben und ich gieße den Kaffee um? "Nein, dürfen wir nicht." Dann schlägt sie mir allen Ernstes vor, sie könne den Kaffee ja in den Pappbecher gießen, und ich könnte ihn dann umgießen in meinen Behälter. Ja, herzlichen Glückwunsch, möchte ich sie anmeckern, dann hab ich den Papierbecher trotzdem benutzt und er wird weggeschmissen. Nervig, echt. Mittlerweile kenne ich glücklicherweise zwei kleine Bäckereien, die nach wie vor meinen Termobecher befüllen und damit der Umwelt etwas Gutes tun.

Noch schlimmer finde ich dieses "nicht dürfen" in Bezug auf öffentliche Toiletten. Denn eigentlich sollte es doch das Grundrecht eines jeden Menschen sein, öffentliche WCs zu benutzen. Eine Freundin von mir, die plötzlich menstruationsbedingt sehr dringend eine Sanitärmöglichkeit brauchte, wurde von sage und schreibe DREI Verkäuferinnen (die sich ja vielleicht ein klitzebisschen weiblich-solidarisch hätten zeigen können) in der Innenstadt abgewiesen. Sie hatte eine weiße Hose an, man sah genau, in welcher Bredouille sie sich befand. Und trotzdem ließ niemand sie auf die Toilette gehen, was für mich echt schon an Menschenrechtsverletzung grenzt.

Und was dann am allerheuchlerischsten daherkommt, ist die Tatsache, dass es gleichermaßen kein Problem darzustellen scheint, Bargeld anzunehmen. Die Verkäuferinnen tragen schließlich nicht immer Handschuhe. Das ist, als wenn eine Person von sich behauptet, strikt vegan zu leben, sich dann aber in der Kantine regelmäßig die Schwäbischen Maultaschen bestellt, weil, "da ist ja nur so Grünes drin". In diesem Sinne ermutige ich euch Bäckereiverkäuferinnen und sonstige Angestellte im öffentlichen Raum: Wagt doch mal den zivilen Ungehorsam und lasst ein bisschen Raum für Menschlichkeit.

und der Rest ist Alltag (28.04.21)

Neulich ist mir ein weiteres Mal klargeworden, dass das Leben ja zum Großteil aus den täglichen Kleinigkeiten besteht. John Lennon hat mal gesagt, zumindest wird ihm dieses Zitat zugesprochen (vorsicht, Postkartenspruchalarm!): "Life is what happens while you're busy making plans." Während man also denkt, das wahre Leben fängt erst dann an, wenn man a) volljährig ist b) mit dem Studium fertig, c) eine*n Partner*in findet et cetera, und deshalb immer auf gewisse Punkte hinarbeitet, schätzt man die kleinen Details der ganz gewöhnlichen Dienstage doch ein bisschen zu wenig wert. Und deshalb habe ich heute mal wieder ein paar dieser Details gesammelt. Am Morgen früh bekam ich den Eindruck, von einem großen Fisch geschluckt zu werden, als ich mit meinem Rad in den Bus einsteigen wollte und die Türen mich einklemmten. Dieser Fisch bewegte sich dann sehr ruckartig durch den Stauverkehr, regelmäßig fielen die Leute von den Sitzen, weil der Fahrer auf die Bremsen trat, als ginge es um Leben und Tod. Ich beschloss, so früh wie möglich wieder auszusteigen. Stolperte aus dem Bus heraus, verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den Gehsteig, als sei ich ausgespuckt worden. Die anderen Fahrgäste starrten regungslos weiter geradeaus. Naja, ein blauer Fleck mehr. Auf dem Radweg zur Schule passierte ich: eine leere Kondompackung im Wald hinter dem Tennisplatz des Elitegymnasiums, sowie eine abgeschnittene Narzisse, eine volle Windel, eine Wurstpelle. Was die Leute alles so liegenlassen!

Im Englischunterricht war Stillarbeit mit fünf Schüler*innen. Die offenen Fenster trugen einiges an Lärm aus dem gegenüberliegenden Klassenzimmer herüber. Ein Schüler beschwerte sich, fragte, ob er diejenigen, die da so laut waren, um Ruhe bitten dürfte. Ja, aber nur, wenn du es EINMAL SCHAFFST, niemanden dabei zu beleidigen! Der Besagte lehnte sich aus dem Fenster und tönte: "Entschuldigung- könnt ihr mal bitte leiser sein!" Als wir gerade stolz auf ihn sein wollten, fügte er hinzu: "Ihr A***löcher."

Im lächerlich verschwenderisch kitschigen Abendsonnenschein auf dem Weg nach Hause radelte ich an einem Parkplatz vorbei, zwei kleine Jungs waren gerade dabei Pferd zu spielen. Als sie mich sahen, grüßten sie mich: "Guten Morgen!" Ich antwortete: "Auch guten Morgen! Oder auch: guten Nachmittag." Sie riefen mir hinterher: "Gute Nacht!"

Während ich mich schämte, weil ich vor dem Altglascontainer mal wieder merkte, dass ich die Blechdeckel nicht abgeschraubt hatte, kamen ein Vater und sein kleiner Sohn vorbei. Der Vater trug den Kindergartenrucksack, der Sohn ließ verlauten:" Paaapaaa, mein Popo tut sooo weh! " Das tat mir sehr leid. Vati konnte ihm allerdings, so weit das zu beurteilen möglich war, nicht weiterhelfen.

Und den Rest des Abends beobachtete ich, wie sich die bunten Tulpen im Wind wiegten. Das ist es also, das Leben!

 

 

 Kaiserschnitt - wie ich meine Haare spendete (26.04.21)

Momentan mangelt es an Abenteuer im Alltag. Leider habe ich nicht, wie eine Bekannte von mir, einen Igel im Garten gefunden, deshalb musste etwas anderes aufregendes her. Seit zweieinhalb Jahren züchte ich meine Haare, weil ich zu faul bin, zum Friseur zu gehen. Weil ich dort schon die herablassendsten Kommentare bekommen habe. Eine Freundin von mir hatte mir bereits im Jahr 2016 davon erzählt, dass sie ihre Haare an eine Perückenorganisation spenden wollte. Was für eine gute Idee! Ich fing also an, mit dem Gedanken zu spielen. Dafür brauchte ich aber natürlich erst einmal lange Haare. Das bedeutete: Warten. Warten. Warten. In der Zwischenzeit schlug ich mich mit dem Fön herum, mit dem Bürsten und mit den Mengen an Shampoo, die ich brauchte. Ich fror, wenn meine nassen Haare auf meinen Schultern lagen, ich schwitzte, wenn mal wieder eines der Zopfgummis im Sommer kaputt ging und ich mir keinen Dutt machen konnte. War es windig, verwehten die Strähnen mir die Sicht und ich lief Gefahr, mit dem Fahrrad gegen Laternen zu fahren. Kurzum: Es nervte. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass man natürlich dankbar sein kann, wenn man natürlichen Haarwuchs hat. Genau aus dem Grund wollte ich sie auch verschenken, meine Zöpfe. Denn man muss Zöpfe flechten, die man dann abschneidet und per Post verschickt.

Und letzten Freitag, ich sträubte mich mal wieder gegen das Duschen, weil ich nicht der Typ dafür bin, Duschen und Haare waschen zu trennen. Auch bin ich zu faul, wie bereits oben angemerkt. Was also tun: Ich suchte meine Schwester in ihrem Zimmer auf und verkündete mit gewichtiger Stimme, dass es nun an der Zeit sei. Wir schritten ins Badezimmer, ich kämmte meine Haare, wir flochten drei Zöpfe. Klar, ein Vorher-Foto musste auch gemacht werden. Dann ging es los - der erste Zopf. Das Geräusch des Abschneidens nahmen wir mit dem Smartphone auf, weil es so bedeutungsschwer ist. Schnipp, Schnapp, dann mussten auch die anderen beiden dran glauben. Schließlich besserte meine private Hobbyfriseurmeisterin noch ein wenig nach, und ich spürte die körperliche Erleichterung, die mit meinem, ich nenne ihn mal ganz feministisch, Bubikopf, einherging. Haare sind nämlich mit der Zeit echt schwer.

Den ganzen restlichen Abend lief ich also von Spiegel zu Spiegel, schämte mich wegen meiner Eitelkeit und fuhr immer wieder mit der Hand hinten am Kopf entlang - alles raspelkurz! Am nächsten Morgen wachte ich auf, taperte mit müden Augen ins Badezimmer und, Ach ja, stimmt, da war ja was gestern! Die Zöpfe begrüßten mich von der Kommode aus und ich musste daran denken, was meine Schwester am Abend gesagt hatte: "Verrückt, wie sie im einen Moment noch ein Teil von dir sind und kurze Zeit später schon ein Fremdkörper." Stimmt, jetzt waren sie nicht mehr meine Haare, sondern nur noch tote Hornmasse. Aber, und das hoffe ich zutiefst, bald werden sie wieder den Kopf einer Person zieren, ihren Dienst tun und für ein Stück Glück sorgen...

Ein kalter Ostersonntag in Ennepetal (04.04.21)

Mal wieder war es Zeit für eine umständliche Fahrrad-Bus-Aktion, dachte ich vor einigen Tagen bei mir, als ich auf eine Kleinanzeige antwortete. Es ging um einige Didaktikbücher, die ich für mein Studium brauchte, die ich aber nicht neu bestellen wollte (Plastik und so) und die ich mir auch nicht schicken lassen wollte (CO2 und so). Also machte ich mich auf die Suche und wurde fündig in: Ennepetal-Rüggeberg. Gar nicht so weit entfernt von meinem Wohnort, dachte ich - und weil ich an Ostersonntag noch nicht groß was vor hatte, machte ich mich mal wieder auf den Weg. Dazu muss man wissen, dass ich es nicht mag, ständig auf meinem Handy den Weg zu ergoogeln. Lieber schreibe ich mir die Route auf und verfahre mich deshalb regelmäßig, weil ich dann doch nicht den besten Orientierungssinn habe.

So handhabte ich es auch dieses Mal wieder, mit dem kleinen Unterschied, dass ich mittlerweile eine Internetflatrate habe und deshalb vor dem Gröbsten-Lost-Sein geschützt war. Aber SCHAFFEN wollte ich es eben ohne! Also gurkte ich mit dem Bus nach Haßlinghausen, von da aus stieg ich um und stand schließlich am Ennepetaler Busbahnhof. Es war kalt, alles war zu, es war wolkig. Und ich fuhr natürlich erstmal mit dem Rad in die falsche Richtung. Wie immer eigentlich. Dann drehte ich wieder um, fand den richtigen Weg und zocktelte an der Ennepe entlang, bis irgendwann das unvermeidliche kam - denn wenn man sich in einer Stadt befindet, die das "Tal" im Namen trägt, aber in einen Stadtteil radeln muss, der "Rüggeberg" heißt, dann sind Bodenerhebungen zu erwarten. So schob ich dann mein Gefährt, die Steigung wurde mit 14 Prozent angegeben, ich hielt inne um Stirnband und Schal abzulegen, mein Gesicht war wahrscheinlich knallrot. Die Tannen rauschten, und ob ich hier wirklich auf dem richtigen Weg war, dessen war ich mir nicht mehr ganz so sicher. Bis dann schließlich das ersehnte Dörfchen kam, mit der obligatorischen Dorfkirche und den blühenden Vorgärten, den vergilbten Infotäfelchen und dem "Lädchen", welches zu Wochentagen wohl einiges an Viktualien feilbot. Heute leider ebenfalls zu.

Die Bücher, die ich dann an der Haustür (kontaktlos) vorfand, waren größer als ich dachte, und mein Rucksack dadurch schwerer. Puh, aber: ich war ja nicht aus Zucker. Also fuhr ich weiter, zurück in Richtung Ennepetal Busbahnhof. Es ging bergab, mir wurde in kürzester Zeit frostig kalt, gleichzeitig macht es nun mal einfach sehr, sehr viel Spaß, einen Hügel hinabzudüsen bis die Augen tränen!

Übermütig beschloss ich, einfach noch weiter bis nach Gevelsberg zu radeln, jetzt wusste ich ja wieder genau, wo ich mich befand. Und in Gevelsberg dachte ich dann, dass ich auch einfach das letzte Stück bis nach Haßlinghausen mitnehmen könnte, weil die Busse an Feiertagen ja eh nicht so oft fahren und ich wahrscheinlich irgendwo stehen müsste und warten. Nach Haßlinghausen führte eine weitere endlose Straße bergauf, meine Füße, die in dünnen Socken steckten, fühlten sich relativ taub an, meine Nase lief und ich musste lachen, als ich daran dachte, was andere Menschen wohl an Ostersonntag so machen. Dann, während ich (natürlich) am Busbahnof Haßlinghausen noch eine gute halbe Stunde warten musste, quatschte ich telefonisch mit einer Freundin und kühlte weiter aus.

Aber alles in allem konnte ich zufrieden sein: Ich hatte meine Bücher und war nicht in irgendeinem Wald gelandet. Und zuhause wartete heißer Kakao auf mich!

Gendern und BiPoC (31.03.21)

Neulich habe ich einen Artikel in einer überregionalen Zeitung gelesen, er behandelte das Thema "Identitätspolitik". Der Autor ließ sich darüber aus, dass die ganze Debatte so viel Raum einnehme in der Gesellschaft. Seine Argumente waren die eines bequemen Sprachtraditionalisten, für den alles am liebsten so bleiben sollte, wie es war: Jeder bräuchte eine Sonderbehandlung, man käme mit der Erfindung neuer Begriffe ja schon gar nicht mehr hinterher. Außerdem geschehe diese ganze Akademisiserung von Sprache rein aus ökonomischen Gründen, weil die Gruppen, die sich für das Neudenken von Sprache einsetzen, ja schließlich finanziert werden müssten.

Sorry, aber: So ein Quatsch. Von vorne bis hinten waren die Aussagen des Autors fadenscheinig, bequem und oberflächlich. Allein die Ansicht, dass man mittlerweile schon ganz schön "schlau" sein müsste, um bei der politischen Korrektheit noch durchblicken zu können. Damit erklärt der Verfasser, dass dieses Attribut der Intelligenz auf ihn leider nicht zutrifft, wenn er nicht begreifen möchte, dass BiPoC eben Black Indigenous People of Colour bedeutet. Scheint ja wirklich sehr schwierig zu sein, wenn das Ganze dann auch noch auf Englisch abläuft! Diejenigen, die eine Verkomplizierung der deutschen Sprache befürchten, zeigen damit leider, dass sie selbst sehr einfach gestrickt sind und nicht in der Lage, den Siegeszug von Diversität (der leider immer noch lange nicht so weit fortgeschritten ist, wie es nötig wäre) in der Gesellschaft zu akzeptieren.

Es geht aber noch weiter: Nach dem er wie selbstverständlich das N-Wort ausschreibt, erklärt er, dass "das Alles" erst nach einigen Gläsern Alkohol Sinn ergeben würde. Damit ist klar, auf welcher Niveaustufe sich der Autor bewegt. Dann kommt noch das dicke Ende, wenn er sich beschwert, dass man ja im Taxi den Taxifahrer nicht mal mehr fragen dürfe, wo er denn herkomme, also, so URSPRÜNGLICH. Damit geht er wie selbstverständlich davon aus, dass jede*r Taxifahrer*in per se "ja wohl nicht von hier sein könne". Und dass deshalb jede Smalltalk gesprächskultur bei Taxifahrten verloren ginge. Weil die Herkunftsfrage natürlich, natürlich, die einzige Frage sei, die man in einer solchen Situation stellen könne. Was ist denn, wenn die fahrende Person antwortet: "Ich komme aus Berlin Neukölln, aber gebürtig aus Kreuzberg"?

Mein Problem mit solchen Einstellungen ist, dass linguistischer Fortschritt verweigert wird und die Vertreter solcher Ansichten mit verschränkten Armen in der Ecke stehen, wenn sie mit gesellschaftlicher Realität und Veränderung konfrontiert sind. Denn Sprache ist nun einmal Verbunden mit Lebenswelt. Und wenn Menschen, leider sind es in meiner Erfahrung immer Cis-Männer, sich beschweren, dass doch irgendwann auch einmal Schluss sei mit dem Verschandeln von Sprache, sie das aus der Perspektive derer tun, die ja gemeint sind und es immer schon waren, wenn man sich weiterhin nur mit dem generischen Maskulinum ausdrückt. Lehrer. Politiker. Der Rest aber ist an den Rand gedrängt.

Krawall in Kassel (31.03.21)

Kassel ist eine meiner Lieblingsstädte. In der letzten Zeit passieren dort allerdings immer mehr Dinge, deretwegen ein Kopfschütteln ein Understatement sondergleichen darstellt. Das fing mit dem Mord an Walter Lübcke vor zwei Jahren an. Der Täter war ein rechter Extremist, er schoss den Politiker direkt in den Kopf. Kurze Zeit später fand eine Nazi-Demo in Kassel statt, die aber glücklicherweise von 15.000 Gegendemonstranten erwidert wurde. Dennoch war die Tatsache, dass diese Demo überhaupt genehmigt wurde, erschütternd.

Seit einigen Wochen erlangt die nordhessische Stadt vermehrt traurige Berühmtheit, unter anderem, weil eine gewisse Querdenkerin namens Jana sich in einer Rede mit der Widerstandskämpferin Sopie Scholl verglichen hat und damit dem Wort "Geschmacklosigkeit" eine neue Definition verliehen hat. Aber das war leider erst der Anfang: Vor zwei Wochen fand eine riesige Anti-Corona-Demonstration in Kassel statt. Eine Freundin von mir, L., die seit Jahren dort wohnt, berichtete von einer Masse an Menschen, die ohne Maske und ohne Abstand durch die Innenstadt zogen. Als ich sie anrief, beschrieb L., dass sie vor Wut beinahe angefangen hätte zu weinen. Es waren insgesamt 20.000 Querdenker aus ganz Deutschland und umliegenden Ländern, die sich an keine einzige der Regeln gehalten hatten und zudem gewaltbereit agierten. Nicht wenige der Demonstranten hatten sich Judensterne an die Kleidung geheftet, auf denen "ungeimpft" zu lesen. war. Es ist eine Sache, von solchen Vorkommnissen in der Zeitung zu lesen - dann scheint die ganze Situation weiter weg. Wenn dann aber jemand direkt davon berichtet, der der Gegendemo (circa 30 Leute, mit Maske, mit Abstand) dabei war, ist auf einmal nichts mehr weit weg. L. wurde von den Querdenkern angeschrien, dass sie "endlich aufwachen solle", Fahrräder wurden demoliert, Bierflaschen gegen Fensterscheiben geworfen. Ich war geschockt als ich das hörte.

Ein paar Tage später erzählte sie am Telefon, dass sie im Blumenladen gewesen war. Eine etwas ältere Kundin hatte ohne Mund-Nasen-Schutz den Laden betreten und sich mit der Verkäuferin angelegt, bis diese kurz davor vor einem Wutausbruch stand. Die Verkäuferin erzählte später, dass sie jeden Tag in den Konflikt mit solchen respektlosen Kund*innen käme und mit den Nerven mittlerweile am Ende sei.

Ein anderer meiner Bekannten arbeitet als Arzt in der Stadt. Auch er muss sich immer öfter mit Patient*innen auseinandersetzen, die ohne Maske in die Praxis kommen und extrem streitlustig sind. Eine ältere Dame hätte, nachdem er sie mit einem "bitte bleiben Sie gesund " aus der Praxis verabschiedete, darauf geantwortet: "Das ist das neue 'Heil Hitler'".

 

This is ourselves under pressure (31.03.21)

Es ist Donnerstagnachmittag, und ich stehe am Wanne-Eickeler Hauptbahnhof, panisch. Ich tigere herum und fingere schließlich hektisch mein Handy aus meinem Rucksack. Dann renne ich mitsamt meines Rades wieder aus dem Bahnhof heraus und meine Brillengläser beschlagen mal wieder unter meiner FFP2 Maske. Ich sehe schon, wie meine Migräne an der nächsten Ecke wartet und sich händereibend auf ein sehr gutes Geschäft mit meinen Nerven freut.

Wie es wohl zu dieser Situation gekommen ist? Das war so: Ich wollte am Donnerstagnachmittag zu meinen Eltern fahren, aber nicht ohne einen Schnelltest gemacht zu haben. Gleichzeitig musste ich ich an genau diesem Nachmittag noch eine Online-Klausur schreiben, von 16-18 Uhr. Das gedachte ich von meinen Eltern aus zu tun und hatte zu diesem Zweck meinen äußerst schweren Laptop im Rucksack, weshalb ich immer wieder kurz davor war, nach hinten über zu kippen. Jedenfalls hatte ich die Möglichkeit an der Schule, an welcher ich gerade arbeite, einen kostenlosen Test zu machen. Der Test war um 13.30.

Wer mich kennt, der weiß, dass ich gerne (zu) knappe und unübersichtliche Zeitstrukturen in meinen Alltag integriere. Das führt eben genau zu solchen Nachmittagen: Um 14 Uhr war ich mit dem Test durch (negativ) und dachte, dass ich dann bequem um 14.30 den nächsten Zug zu meinen Eltern nehmen könne, um dort um 15:45 online zu sein und mit der Klausur zu starten. Regelmäßig hatte ich auf der DB-App die Abfahrtszeit des Zugs gecheckt, er schien pünktlich zu kommen. Pustekuchen. Um 14.30 kam weit und breit kein Zug. Plötzlich dann die Anzeige: "Personen im Gleis in Duisburg, der Zug kommt mindestens 30 Minuten später." Da ich wegen einer solchen Begebenheit letzten Sommer schonmal 2 Stunden nachts am Kölner Hauptbahnhof zugebracht hatte, wurde ich kribbelig. Und was mache ich, wenn ich verzweifelt an irgendeinem Bahnhof stehe und nicht wegkomme? Genau, ich rufe meine kleine Schwester an. "Kannst du mich bitte abholen???" Schrie ich ins Telefon, um die Dringlichkeit meines Anliegens zu verdeutlichen. Glücklicherweise hatte sie Zeit und stieg direkt ins Auto. Um 15 Uhr kam sie dann am Parkplatz an, ich hechtete über die Kreuzung, wir wuchteten mein Fahrrad (wie so oft, wenn sich ökologisches Bewusstsein nicht mit der Verlässlichkeit der Bahn verträgt) ins Auto und jagten nur so über die Straßen... Zuminest hatten wir das vorgehabt. Denn das Ruhrgebiet hatte an diesem Tag beschlossen, alle Ampeln auf Rot zu stellen. Was für einen Hass ich auf automobile Infrastrutkur entwickelte! Dann fiel uns auch noch auch noch die seit längerem blinkende Tankanzeige auf, was meine Schwester dazu brachte, direkt bei der nächsten Tankstelle wieder anzuhalten, weil sie Angst hatte, auf der Autobahn plötzlich stehen zu bleiben. Mein Blick klebte an der Zeitanzeige des Armaturenbrettes. 15.15. 15.20. 15.25.15.30. Ich war sicher, es nicht mehr zu schaffen und meinen Erstversuch zu versemmeln. Aber wie durch ein Wunder waren wir um Viertel vor vier zu Hause. Ich sprintete grußlos an meiner verwirrten Mutter vorbei in mein ehemaliges Kinderzimmer, fuhr den Laptop hoch und dachte, dass mein Herz solche Aktionen wahrscheinlich gar nicht lange gutheißen würde... Dann nahm ich eine Kopfschmerztablette.

Wer alles weiß, hat keine Ahnung (6.3.21)

Gerne wäre ich souveräner, schließlich bin ich jetzt 26 Jahre lang auf diesem Planeten und habe einiges an Lebenserfahrung gesammelt. Trotzdem gibt es Tage, an denen ich das Gefühl habe, das Leben lebt mich und nicht andersrum. Nix mit Coolness und Professionalität! Wenn ich zum Beispiel mit dem Fahrrad momentan mit dem Fahrrad unterwegs bin und mich gefühlt JEDER überholt, weil ich keine Kondition habe. Das liegt aber auch daran, dass ich momentan Allergie habe- oder auch HeuLschnupfen, wie es mein Vermieter nennt. Ich träne und schniefe mich also mit Ach und Krach durch den Tag, gefühlt läuft alles aus meiner Nase direkt in die FFP2 Maske. Dazu beschlägt und verschmiert meine Brille und ich bin kurz davor, mich seufzend und schulterzuckend auf die Straße zu setzen und zu warten, bis jemand mich abholt, der WIRKLICH erwachsen ist.

Oder wenn auf der Toilette das Klopapier alle ist und ich es nicht hinbekomme, den Anfang der neuen Rolle so abzupfriemeln, dass man das Papier vernünftig abrollen kann. Bin ich die Einzige, die immer wieder einen Fetzen Klopapier in der Hand hält anstatt ein paar ordentlich gefalteter Blätter? Oder bin ich spießig, wenn ich mich nach ebenjener Ordnung sehne? Zum Thema Ordnung fällt mir ein, dass ich letztens mit einem Jutebeutel voller Altglas den Berg in die Stadt runterfuhr und vergaß am Altglascontainer zu halten. Den gesamten Nachmittag trug ich den Beutel mit mir rum, weil danach kein Container mehr auf meinem Weg lag. Abends fuhr ich wieder nach Hause, ich fuhr den Berg wieder hoch, um dann zu merken: Ich hatte den Altglas-jutebeutel immer noch dabei. Wollte aber den Berg nicht noch einmal runterfahren. Fragte darauf hin ein älteres Ehepaar, das meinen Weg kreuzte, ob es in der Nähe noch einen Container gebe? Der Herr, der mir antwortete, trug (das sei nur nebenbei bemerkt) den größten Schnurrbart, den ich je gesehen hatte. Er verneinte meine Frage und wies daraufhin, dass man nach 19 Uhr ja sowieso kein Altglas mehr wegbringen dürfe. Bedröppelt trug ich also mein Altglas wieder nach Hause, während mir vom dunklen Waldesrand her ein - ziemlich höhnisches!-  Käuzchen hinterher rief. Am Abend wollte ich noch etwas produktiv sein, weil ich schon am Nachmittag während meines Uniseminars beileibe nicht zugehört, sondern stattdessen das Badezimmer geputzt hatte. Die Konsequenz meines Bestrebens war, dass ich mir in aller Eile die Hand am Wäscheständer einquetschte, so dass ich einen Verband tragen musste. Auch der Toaster wurde nicht mein Freund, als ich ein altes Brötchen anfeuchtete, um es dann zu rösten. Der folgende Kurzschluss tauchte das ganze Haus in Dunkelheit und erneut wurde ich an meine 4- im Physikunterricht erinnert. Strom. Wasser. Keine gute Kombi.

Aber, und das ist die Moral von dem Chaos, das ich meinen Alltag nenne: "Wer alles weiß, hat keine Ahnung!" Also schaute ich zum Trost "Titanic" mit meiner Schwester -  weil bei Titanic schließlich auch nicht alles geklappt hat.

 

UVP - Unverpackt (28.2.21)

Schon seit einigen Jahren bin ich mit der Plastikverpackung auf Kriegsfuß. Auch wenn ich sonst pazifistisch orientiert bin, würde ich dem Kunststoff am liebsten in jeglichen Lebensbereichen den Kampf ansagen! Das fing mit den Obst- und Gemüsetüten im Supermarkt an, die ich beim Einkaufen nicht mehr benutzte. Groß war die Freude, wenn an der Kasse die Äpfel über das Förderband kullerten und die Kund*innen nach mir die Stirn runzelten, weil alles etwas länger dauerte.

Als nächstes entdeckte ich dann die Unverpacktläden, bei denen ich anfangs immer ganz selten kaufte. Vieles war mir einfach viel zu teuer, als Studierende. So dachte ich zumindest. Dann änderte sich meine Perspektive mit der Zeit jedoch immer mehr - vor allem, weil ich quasi dabei zusehen kann, wie die Müllberge auf unserem Planeten immer weiter wachsen. Dass Länder wie Österreich ihren Plastikmüll mittlerweile outsourcen nach Malaysia, weil er dort recycelt werden kann. Klar, dass damit auch Geschäfte und Jobs stattfinden, dass Leute damit ihr Geld verdienen. Viel nachhaltiger und umweltschonender wäre es natürlich, wenn der ganze Kram gar nicht erst produziert würde. Und weil mir dieses Thema immer wichtiger geworden ist, war ich auch bereit, mehr Geld in Lebensmittel zu investieren. Seit einigen Monaten versuche ich nun also, so wenig Verpackungen wie möglich zu kaufen. Leider ist das echt schwierig in konventionellen Supermärkten, wo zumindest im Kühlregal so ziemlich alles in Plastik ist. Bis so ein Joghurtbecher sich allerdings zersetzt hat, kann es gut und gerne schonmal 400 Jahre dauern. Es spricht also eine ganze Reihe an Argumenten dafür, sich bewusster mit seinem eigenen Konsumverhalten auseinanderzusetzen und zu hinterfragen, ob die Art und Weise, wie man bis jetzt eingekauft hat auf reiner Bequemlichkeit fußt - oder ob jetzt wirklich mal der Zeitpunkt gekommen ist, etwas zu verändern? Für mich stand also fest: So wie bisher konnte es für mich nicht weitergehen. Und was soll ich sagen: Dieses Versprechen verlangt mir zwar schon einiges ab und ich verzichte auf manche Produkte, die ich mir sonst "einfach so" gekauft hätte. Wenn es sie aber nur in Plastik gibt, ist für mich mittlerweile die Konsequenz, dann dies oder jenes eben nicht haben zu können. Ich stelle mir nämlich immer wieder die Frage: Was brauche ich denn wirklich, um gut leben zu können? Ist es für mich jetzt wirklich so ein großer Extraaufwand, für meinen Joghurt im Pfandglas zu einem etwas größeren Supermarkt zu fahren? Gebe ich wirklich so viel mehr Geld für Lebensmittel aus als noch vor einiger Zeit? Habe ich jetzt weniger finanzielle Mittel zur Verfügung? Ich stelle immer wieder fest: nein, das ist nicht so. Vor allem merke ich, dass es mir auch nichts ausmacht, für manche Dinge nun eben mehr zu bezahlen. Ich mache das gerne, weil ich weiß, dass es sich langfristig lohnt. Und wenn man die Augen aufmacht, sieht man schnell, wie viele Dinge es glücklicherweise auch ohne Verpackung zu kaufen gibt.

Bäume fallen (12.2.21)

Mal wieder stehe ich kurz vor einem Ohnmachtsanfall, umwelttechnisch bedingt. Denn in meiner Heimatstadt soll eine Silberlinde gefällt werden, zusammen mit ein paar anderen Bäumen. Die Fällaktion ist bereits von der Stadt genehmigt worden, der Platz soll ausgerechnet für Garagen genutzt werden. Da frage ich mich schon, ob die Verantwortlichen in den letzten Jahren mitbekommen habe, was die Funktion von Bäumen ist. Bäume. Nennt man auch Sauerstoffproduzenten. Im Vergleich dazu: Autos. CO2 Maschinen, die mit für den Klimawandel verantwortlich sind. Bäume sind Lebensraum für unfassbar viele Lebewesen, sie spenden Schatten und werden gerade in Städten gebraucht, um die Temparatur im Sommer zu senken. Warum, warum, warum genehmigt dann eine Stadt die Fällung von 17 solcher wichtigen natürlichen Klimastabilisierer? Dieses Gefühl der Machtlosigkeit hinsichtlich einer solchen Dummheit ist echt schwer auszuhalten. Es ist, als hätte es die letzten drei Dürresommer für bestimmte Verwaltungsakteure nicht gegeben. Ignoranz scheint hier dick und fett über der ganzen geplanten Fällaktion zu blinken.

Das Argument, was dann eingebracht wird, dass ja auch Bäume gepflanzt würden zum Ausgleich - ist vergleichsweise hinfällig. Denn gerade junge Bäume haben extrem gelitten in den letzten Sommern, weil sie noch nicht kräftig genug sind um einer längeren Trockenheit standzuhalten. Außerdem hat es auch mit Respekt vor der Natur zu tun, Bäume, die zum Teil dreißig Jahre alt sind, nicht zu fällen, sondern sie als Beitrag zur Biodiversität zu würdigen.

Eine weitere Bausünde, über die ich mich noch aufregen muss, sind die berüchtigten Steingärten, umzäunt von Metall und Kunststoff, in Grau-Schwarz gehalten. Tatsächlich hat es Baden-Württemberg als ein grün-vorbildliches Bundesland geschafft, diese Art der (Vor-)Gartengestaltung im Zuge des Naturschutzes zu verbieten. Und auch in NRW ist es offiziell nicht gestattet, sich sein Grundstück auf solche Weise zu verschandeln. Leider sind die Behörden da nicht ganz so streng bei der Nachverfolgung und die Konsequenz sind eine wachsende Zahl unansehlicher farbloser Metallburgen, ähnlich einem Gefängnis. Absolut nicht nachvollziehbar.

Was mich allerdings am meisten stört: dass jegliche Kritik an umweltschädigenden Baumaßnahmen sofort ins "Grüne" marginalisiert wird. Als befänden wir uns noch in den 80ern, in denen man diese Ökofreaks nicht ernst nehmen musste, die vor einem Atomkraft werk demonstrierten. Kurze Erinnnerung: Wir schreiben 2021. Jegliche Klimaabkommen wurden bis jetzt verfehlt, die Gletscher schmelzen und die globale Temparatur steigt. Und wir könnten etwas dagegen tun, wenn wir akzeptieren, dass Umweltschutz keine Randerscheinung mehr sein darf, sondern in die Mitte der Gesellschaft gehört.

Open petition:

https://www.openpetition.de/petition/online/gegen-die-faellung-der-silberlinde-in-marl

openpetition.de/!qngzc
openpetition.de/!qngzc

 

Wintersport 2 (10.2.21)

Muskelkater habe ich. Warum? Weil ich gestern echt wintersportlich unterwegs war! Von meinen ersten staksigen Versuchen auf den Langlaufskiern habe ich ja bereits berichtet. Gestern vormittag hatte ich eine Klausur, während die Sonne draußen so schön alles in gleißendes Licht tauchte, dass ich einfach rausmusste. Mein Bruder war auch schon joggen gewesen und sagte, es sei kein Problem! "Keine schlechten Ausreden!" ermahnte ich mich also und schnürte meine Laufschuhe. Und was soll ich sagen? Es funktionierte tatsächlich! Eigentlich hatte ich gedachte, dass man nur so vor sich hinrutscht, wenn man bei Schnee laufen geht, aber es war eine wahre Freude, durch die kalte Luft zu rennen und alles, was mit der Uni zutun hat, hinter sich zu lassen. Nach einer Dreiviertelstunde war ich zwar erst so richtig warmgelaufen, hatte aber noch einiges am Laptop zu tun. Aber das Wetter war doch so gut und ich wollte doch auch die Skier nochmal ausprobieren... Am späten Nachmittag machte ich mich also noch ein zweites Mal auf den Weg, mit meinen 80er Jahre Schneeschuhen und warm eingepackt. Das Problem bei Wintersport ist ja nur leider, dass man in nullkommanix schwitzt - aber da musste ich durch! Am Anfang schämte ich mich noch, dass mich die Leute sehen würden. Warum denkt man eigentlich immer darüber nach, was die Leute denken?

Das Beste war dann aber, dass jede*r mir Entgegenkommende durch mich zum Lächeln gebracht wurde, vor allem weil ich mir vorgenommen hatte, alle anderen Spaziergehenden zu grüßen - und es klappte! Einzelne riefen mir sogar ermutigende Kommentare zu oder sagten im Vorbeigehen Dinge wie "Ach ja, das hab ich auch schonmal im Schwarzwald gemacht". Obwohl ich mich garantiert nicht als Naturtalent in Sachen Langlauf erwies, war es toll, die Menschen an diesem frühen Abend ein Stück fröhlich zu machen. Der Nachteil: Ich hatte mich bei der Zeitplanung verkalkuliert und brauchte statt zwei Stunden beinahe drei. Und kam ziemlich fertig zuhause an. Gelohnt hat es sich trotzdem!

Wintersport 1 (9.2.21)

... Ich dachte, ich hätte mich klar und deutlich ausgedrückt. Da habe ich doch vor einiger Zeit einen Artikel darüber geschrieben, dass ich mich mit dem Winter nicht so wirklich anfreunden kann. Zu viel Matsch, zu viel kalt. Ab Anfang Februar stellte ich mich also auf das Frühjahr ein, kaufte Weidenkätzchen und putzte sogar die Fenster, weil die Luft wirklich frühlingshaft war, Außentemperatur 10 Grad. Und dann kam das, beziehungsweise der, mit dem niemand gerechnet hätte: Väterchen Frost. Am Abend vor dem großen Schneefall nervten mich noch die dramatisierenden Wettervorhersagen und die Warnungen, dass man doch auf jeden Fall zuhause bleiben solle. Ich fuhr trotzdem Rad, wurde höchstens etwas nass und fror.

Dann ging es los. Es schneite. Schneite, schneite, schneite, wo hin das Auge blickte, überall weiße Flocken. Anstrengend, sowas! Es war doch schon Februar! Dachte ich beleidigt, als ich aus dem Fenster sah. Der Rest meines sozialen Umfelds freute sich. Ich war höchst enttäuscht vom Wetter und fand, dass man das doch mit mir hätte absprechen müssen. Es wirkte fast, als hätte mir jemand einen gemeinen Streich spielen wollen. Wie sollte ich jetzt joggen, Fahrrad fahren, Feuer machen bei dieser Kälte? Und vor allem: würden die Meisen, Spatzen und Rotkehlchen im Garten genug zu Fressen finden? Meine erste verzweifelte Aktion war also, Vogelfutterkügelchen herzustellen und sie an den Rosenstrauch zu hängen. Als nächstes fing ich an Schnee zu schippen, wie alle aus der Nachbarschaft. Die Leute schippten, als gäbe es kein Morgen mehr. Wer hatte den Weg am schnellsten frei? Der Witz an der Sache war ja vor allem, dass es relativ wenig Unterschied machte. Ein paar Stunden später war alles wieder zugeschneit. Mit meinen Geschwistern machte ich einen Schneespaziergang, an dessen Ende unsere Gesichter wehtaten, weil der Wind uns die eisigen Schneekristalle ins Gesicht blies.

Dann brach der zweite weiße Tag an, es hörte bis zum Nachmittag einfach nicht auf windig zu rieseln. Dreimal an diesem Tag checkte ich die Wettervorhersage und beobachtete begeistert, wie die kleinen Vögelchen sich auf das Winterfutter stürzten. Nachdem ich resigniert festgestellt hatte, dass es sich auch mit übergroßen Wanderstiefeln von meinem Vater NICHT im Schnee wandern ließ, fielen mir die Langlaufskier auf, die meine Mutter vom Dachboden geholt hatte. Niemand hatte sie in den letzten Jahren benutzt. Als es langsam dunkel wurde, entschloss ich mich, es einfach mal auszuprobieren. Etwas ungelenk stakste ich mit den Dingern an den Füßen durch die glitzernde Nachbarschaft, merkte dann nach kurzer Zeit aber, dass ich damit tatsächlich schneller vorwärtskam als ich angenommen hatte! Meine gute Laune war vollkommen, als ich dann auch noch einen Nachbar beim Schneeschippen antraf, der erzählte, er sei am Nachmittag mit den Langlaufskiern beim Supermarkt gewesen. Vielleicht ist Wintersport ja doch gar nicht so schlecht? Fortsetzung folgt!

Protokoll eines weiteren Online-Semesters (6.2.21)

Und erneut ist es zu einem Online-Semester gekommen, in welchem Millionen Studierende ihre Vorlesungen und Seminare von ihrem Zimmer aus besuchen. So auch ich - und tatsächlich ist es mittlerweile so, dass ich mich ein wenig an das Herumsitzen gewöhnt habe. Es ist ja letztlich immer das gleiche. Und nicht zur Uni fahren zu müssen hat ja auch Vorteile! Man wird seltener nass und sitzt nicht frierend in der Unibibliothek an einer lauwarmen Heizung und versucht, seine Klamotten einigermaßen trocken zu kriegen. Zum Beispiel muss ich nicht, wenn ich um 8 Uhr die erste Veranstaltung habe, um halb sieben aufstehen, sondern so gegen halb 8. Und ich muss mir auch nicht die Zähne putzen, oder neue Klamotten anziehen. Es ist also in diesem Sinne deutlich gemütlicher. Zusätzlich kann ich mir so oft ich will einen Kaffee holen und muss nicht mal was dafür bezahlen! Und wenn ich den dekorativen Status meines Zimmers mit dem der Ruhr-Universität vergleiche, naja- dann ist mein Zimmer auf jeden Fall deutlich heller, aufgrund der ganzen Tageslichtbirnen, die ich in den letzten Wochen installiert habe. Und ich weiß auch, wann wo die Sonne hereinscheint, so dass ich mit dem Laptop herumwandern kann.

Auch wenn ich der Höflichkeit halber meistens die Kamer angeschaltet habe, gibt es in den letzten Tagen immer mehr Momente, in denen meine Aufmerksamkeit gegen Null geht und ich mein Video ausmache, um ein paar Sit-ups zu machen, meine Wäsche zu sortieren, das Bett neu zu beziehen, Tutorials über Shuffle-Dance zu gucken oder Staub zu saugen. Letztens habe ich mir ein paar Samentütchen und Blumenerde gekauft, und während eine Gruppe aus meinem Studiengang gerade eine Präsentation hielt, betätigte ich mich frohen Mutes gärtnerisch. Diebisch freute ich mich, das KEINER wusste, was ich gerade tat! Natürlich muss man immer den Punkt abpassen, in welchem es um irgendwelche Einteilungen in irgendwelche Breakoutsessions geht, um irgendwelche Aufgaben zu lösen. Dann muss ich schnell zurück an den Laptop, und so tun als hätte ich zugehört. Mist. Aber bis jetzt habe ich immer noch die Kurve gekriegt!

Vor einigen Tagen stand dann die erste Online-Klausur an. Nicht, dass ich nicht schon vergangenes Semester Online-Tests gehabt hätte, aber dennoch war ich aufgeregt. Schließlich ist es ja so:  Ich war in fast jeder Sitzung anwesend und habe die Texte zumindest überflogen. Deshalb wusste ich ungefähr, wann es wo um welches Thema ging. Weshalb ich es gänzlich unnötig fand, wie in normalen Klausurphasen Dinge auswendig zu lernen. Ich könnte sie ja eh nachschauen! Trotzdem, oder genau deswegen, hatte ich dann aber doch Muffensausen, als es auf den Test zuging. Und mein schlechtes Gewissen war genauso stark wie sonst auch - ich hatte bestimmt nicht genug getan um durchzukommen! Und was wäre, wenn das Internet zusammenbräche und ich vor einem dunklen Bildschirm säße, würde ich dann durchfallen? Glücklicherweise klappte dann doch alles, auch wenn ich mal wieder in Zeitdruck kam. Denn die Herausforderung bei einer "Kofferklausur" ist ja, bei all der Materialfülle, die man hat in seinem Ordner, das richtige auszuwählen und Prioritäten zu setzen! Hab ich nicht so Übung drin, wie ich jetzt weiß.

Ein bisschen was habe ich in diesem Semester also doch dazugelernt- und wenn es auch nur das Moonwalk-dancing per Youtube tutorial war...

Bio ist gar nicht so einfach / meine Schwester und ich (4.2.21)

Meine Schwester und ich haben beide zu Weihnachten einen Gutschein für einen bestimmten Bioladen bekommen - und jetzt hat der Februar begonnen, es wird heller, wir haben länger schon den Plan, diesen Gutschein endlich einzulösen, sind wir doch in den vergangenen Monaten zu glühenden Verfechtern des nachhaltigen Lebens geworden. Wir verabredeten uns also für einen Mittwochnachmittag, an dem wir nach Essen fahren wollten, zu ebenjenem Bioladen. An diesem Tag regnete es. Wir fuhren also zum Bahnhof und wurden schonmal präventiv ein bisschen durchgeregnet. Am Gleis angekommen hieß es: "Der RE42 hat leider eine Verspätung von 45 Minuten. Gleisstörung, Sorry, uns egal, dass ihr jetzt eine Dreiviertelstunde hier rumstehen müsst. Pech." Dazu fing es noch stärker an zu regnen. Wir gingen kurzerhand zum nächsten Bäcker, um uns einen Kakao zu holen. Dort verscheuchte uns die Bäckereifachverkäuferin mit den Worten: "Sie dürfen den Kakao nicht hier trinken, sonst gibt es Strafe!!!" Wir versteckten uns also wie zwei, die etwas im Schilde führen, an der Rückwand eines Supermarktes und wurden gleich noch etwas mehr nass. Dann latschten wir, nun nicht mehr ganz so gut gelaunt, zurück zum Bahnhof. Meiner Schwester war mittlerweile übel, von dem Hin und Her und auch von dem Wetter, vermutlich. Wir fuhren also nach Essen, schön mit FFP 2 Maske und einem sehr leeren Zug. Also kein ultimativ schlechtes Gewissen. Dann googelte meine Schwester den besagten Laden und sagte zu mir: He, den Laden XY gibt es gar nicht in Essen, nur in Witten. Mist, dachte ich, dabei war ich mir so sicher gewsen! Kurz überlegten wir noch, ob wir unseren Shopping Plan ändern sollten und nach Witten fahren, verwarfen ihn aber wieder. Man fährt ja nicht einfach so herum zur Zeit. Und nass waren wir ja, hatte ich das erwähnt? Mir fiel ein, dass es noch einen anderen, no name Biomarkt in der Essener Innenstadt gab, und lud sie ein, doch dort auf meine Kosten etwas einzukaufen. Wir stiegen aus, es regnete weiter. Wir liefen im Halbdunkel durch die ausgestorbene Essener Innenstadt und standen schließlich vor einem: genau, leeren Ladenlokal. Der Laden hatte nicht nur zu, er war sogar verschwunden. Ein noch höheres Level der Missmutigkeit erfasste mich, ich fühlte mich schlecht, hatte ich meiner Schwester doch so einen schönen Nachmittag versprochen! Sie nahm es mit Humor, obwohl ihr immer noch übel war. Zum Trost gingen wir dann in den Drogeriemarkt, der ebenfalls Bioprodukte versprach und schön leer war. Und dann taten wir, was man im Drogeriemarkt eben so tut: Rumlatschen und Produkte diskutieren. Letztlich kauften wir noch ein, zwei Biosachen um nicht mit leeren Händen nach hause zu kommen, dann kam schon die Zeit des nach- Hause-fahrens, weil Schwesterlein noch ein Zoom-Meeting hatte und ich... naja, ich hatte eigentlich nichts, aber ich wollte ins Bett, um nicht komplett aufzuweichen, das wäre eine ganz schöne Sauerei gewesen, das alles Sauberzumachen. Eine aufgeweichte Person. Alles in Allem eine ziemlich bedröppelte Aktion, aber meine Schwester sagte, sie hätte es trotz allem schön gefunden. Da war ich aber froh!

Alles eine Frage der Einstellung! (29.1.21)

Der Januar ist ja gemeinhein ein Rumgehmonat. Jede*r aus meinem Bekanntenkreis hat eine ähnliche Meinung zu den vier Anfangwochen des neuen Jahres: "Es ist immer noch kalt, es ist immer noch dunkel, man ist müde und Weihnachten ist schon vorbei." Das kann man natürlich gut nachvollziehen. Damit man aber in dieser Zeit nicht in seinem Zimmer versinkt, gibt es einige Dinge die man berücksichtigen kann um weiterhin gute Laune zu haben!

Genug Licht zum Beispiel. Auch wenn es in stromtechnischer Sicherheit nicht so cool ist - der Körper braucht gerade im Winter viel Tageslicht, um wach zu werden und die Vitamin D Produktion anzukurbeln. Das bedeutet: Tageslichtlampen, oder generell Glühbirnen mit hoher Lumenanzahl. Licht senkt gleichzeitig die Melatoninproduktion und man wird aktiver. Natürlich ist das in Kombination mit Sauerstoff noch wichtiger!

Also: Am besten mindestens eine Stunde am Tag rausgehen, Fahrradfahren, wandern, joggen... Durch die Bewegung werden Endorphine ausgeschüttet, der Wind und die frische Luft pusten so richtig schön die Müdigkeit aus dem Körper! Auch wenn das Wetter manchmal noch so fies scheinen mag, wenn  man es erstmal raus geschafft hat, ist es meistens viel besser als man gedacht hat! Natürlich helfen da auch die richtigen Anziehsachen weiter. Ich bin in der letzten Zeit ein immer größerer Fan von Funktionskleidung geworden, wasser- und winddicht. Damit kann man wirklich bei jedem Wetter draußen sein!

Wer überhaupt kein Draußenmensch ist (obwohl ich nicht glaube, dass es sowas gibt...), kann sich immer gut am Yoga oder Pilates training versuchen, Lehrvideos gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Durch das stetige Dehnen wird man beweglicher und beugt Rückenschmerzen durch das Sitzen am Schreibtisch vor.

Fundamental wichtig ist natürlich auch Musik auf dem Smartphone, die man mit raus an die Luft nehmen kann. Oder es gibt ein Instrument, das darauf wartet gespielt zu werden? Die Ukulele mit ihren vier Seiten lässt sich um einiges leichter lernen als Gitarre, und was das Singen angeht, ist noch kein*e Meister*in vom Himmel gefallen! Eine halbe Stunde Singen wirkt sich schon auf die Produktion von Glückshormonen aus. Also keine falsche Scham!

Auch die Ernährung kann einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden haben - was vielleicht wie eine Floskel wirkt, bestätigen seit Jahren immer mehr Mediziner und Psychologen. Obst und Gemüse stärkt das Immunsystem und macht fit, und die vielen leuchtenden Farben sorgen zusätzlich für gute Laune. Für die Kaffeetrinker unter den Leser*innen: Vielleicht ist jetzt der Moment gekommen, in einen Kaffeevollautomat zu investieren oder zumindest in eine (elektrische) Kaffeemühle? Frisch gemahlener Kaffee schmeckt einfach besonders gut!

Und zu schöner Letzt kann man ab Anfang Januar bereits Primeln, Hyazinthen und Tulpen kaufen - am besten in recycelten Bechern, um der Umwelt nicht zu schaden. Die Blumenläden haben ein breites Angebeot an Frühlingsblumen, die Vorfreude auf die helle Jahreszeit bringen! In diesem Sinne: Fröhliches Munterwerden!

Die Ambivalenz des Schnees (12.1.21)

Früher war ja alles besser, wie wir wissen. Früher, da gab es noch richtige Sommer und richtige Winter, mit viel Schnee, zugefrorenen Seen auf denen man Schlittschuhlaufen konnte. Momentan klingt Frank Sinatra's "Let it Snow" wie blanker hohn, wenn er singt: "Since we've no place to go / let it snow, let it snow, let it snow!" (Gilt in Recklinghausen jetzt wirklich die 15km Regel?)

Jedenfalls ging es ja in der letzten Woche gefühlt um wenig anderes als um die Erstürmung des... nein, nicht nur Kapitols, das war für die Deutschen zweitrangig. Bei uns wurde das Sauerland gestürmt. Hatte der Bürgermeister von Winterberg wohl die Absicht, eine Mauer zu errichten? Klar, die verschneite Winterlandschaft ist für viele reizvoll. Ich für meinen Teil rede alljährlich dagegen an, weil Schnee extrem anstrengend ist für leidenschaftliche Radfahrer*innen! Wie oft ich schon mit den Reifen in diese doofen, festgefrorenen Spuren gekommen bin und dann ausrutschte, vermag ich nicht zu sagen. Generell rutscht man bei der Kälte überall nur so herum, und wie lange das ganze An- und Ausziehen der drölf Millionen Lagen Klamotten erst dauert! Problematisch ist es auch, wenn das Fahrradschloss eingefroren ist und sich nur durch stetes Anhauchen auftauen lässt. Nervig. Da lobe ich mir doch die 5- Grad warmen, trockenen Januartage, in denen ich rausgehen kann und Sport machen, ohne in meinen Wintersachen auszusehen wie ein Michelinmännchen. In denen meine Füße in den Sportschuhen nicht direkt erfrieren. Denn das muss klar sein: Winterstiefel sehen bei mir seit jeher so schrecklich aus, dass ich mich irgendwann schlicht geweigert habe, mir überhaupt noch welche zu kaufen. Lieber beschwerte ich mich regelmäßig über kalte Füße. Auch das ist bei schneefreien Wintermonaten kein Problem mehr!

Und trotzdem, trotzdem gibt es da diesen einen Moment. Wenn ich als total coole scheinbare Schneegegnerin in meinem Zimmer sitze und auf einmal sehe, dass draußen sanfte Flocken herabrieseln. Ob sie liegenbleiben oder nicht - das macht etwas mit mir! Und auch mit allen anderen Schneegegner*innen. Man kann nicht anders als verträumt auf diese kleinen weißen Dinger zu schauen und irgendjemand anderem im Haus zuzurufen, dass es schneit. Und wird innerlich ein bisschen wieder zum Kind. Der Schnee versöhnt uns mit vielem und bleibt etwas besonderes. Beinahe kann ich es verstehen, dass die Zeitungen sich jedes Jahr wieder mit Prognosen und Artikeln über potenzielle Schneefälle überschlagen... die Verbindung von Väterchen Frost und mir bleibt also weiterhin von Ambivalenz gekennzeichnet!

Ponies, Ponies, everywhere! (7.1.21)

Möglicherweise nerve ich mittlerweile die Leser*innen, wenn ich ständig von meiner Tierbegeisterung schreibe. In den letzten Monaten habe ich eine Pflegebeteiligung für zwei Pferde gehabt, die ich dann leider aufgeben musste, weil ich körperlich nicht fit genug war. Meine Arbeit auf dem Bauernhof im Sommer hatte mir so starke Rückenschmerzen verursacht, dass ich keine Schubkarren mit Pferdemist schieben, bzw. Heusäcke schleppen konnte. Naja, so war das eben. Jetzt war nur die Frage, wie ich trotzdem Kontakt zu Tieren haben könnte? Zum Glück haben sich immer wieder Situationen ergeben, in denen ich sehr netten Kreaturen begegnete. Beispielsweise als ich mich doch nochmal überwand, joggen zu gehen. Ich lief neulich an einer Weide vorbei, auf der ich vier Mini-Shetland ponies antraf, sehr freundlich aussehend. Und es gibt tatsächlich in den letzten Wochen wenig Dinge, die mich mehr freuen, als wenn ich ebendiese "besuchen" darf. Seitdem gehe ich nämlich regelmäßig dort vorbei und meine neuen Freunde kommen dann an den Zaun, um sich das Köpfchen kraulen zu lassen. Sie kämpfen regelrecht darum, der dran ist mit "Gestreichelt werden"! Der Anführer dieser vier Rabauken scheucht alle anderen weg, die es auch nur wagen, ihm den Platz an der Kuschelfront streitig zu machen. Wenn ich dann irgendwann aufhöre das Pony zwischen den Ohren zu kraulen, scharrt er direkt sehr empört mit den Hufen, zum Zeichen dafür, dass ich doch mal bitteschön weitermachen soll! Leider hat die Jahreszeit es nun mal an sich, dass es sehr schnell kalt wird, wenn man ewig rumsteht, weshalb ich mich dann meistens schweren Herzens verabschieden muss und weitergehe. Netterweise laufen meine kleinen Freunde dann an der Weide entlang und begleiten mich noch ein Stück. Wirklich sehr nett!

Ein anderes Mal machte ich eine kleine Radtour vorbei an einem anderen Bauernhof, als mir auf dem Weg ein Spaziergänger begegnete. Er sagte: "Vorsicht, nicht erschrecken, gleich um die Ecke steht ein Pony auf dem Weg." Ich dachte erst, ich hätte mich verhört. Aber tatsächlich: Als ich dann um die Ecke fuhr, versperrte mir ein kleines, schwarz-weiß gepunktetes Pferdchen den Weg. Es stand da herum und fraß seelenruhig das Gras am Wegrand. Verwirrt, aber auch sehr erfreut legte ich eine spontane Pause ein, um zu schauen, ob irgendwo in der Nähe ein Besitzer auszumachen wäre - da war aber niemand weit und breit. Also streichelte ich ihm das Maul und unterhielt mich ein bisschen mit ihm, wie ich das meistens so mache, mit Tieren.

Später am Tag telefonierte ich mit einer guten Freundin, die in der Nähe dieses Bauernhofes aufgewachsen ist. Sie sagte: "Ach, das ist ganz normal, das Pony bricht immer mal aus. Das stört schon niemanden mehr." Es sei wohl ein sehr altes Pony, das sich unter einem Zaun hindurch mogle, aber stets in einem Radius um den Hof herum aufhalte. Wenn es genug von seinem Ausflug habe, ginge es zurück auf seine Weide, zu den größeren Pferden. Wie schön, dachte ich, ein Hoch auf die Freiheit! Auch für die vierbeinigen Erdenbewohner...

das kühle Nass - Anbaden! (3.1.21)

Das neue Jahr hat angefangen, und tatsächlich bin ich eine Menschin die gute Vorsätze hat. Ich finde wirklich, es ist hilfreich, sich zum Beginn des Januars zu überlegen, was man sich von den Monaten, die vor einem liegen, wünscht und wie man diese Wünsche auch erreichen kann. Und das alles unter der Prämisse, dass ein starker Wille einen ziemlich weit führen kann! Deswegen haben mein Bruder und ich den Entschluss gefasst, diesen starken Willen ein bisschen aus uns herauszulocken. Wie wir das gemacht haben? Mit einer kleinen Challenge: Wir haben uns zum "Anbaden" verabredet. Zwar nicht in einem tollen See oder einem hübschen Fluss, sondern im Kanal bei uns in der Nähe. Aber trotzdem, die Aktion an sich zählte!

Meine Schwester kam als mentale Unterstützung mit, sie würde auch diejenige sein, die das ganze für die Nachwelt filmen sollte. Wir kochten Kakao für die Thermoskanne, suchten unsere Schwimmsachen zusammen, nahmen extra Decken mit und dann fuhren wir los. Normalerweise bin ich eigentlich die Frostbeule unter uns Geschwistern, deshalb war ich sehr gespannt, ob ich es wohl schaffen würde, die Kälte zu besiegen? Dann standen wir schließlich am Wasser. Ruhig und türkisbraun floss es vor sich hin, die Rampe am Ufer und die Steine voller Moos. Nicht so einfach, hier ins Wasser zu kommen! Mein Bruder meinte, es sei doch leichter, mithilfe einer Leiter ins Wasser zu kommen, dann könnte man auch genauso schnell wieder rausklettern. Leitern waren aber gerade keine zur Hand. Und so zogen wir denn zögernd unsere Winterjacken aus, die Hosen, die Schuhe. Es wurde kälter. Als wir dann schließlich in Badehose und Bikini dastanden, wurden die Füße sehr schnell sehr kalt. Es gab kein Zurück mehr! Auf der Kanalbrücke hatten sich bereits Leute eingefunden, die uns zuschauten. Mist, jetzt hatten wir auch noch Publikum! Wir tapsten und rutschten vorsichtig Richtung Wasser, ich trug die alte Wollmütze meines Opas, damit meine Haare nicht nass wurden. Denn mit dem Kopf würde ich nicht untertauchen! Schritt für Schritt wagten wir uns vor, es wurde kälter. Aber unser Wille war ungebrochen! Mein Bruder wagte es schließlich, kurz und schmerzhaft, tunkte sich einmal schnell ein und beeilte sich, danach direkt wieder aus dem Wasser raus zu kommen. Bei mir dauerte es etwas länger. Hatte ich die glitschigen Moose erwähnt? Die Steine am Ufer? Es war wirklich nicht so einfach. Und dann passierte das Wunderbare: Ich schaltete den Kopf aus und ging aufs Ganze. Beziehungsweise: Ins Ganze. Bedacht, dass meine Mütze nicht nass wurde, schwamm ich eine minikleine Runde und versuchte danach ebenso gelenk wie mein Schwimm-Buddy wieder in Richtung Wärme zu gelangen, nur leider war das nicht so einfach! Ich verlor das Gleichgewicht und fiel noch einmal zurück in die Kälte, bevor ich es schaffte, die Rampe wieder hoch zu kriechen. Mit dem Kälteschock schlechthin, mein Kopf war wirklich in einem Stopp-Zustand. Der Atem stockte mir, und trotzdem war es die Sache wert! Als ich mich schnell ins Handtuch wickelte und meine Sachen wieder anzog, fing meine Haut an zu kribbeln, es fühlte sich nicht wie Gänsehaut an. Wahrscheinlich war diese Durchblutungsreaktion extrem gesund! Und meine Laune war danach tatsächlich super, auch wenn im im Wasser abwechselnd geflucht und wie wahnsinnig gekichert hatte. Ich empfehle also jedem, die Willensstärke so zu trainieren, mit Anbaden Anfang Januar. Nächstes Jahr fahren wir zu einem See!

Oh Tannenbaum, Oh Tannenbaum... (15.12.20)

Am vergangenen Wochenende brauchte ich mal wieder Abstand zu allem Digitalen, ich hatte schon viereckige Augen vom ganzen Bildschirmstarren. Also entschied ich mich, der hinterwäldlerischen Umgebung ( der Wald hinter unserem Haus) mal wieder einen Besuch abzustatten. Wanderschuhe an, los ging es. Das Problem beim Wandern ist ja oft, dass es entweder sehr stark bergauf oder sehr stark bergab geht. Man schwitzt also die Hälfte der Zeit, woraus folgt, dass ich meine Jacke auszog. Wenn ich dann allerdings stehen blieb, um ein bisschen über die Hügel und Felder zu gucken, und mir zu überlegen in welchem der kleinen Häuschen ich gerne wohnen würde, dann passierte das Unvermeidliche: Mir wurde sehr schnell sehr kalt. Also Jacke wieder an. Und so weiter, und so fort.  Auf einmal entdeckte ich auf der anderen Seite eines Tals eine Art Tannenbaumsiedlung neben einem sehr kaputten Fachwerkhaus. Man hörte Musik und sah ein paar Menschen herumlaufen. Und wenn ich eines in diesem Jahr 2020 gelernt habe, dann ist es eine SEHR ambivalente Beziehung zu meinen Mitmenschen zu haben. Einerseits sehne ich mich extrem danach, unter Menschen zu kommen. Andererseits bin ich aus bekannten Gründen vorsichtig und misstrauisch. Aber so aus der Entfernung konnte ich nicht erkennen, was da los war. Also ging ich näher heran und erkannte: Es war eine Weihnachtsbaumfarm - man konnte selbst seinen Baum schlagen. Was für mich aus ökologischer Perspektive eigentlich ein echtes No-Go ist, beobachtete ich nun mit schmachtendem Blick. Was für eine romantische vorweihnachtliche Tradition! Ich musste sofort an Frank Sinatra und seine schnulzigen Weihnachtssongs denken. Irgendwann riss ich mich von dem Anblick los und lief weiter, zurück in den Wald hinein. Lustigerweise lag da, auf dem Parkplatz des Tannenbaum-verkaufs-Areals plötzlich ein kleines, blaues Duftbäumchen. Was für eine Ironie. Eigentlich hätte ich es gerne mitgenommen, wenn es nicht klitschnass gewesen wäre. Weiter ging es also auf meiner Wanderung. Was ich an diesem Tag noch erlebte: Begegnungen mit sehr niedlichen Hunden und einem kleinen wuscheligen Mini-Shetland Pony, sowie eine unfreiwillige Stacheldraht-Weidenüberquerung. Wer mit mir wandern geht, muss nämlich wissen: Meistens enden wir in irgendeinem dornigen Gestrüpp, weil ich dachte, es gäbe eine Abkürzung. Wer das in Zukunft vermeiden will, der schenke mir zu Weihnachten Wanderkarten...!

Advent im Sinne der 2000er (6.12.20)

Im Jahre 1995 bin ich geboren, das heißt ich bin jetzt 25 und erwachsen, auch wenn ich mich nicht so fühle. Als Erwachsene muss ich viele wichtige Sachen machen, zum Beispiel Steuererklärungen machen und aufhören, an meiner Nagelhaut zu knibbeln. Ich muss mich vernünftig anziehen (zwei gleichfarbige Socken und Haare kämmen) und mein Masterstudium zuende kriegen. Und wenn mir, gerade jetzt vor Weihnachten, der Kopf schwirrt vor lauter Erwachsen-tun, dann flüchte ich mich ein bisschen zurück in meine Kindheit. In die Sicherheit der 2000er Jahre. Zum Beispiel höre ich stundenlang die "Boygroups-Playlist" auf Spotify und fühle mit Take That und den Backstreet Boys mit. Das beruhigt mich und macht gute Laune, wenn die noch nicht nachgearbeitete Vorlesung auf mich wartet.

Letzte Woche habe ich außerdem angefangen, mit meiner jüngeren Schwester "Gilmore Girls" zu gucken. Meine Schwester wurde 2001 geboren, hat die Serie vor einiger Zeit auf Netflix entdeckt und mich dann überredet, mal eine Folge mit zu gucken, weil sie der "Feel-Good" Faktor exponentiell hoch sein soll. Normalerweise bin ich eher gegen amerikanische Serien, ich mag den amerikanischen Akzent nicht. Aber auf einmal - vielleicht liegt das auch an dieser stressigen Vorweihnachtszeit? - habe ich Lust auf Heimeligkeit und eitel Sonnenschein und schaue also eine Folge, zusammen mit meiner Schwester.

Wer die Gilmore Girls nicht kennt: Es handelt sich um eine Serie, die 2000 gestartet ist und zwei Protagonistinnen in Connecticut begleitet. Lorelai und ihre Tochter Lorelai, genannt Rory. Lorelai ist eine sehr junge, alleinerziehende Mutter, weshalb sämtliche Männer in der Serie nicht glauben können, dass es sich um Mutter und Tochter handelt. Beide Frauen sind (wie sollte es anders sein) sehr hübsch und sehr dünn, und in jeder zweiten Folge versucht deshalb ein neuer Kerl, Lorelai und/oder ihre Tochter zu daten. Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist super, zwischendurch treten zwar mal kleinere Probleme auf. Aber am Ende der 40 Minuten ist meistens wieder alles in Ordnung, zum Glück. Die Nachbarschaft ist sympathisch-originell, alle verstehen sich und kümmern sich umeinander. Handies spielen noch keine übergeordnete Rolle, dafür aber der Kaffee, den Rory gleich wie ihre Mutter beinahe intravenös konsumieren. Meine Schwester und ich liegen also regelmäßig in Jogginghosen auf dem Sofa und stellen uns vor, wir wären mit dabei, in Stars Hollow, mit den Gilmore Girls. Ein Hoch auf die 2000er Jahre!

Dagegen hilft Rasenmähen (21.11.20)

Nun sitze ich mal wieder seit einigen Wochen täglich mehrere Stunden vor dem Laptop und erledige mehr schlecht als recht Unikram. Ich schreibe Mails mit dem Prüfungsamt, das irgendwelche Bescheinigungen haben will, die ich aber nicht habe, versuche langweilige Vorlesungen nachzuarbeiten und vereinbare Termine mit der Unibibliothek, damit ich dort Bücher scannen kann. Alles ein bisschen kompliziert, manchmal raucht mir nach drei Veranstaltungen bei Zoom der Kopf. Vor allem weil die Dozierenden ja die ganze Zeit sehen können was man macht. Und extra das Video ausschalten, finde ich irgendwie unhöflich. Wie kann ich es gut schaffen, den Kopf frei zu kriegen, frage ich mich regelmäßig... Dann habe ich eine Idee:

Es gibt wenig Dinge, die ein menschliches Gehirn so sehr entspannen wie Rasenmähen. Echt wahr! Hab ich nämlich selbst erlebt. Es gibt sogar Studien dazu, dass der Geruch von frisch gemähtem Gras so erholsam sein kann wie ein ganzes Wochenende. Da sieht man es mal wieder - die Natur, dein Freund und Helfer! Im Sommer auf dem Bauernhof war das Rasenmähen auch eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, mit einer Benzinmaschine. Die konnte sogar bergauf fahren.

Jetzt ist mittlerweile schon Ende November, und der Garten steht schon kurz vor dem Winterschlaf - aber ein letztes Mal Rasenmähen geht noch! So fahre ich in schön ordentlichen Reihen auf und ab, ganz systematisch. Also genau so, wie ich den Rest meiner alltäglichen Aufgaben leider NICHT erledige. Zwischendurch muss ich natürlich immer gucken, ob der Auffangbehälter voll ist. Den bringe ich dann zum Kompost oder benutze ihn zum Mulchen. Mulch ist eine Art Schutzbelag für die Beete, damit sie nicht so schnell austrocken. Im Winter kann Mulch auch als Frostschutz dienen.

Wenn ich dann irgendwann fertig bin und meine Hände nach Gras und Erde riechen, dann merke ich wieder, dass ich ein Mensch bin und kein digitales Schattenwesen. Ein Glück!

"Sie sind jetzt schon meine Lieblingslehrerin!" (9.11.20)

Es ist ein blödes Gefühl, wenn man irgendwie weiß, wo man hingehört, aber noch nicht da ist. Wenn man sich in Geduld üben muss und Dinge nicht so laufen, wie sie sollen. So ist das aktuell bei mir, in Bezug auf den Spagat zwischen meinem kleinen Lehrjob an der Schule und dem letzten Theoriesemester an der Uni.

Bereits Anfang September hatte ich mich als Vertretungslehrkraft an der Schule beworben und eine mündliche Zusage bekommen. Es hieß, ich müsse nur noch ein Führungszeugnis beantragen, dann könne ich Mitte September anfangen zu unterrichten. Freude pur! Der Anruf beim Bürgerbüro brachte dann Ernüchterung: Es seien erst ab Anfang Oktober wieder Termine zu vergeben. Als ich das Dokument beantragte, hieß es, es könne bis zu zwei Wochen dauern, bis es bei der Bezirksregierung vorliege. Also Mitte Oktober. Die Tage verstrichen, ich hörte nichts von der zugehörigen Sachbearbeiterin mit dem sehr passenden Nachnamen: Frau Pause (eigentlich heißt sie noch anders, aber das kann ich ja hier nicht schreiben. Will keinen Ärger kriegen). Mittlerweile rief schon der zuständige Lehrer von der Schule an, wo ich denn bliebe? Ich erklärte, dass es nicht meine Schuld sei, und dass es mich genauso ärgere wie ihn. Ich WOLLTE ja schließlich genauso gerne schon bald anfangen! Irgendwann rief ich bei Frau Pause an, nur um dann den Satz der Sätze zu hören: "Nein, Nein, ich brauche unbedingt Ihren Masernimpfschutz. Wenn der nicht hier vorliegt, kann ich den Vertrag leider nicht wegschicken." Ich zerbiss kurzfristig vor Wut mein Smartphone, dann hetzte ich zu meiner Hausärztin, holte die Bescheinigung, dann brachte ich alles zusammen zur Post. In der Zeitung standen gleichzeitig viele Berichte, dass es zu wenig Lehrende gab. "Ja, und diejenigen, die wollen, die dürfen nicht, weil die Ämter sich querstellen!", dachte ich erbost.

Tatsächlich wurde ich dann "schon" einige Tage später gebeten, nun endlich den Vertrag in der Schule zu unterschreiben. Mittlerweile war Anfang November und aus fünf Monaten unterrichten waren drei Monate geworden. Minus pädagogische Tage und Weihnachtsferien. Man drückte mir Schlüssel und Folienstifte in die Hand, ich machte -wie immer- den Fehler, den Kaffee aus der Maschine im Lehrerzimmer zu probieren und erledigte den ersten Klassenbucheintrag meines Lebens. Ein wahrhaft besonderer Moment! Beim ersten Kennenlernen hatte ich die Lernenden unvermeidlich direkt ins Herz geschlossen, mit ihren pubertätsbedingt unvorteilhaft proportionierten Körpern in schlecht sitzenden Jogginghosen und dem Bedürfnis, die Abreißperforationen ihrer Collegeblöcke zu zerknüllen um damit um sich zu werfen. Hier gehörte ich hin, dachte ich leidenschaftlich und ließ sie fleißig Namensschildchen basteln. Am Ende meines ersten Tages stand ich gerade mit einer Referendarin zusammen und unterhielt mich (natürlich auf Abstand), als ein Schüler mir zurief: "Ey, Sie sind jetzt schon meine Lieblingspaukerin!"

Es gibt wahrscheinich nichts anstrengendes als übermotivierte Junglehrerinnen.

How to be... Serotonin-Queen (2.11.20)

Letzte Woche wurde DOCH wieder die Zeit umgestellt, obwohl es jedes Jahr wieder neu diskutiert wird, wie sinnvoll der Verlust bzw. Zugewinn einer Zeitstunde ist. Weil sich nämlich diese Verschiebung wie ein kleiner Jetlag auf den Biorhythmus auswirkt und jede*r dadurch mehr oder weniger aus dem Takt gerät, für ein paar Tage. Besonders nervig ist das jetzt im Herbst, wenn es auf einmal eine Stunde eher dunkel wird. Dadurch fehlt dem Körper Sonnenlicht, was wiederum zur Verminderung der Vitamin-D Produktion beiträgt. Die Folge können saisonale Depressionen sein, also Serotoninmangel. Was kann man dagegen tun? Das habe ich mich in der vergangenen Woche gefragt, der ersten Woche des neuen Wintersemesters unter Corona-Auflagen. Mit Laptop-Arbeit und Zoomsitzungen bis zum Geht-nicht-mehr. Das Geht-nicht-mehr ist bei mir diesen Oktober schon vor Beginn der Uni eingetreten. Jedenfalls war es dunkel, windig und es regnete. Daher mein Entschluss: Sonnenstudio. Ein Ort, den ich noch nie betreten hatte. Ja, den ich sogar belächelt hatte. Jetzt erschien es mir aber auf einmal total logisch- warum sollte ich mir nicht künstlich das an Licht holen, was mir fehlt? Natürlich mit dem Hintergedanken, dass zuviel Strahlung Hautkrebs begünstigt. Aber das tut natürliches Sonnenlicht auch.

Ich betrat also das Solarium und ließ mich von der netten Mitarbeiterin über die Gepflogenheiten dieser Einrichtung aufklären, dann füllte ich fleißig Zettel aus und machte einen Hauttypen-Bräunungstest. Ich schnitt sogar ganz gut dabei ab! Als nächstes bekam ich zwei Augenschutz klappen und eine Kabine zugewiesen. Und ab diesem Zeitpunkt fühlte ich mich wie in einer Mischung aus Schwimmbadumkleide und Spaceshuttle. Da stand sie vor mir, die Sonnenbank. Ich legte mich auf die seltsamen Röhren und zog den Deckel herunter. Dann fing es um mich herum an zu blinken, und ich musste verschiedene Sachen einstellen. Belüftung, AirConditioning, Musikchannel. Die Strahler gingen an und für zwanzig Minuten durfte ich nun die Augen schließen und mir vorstellen, in der Karibik zu sein - wäre da nur nicht der Baustellenlärm von draußen vor der Tür. Die stand nämlich aufgrund der Lüftungsregelungen sperrangelweit auf. Trotzdem hatte ich, als die Strahler irgendwann ausgingen und ich aus meinem Sonnen-Raumschiff entstieg, tatsächlich bessere Laune als zuvor! Und ich weiß schon, wo ich mich direkt nach dem Lockdown als erstes hinbegeben werde...

Die Masken-Mahnerin (28.10.20)

Seit einigen Monaten trage ich nun äußerst kleidsame und vielfarbige, selbst genähte Mund-Nasenmasken. Habe mich auch daran gewöhnt, dass dann hin und wieder meine Brillengläser beschlagen, das ist eh meistens der Fall. Auch habe ich mich daran gewöhnt, dass ich jetzt ein bisschen lauter sprechen muss. Ich denke dann immer, wie interessant es doch ist, dass die Covid-Zahlen so in die Höhe gehen, wenn es doch so viele Regeln gibt und die meisten Leute doch relativ vernünftig sind. 

Und dann merke ich, dass das halt so nicht stimmt. Letzte Woche habe ich an einem Tag 6 Personen in öffentlichen Verkehrsmitteln gesehen, die die Maske nur auf dem Mund trugen und nicht auf der Nase. Was einfach vollkommen unverantwortlich und dumm ist. Auf dem Wochenmarkt war eine Frau in der Schlange vor dem Gemüsestand, die überhaupt keinen Atemschutz trug. Ein Mann wies sie darauf hin, dass sie diese doch bitte aufsetzen solle. Ihr patziger Kommentar: "Ich hab kein Corona und auch keine Angst davor! Und wenn Sie Angst haben, dann gehen Sie doch nach Hause!" Als sie dann an der Reihe war, weigerte sich die Verkäuferin, die Kundin zu bedienen. Was ich sehr gut und sehr konsequent fand. Es zeigt aber auch, dass es nach wie vor schwierig ist mit dieser ganzen Bestrafungs-Ordnungsgeld-Thematik. Wie viel Zivilcourage gehört eigentlich dazu, die Mitbürger auf ihre Pflichten hinzuweisen? Oder bin ich da als Individuum gar nicht in der Verantwortung, und brauche mich nicht darum zu kümmern? Ich habe den Eindruck, dass es so nicht funktioniert. Gleichzeitig habe ich Angst vor Konfrontationen mit Maskenverweigerern! 

Letzte Woche habe ich dann im Zug doch einmal allen Mut zusammengenommen, weil ich im Fahrradabteil des Zuges einen Mann sah, der die Maske eben auch nur auf dem Mund trug. Ich ging also zu ihm hin und sagte, er solle bitte die Nase auch bedecken. Sein Kommentar: "Nö!" Ich: "Ja doch, sonst stecken Sie doch eventuell alle möglichen Leute an!" Er daraufhin, extrem angefressen: "Mir doch egal!" Ich, nun ganz ganz lehrerinnenhaft konsequent: "Okay, dann hole ich mal den Kontrolleur." Er, nun passiv-agressiv unter seinem Schlapphut hervornuschelnd: "Ja mach doch!!" 

Ich ging also zum Zugbegleiter und erklärte, dass ich nicht petzen wolle, aber dass da jemand den Mundschutz nicht richtig trage. Er ging zu dem Kerl hin, der natürlich nun längst die Maske vernünftig trug. Und genau das sei das Problem, erklärte mir der Kontrolleur: Die Leute machten sich teilweise einen Spaß daraus, die Maske nur dann über Mund und Nase zu ziehen, wenn er vorbeikäme. 

Jetzt könnte man die Sache noch ein wenig genauer nehmen, und sich jeweils Zeugen suchen, die die Situation mitbekommen haben. Und da geht es den meisten Menschen dann doch ein bisschen zu unbequem zu. Denn wer will sich schon einer so nervigen Situation stellen? Vielleicht liegt hier das Problem. Dass verantwortungsvolles Handeln manchmal in Konflikten resultieren kann, wo die anderen Umstehenden einen eventuell peinlich berührt beobachten. Andererseits - eine zukünftige Lehrerin kann sowas nicht erschüttern oder?

Sehnsucht nach Caledonia (11.10.20)

Mittlerweile ist Oktober, das Jahr ist gefühlt schon fast wieder um. Ohne dass ich dieses Jahr Deutschland verlassen hätte. Klar, vor einiger Zeit habe ich mich über die Vielreisenden aufgeregt, die sich einbilden, mal eben mit dem Flugzeug nach Malaysia zu "jetten". Mir geht es aber um ein Land, das viel mehr in der Nähe liegt, und zwar Schottland. Letzten September war ich drei Wochen dort, machte in Edinburgh Couchsurfing, arbeitete zwei Wochen im Garten eines Landsitzes in den Scottish Borders und wusste danach wieder ein kleines bisschen mehr über die Schotten. Natürlich wollte ich diesen Sommer unbedingt wieder dorthin, in das Land von Walter Scott, Ewan McGregor und Whisky, Tartan und einem absolut coolen Dialekt. Aye! Natürlich wurde dann nichts daraus, das Problem ist: Jetzt sitze ich hier in meinem Zimmer und muss eigentlich mal wieder für eine Prüfung lernen. Ich google stattdessen Bilder von den Highlands. Logge mich auf der Woofing-Internetsetseie ein, über die man weltweit öko-Bauernhöfe findet, auf denen man freiwillig mitarbeiten kann. Nur schonmal gucken, was es da so für Höfe gibt, falls es nächstes Jahr wieder möglich ist dorthin zu reisen. Natürlich nicht mit dem Flugzeug. Die Alternative hab ich mir auch schon ausbaldowert: Mit dem Zug kann man von Köln nach Brüssel fahren, dort umsteigen und bis London weiter. In London könnte ich dann den Caledonian Sleeper nehmen, den Nachtzug. Habe ich noch nie gemacht! Der führe dann weiter hoch bis Edinburgh. Absolut cool! Den Zug nach London hatte ich dieses Jahr tatsächlich auch schon gebucht - weil dann die Reise nicht stattfand, bekam ich einen Gutschein von der Bahngesellschaft. Für den kommenden Sommer, wie ich hoffe. Bis dahin muss wohl der Krimi von Val McDermid und Scottish Folk Music ausreichen.

Klimangst (26.09.2020)

Gestern war endlich mal wieder eine Fridays for Future- Demo. Es waren viele Leute da, die mit Abstand und Masken friedlich für den Klimaschutz eintraten. Obwohl ich auch dabei war, konnte ich leider nicht hören, was bei den Kundgebungen gefordert wurde, was ja irgendwie auch wieder ein gutes Zeichen war, weil es zeigt, wie viele Menschen teilnahmen. Mit 25 Jahren habe ich regelmäßig Angst um das, was in den nächsten 50-60 Jahren passieren wird. Ich habe Angst, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass der Klimawandel viel schneller "da ist", als "man" so angenommen hat. Zum Beispiel hatten wir jetzt den dritten Dürresommer in Folge. Manche meiner Bekannten sprechen davon, als ob dieses Phänomen eine Ausnahme wäre und man davon ausginge, dass es im nächsten Jahr bestimmt wieder normal wird.  Dann habe ich den Eindruck, dass sie nicht verstehen, dass diese Trockenheit jetzt der Normalfall wird. Und dass der Normalfall absterbende Fichten sind, und Seuchen. Was mich außerdem nervt: Obwohl die klimatischen Bedingungen evident sind, komme ich mir immer noch wie eine pessimistisch-idealistische Ökotante vor, weil ich mich um die Umwelt sorge. Ich scheine ein Teil einer nicht ganz ernst zu nehmenden Randgruppe zu sein, die man wegen ihrer extremen, anstrengenden Einstellung belächelt. Ein Großteil der Menschen (Politiker nicht ausgeschlossen) scheint unfassbar langsam, naiv, trotzig, ignorant und/ oder  schwer von Begriff zu sein, wenn es um diese globale Veränderung geht. Leider wohne ich in einer Stadt, die in der Einflugsschneise des Flughafen Düsseldorf liegt und in der noch immer viel zu viele Autos unterwegs sind. Auf denen prangen unter anderem Aufkleber wie zum Beispiel "Fuck Greta" oder "Fridays for Hubraum".

Die Frage, die ich mir stelle, ist folgende. Was muss denn noch passieren, damit die Leute verstehen, dass sich durch einmal weniger Fliegen nicht groß was ändert, wenn man trotzdem jede noch so kleine Strecke mit dem Auto fährt und jeden Tag billiges Fleisch kauft? Wir haben in 2020 den Tönnies-Skandal, schlechtere Ernten und, ach ja, eine Pandemie. ("Die Situation ist ernst. Nehmen Sie sie ernst!") Trotzdem traue ich mich oft nicht, solche Dinge in meinem Umfeld anzusprechen, weil ich dann als unbequem gelte. Also habe ich still und heimlich weiter Angst.

Dieses diffuse Gefühl der Ohnmacht beeinflusst mich täglich in meinen Entscheidungen, was ja an sich auch nicht schlecht ist. Ich fahre mit dem Zug und mit dem Fahrrad, obwohl das oft mega umständlich und teilweise kräftezehrend ist. Ich versuche, so regional und verpackungsarm wie möglich einzukaufen. Seit 2019 fliege ich überhaupt nicht mehr, und obwohl ich das alles versuche, denke ich oft, dass es ja eh nix bringt. Die Generation, die den Klimawandel zum großen Teil mit verursacht, kriegt die Konsequenzen ja sowieso nicht mehr so stark mit. Nach euch die Sintflut.

"Wie eine große Kartoffel"- Magenspiegelung Teil 2 (24.9.20)

Viel zu schnell rückte der Tag der Tage näher, an dem ich meine erste Gastroskopie bekommen sollte. In der Aufklärung stand, ich hätte die Wahl zwischen einer Sedierung (aka Schlafspritze) und einem Rachenbetäubungsspray. Da ich weder das Geld hatte mir ein Taxi zu bestellen, noch von jemandem aus der Praxis abgeholt werden konnte, entschied ich mich für die lokale Betäubung. In der Nacht vor dem Termin schlief ich schlecht. Morgens wachte ich mit Kopfschmerzen auf und machte mich ängstlich auf zur Praxis. Dort empfingen mich die blau eingehüllten Damen und geleiteten mich zu einer Liege, auf der ich seitlich Platz nahm. Eine Arzthelferin legte mir das von mir mitgebrachte Handtuch unter, und spätestens da wurde mir klar, dass das hier kein Spaziergang werden würde. Das Rachenbetäubungsspray verdiente seinen Namen nicht wirklich. Die Ärztin bereitete den Gastroskopie-Schlauch vor und ich bekam Angst. Dieses Gerät würde also gleich meinen Magen ausleuchten? Na dann, gute Nacht. Oder auch nicht, schließlich war ich ja nicht sediert, sondern bei vollem Bewusstsein. Mein Kiefer wurde künstlich aufgesperrt und als ich da so auf der Seite lag und mir der Schlauch in den Rachen geschoben werden sollte, schlug ich beim ersten Versuch der Medizinerin gekonnt reflexartig das Ding aus der Hand. Sofort entschuldigte ich mich für meinen rechten Haken (der, so muss ich im Nachhinein zugeben, schon sehr zielsicher platziert war!) und fragte, ob ich noch etwas mehr Rachenbetäubungsspray bekommen könne. So ein- bis zwei Liter. Eine zweite Helferin setzte sich nun neben mich und hielt meine Hand, und man empfahl mir, an eine große Kartoffel zu denken, und den Speichel einfach laufen zu lassen. Dann leiteten sie den Schlauch durch meine Speiseröhre in den Magen. Ich erlitt Würgereflex um Würgereflex, meine Augen tränten, ich zerquetschte beinahe die Hand der netten Arzthelferin und dachte, dass eine Magenspiegelung mit eine der schlimmsten, ekligsten Sachen ist, die ich in meinem 25-jährigen Leben bis dato hatte aushalten müssen. Schließlich war die Tortur vorbei und ich zitterte am ganzen Körper. Das Handtuch war voller Sabber und ich traute mich nicht, der Gastroenterologin in die Augen zu schauen. Warum hatte sie sich wohl so einen Beruf ausgesucht?

Kurz bevor ich das Untersuchungszimmer wieder verlassen durfte, teilte man mir noch den Befund mit: Alles unauffällig. Eventuell eine Laktoseintoleranz oder eine andere Lebensmittelunverträglichkeit. Ich wusste nicht recht, wie ich darauf reagieren sollte. Eigentlich war es ja gut. andererseits hätte ich dafür das ganze Theater ja irgendwie gar nicht machen müssen. Naja, jedenfalls war ich jetzt um zwei Erkenntnisse reicher: Erstens. Ich habe kein Magen- oder Speiseröhregespür. Der Hypochonder in mir jubiliert. Zweitens. NIE WIEDER GASTROSKOPIE. NIE WIEDER.

 

Nix für Zartbeseitete - Magenspiegelung Teil 1 (24.09.20)

Seit ich mir vor ein paar Wochen auf einer Wanderung den Magen verdarb (ich glaube, ich hatte da was erwähnt), habe ich latente Bauchschmerzen. Und ein Alltag mit Bauchschmerzen, das ist doch nichts. Also ging ich zu meiner Hausärztin. Sie machte eine Ultraschalluntersuchung und glitschte mit dem Gerät auf meinem Oberbauch herum, dann sagte sie: "Gut, dass Sie gekommen sind, der ganze Magen ist ja voller Luft! Und die Niere kann ich gar nicht erkennen hier, außerdem ist die Kokarde verdickt. Sie wissen, was eine Kokarde ist? Wie damals bei der französischen Revolution, so eine von den Kokarden." Dann verbot sie mir Kohlensäure, Alkohol, Nikotin, säurehaltige sowie scharfe Lebensmittel (also quasi alles, was das Leben lebenswert macht) und empfahl, eine Magenspiegelung zu machen. Die Termine dafür seien aber rar gesät, und ich solle mich auf wochenlange Wartezeit einstellen. Einen Säureblocker schrieb sie mir auch noch auf, dann schickte sie mich mit noch nicht wieder trockenem Bauch zurück an die Rezeption. Die fleißige Sprechstundenhilfe empfing mich mit den Worten: "So, Sie haben übermorgen den Termin!" - "Übermorgen kann ich aber nicht, es hieß doch, es sei wochenlange Wartezeit!", antwortete ich perplex. "Dann müssen Sie selber noch mal einen anderen Termin machen", gab sie etwas schnippisch, weil vom Telefonat überfordert, zurück. Ich bekam noch ein Tütchen mit für eine Stuhlprobe. Och nö, dachte ich, bitte keine Stuhlprobe! Dann ging ich nach Hause und googelte "Kokarde". Daraufhin dachte ich umgehend daran, mein Testament zu machen, weil mir von diversen Websites bescheinigt wurde, definitiv Magenkrebs zu haben. Ich versuchte die kommenden drei Tage, bei der gastroenterologischen Praxis anzurufen, in der ich den Termin hatte. Ich erreichte niemanden. Auch nicht in den zehn anderen Praxen, die ich daraufhin alternativ anrufen wollte. Verzweifelt ließ ich mir über den Terminvereinbarungsservice meiner Krankenkasse (ich wusste gar nicht, dass es sowas gibt!) einen Termin für in drei Monaten geben. Mit der Stuhlprobe (der Deckel der Ampulle hat allen Ernstes eine braune Farbe!) ging ich dann wieder zur Hausärztin und fragte nach Schmerzmitteln für meinen Bauch. Ich sagte, dass ich erst in drei Monaten wieder einen Termin bekommen hätte. Sie wiederum runzelte die Stirn und meinte, sie würde nochmal bei der Praxis nachhorchen. Und, Zauber Zauber - oder, wie Gina Lisa Lohfink sagen würde - Zack die Bohne, hatte ich einen Termin für zwei Tage später. Da sieht man mal wieder, was für einen Unterschied es macht, ob man Arzt oder Patient ist. Wie es dann schließlich bei der Gastroenterologie war, steht im  nächsten Text.

 

Frank und Frei - ein Wochenende auf'm Land (22.9.20)

Momentan sind noch Semesterferien. Diese wollen möglichst gut genutzt werden, wann habe ich schließlich nochmal die Möglichkeit meine Babysitterfamilie zu besuchen? Seit sie letztes Jahr nach Franken gezogen sind, frage ich mich regelmäßig, wie es wohl den Kids geht, ob sie mich noch wieder erkennen? Also buche ich flugs ein Sparpreisticket in den Süden. Als ich in einem kleinen fränkischen Städtchen  am Bahnsteig abgeholt werde und mich vier kleine Armpaare gleichzeitig fast zerquetschen, habe ich die Antwort: Sie wissen immer noch, wer ich bin. Wir fahren zum Dorf, wo die Familie nun seit einem Jahr in einem riesigen Haus lebt, mit Traktor, Heuboden, Wollküche und Werkstatt. Ach ja, und einer riesigen Wiese, die zu einem Bach führt. Das nenne ich mal Eigentum! Es gibt so viel Platz, dass man gar nicht weiß, wo hin mit sich. Vier Kaninchen gibt es auch, für jedes Kind eines. Morgens kommt ein Bus, der sie zur Kita, zur Grundschule und zum Gymnasium bringt, und bis sie wiederkommen, trinke ich fleißig Kaffee mit der Managerin, äh, Mutter. Dass sie es schafft, die Horde jeden Tag anzuziehen, die Hausaufgaben zu kontrollieren, Streitereien zu schlichten sowie die nachmittäglichen Hobbies und die Versorgung zu organisieren, ist mir immer wieder ein Rätsel. Außerdem strickt sie quasi nebenbei die schönsten Anziehsachen der Welt und spinnt die Wolle dafür sogar selbst.

Jedenfalls haben wir ein paar schöne Tage zusammen, gehen zum Waldsee, besichtigen die kleine Burg im Nachbardorf, machen Hausaufgaben und basteln, streicheln fleißig die Kaninchen (GLÜCKSGEFÜHL!!!!) und spielen Karten. Die Dreijährige fragt mich immer wieder entgeistert, warum ich denn bloß einen Nagel im Mund hätte- und ich erkläre ihr fünf Mal, dass das Schmuck ist, wie ein Ohrring, nur halt an der Lippe. Und dass man das "Piercing" nennt. Die Große schminkt sich fleißig und nutzt dafür ungefähr das halbe biyou- Sortiment aus dem Drogeriemarkt und backt Kuchen, wir lesen uns gegenseitig Sherlock Holmes vor und gucken abends die Disney-Verfilmung von Robin Hood. Viel zu schnell geht das Wochenende um und ich muss mich verabschieden. Wenn ich das nächste Mal herkomme, werden sie wieder ein Stück größer sein und noch mehr Dialekt sprechen, nicht nur "a weng" und "vreckt" und "freilich". Oh jemine.

Die Zugfahrt zurück in die Heimat dauert statt fünf Stunden zehn Stunden, weil ich meinen Halt in Düsseldorf galant verschlafe und der Zug aufgrund von Bauarbeiten nicht in Essen hält. So steige ich denn um 22 Uhr in Münster aus und warte eine Stunde lang darauf, dass mein lieber Bruder mich abholt und nach Hause fährt. Familie ist schon echt was Wunderbares!

Du bes Kölle, du bes super tolerant (16.9.20)

Seit neustem habe ich coole Kontakte in Köln - das ist sehr praktisch, weil die Millionenstadt am Rhein nun mal weltbekannt ist. Meine Oma hat immer noch eine kleine Flasche 4711 im Badezimmer stehen, da sieht man auch, wie berühmt Köln ist. Jedenfalls war ich letztens dort, zusammen mit meiner ehemaligen Mitbewohnerin. Das schöne an dieser Metropole ist, dass man gefühlt jede*n anquatschen kann und immer super ins Gespräch kommt, vor allem, wenn es schon etwas später ist. Wir liefen also durch Köln-Mülheim und strandeten schließlich am Späti-Kiosk in der Nähe des Barbarossaplatzes, wo um 24 Uhr viel Jungvolk unterwegs war. Allerdings soll man ja immer dann gehen, wenn's am schönsten ist und so drängte ich, uns in Richtung Hauptbahnhof zu begeben. Ich musste nämlich noch zurück ins Ruhrgebiet und mir schwante, dass das noch etwas dauern würde, bis ich wieder zuhause ankäme. Prompt verpassten wir denn auch die Bahn um 00:49 Uhr und mussten eine Stunde warten. Wir latschten solange über den Rhein und bewunderten den Dom, der von Vögeln umschwirrt und angeleuchtet wurde, so dass wir uns auf Hogwarts wähnten. Schließlich gingen wir zurück in Richtung Bahnhof, wo wir uns dann noch eine Dreiviertelstunde länger aufhalten "durften", weil aufgrund von Personen im Gleis kein einziger Zug fuhr. Die Wartezeit wurde versüßt durch eine Horde Besoffener, die lautstark Lieder auf Kölsch gröhlten. Besagte Herren stiegen natürlich auch mit mir in den gleichen Zug und blockierten noch ein wenig die Tür. Als der Zug dann schließlich um halb drei losfuhr, rannten konsequent fünf überdrehte "Halbstarke" durch die Abteile und ich fror wie eine Schneiderin, weil die Klimaanlage einfach zu gut funktionierte. Aber ich konnte dem Ganzen auch etwas Positives abgewinnen: So würde ich statt 53 Minuten Aufenthalt in Gelsenkirchen nur 20 Minuten haben.

Obwohl ich das Ruhrgebiet sehr liebe und gegen jegliche Abfälligkeiten von Düsseldorfern, Tübingern oder Münchnern verteidige, muss ich schon sagen, dass es ganz schön fies ist, nachts als Frau alleine im Bahnhof Gelsenkirchen zu sein. Ich stellte mich also sicherheitshalber direkt neben den Taxistand und unterhielt mich frierend mit einem sehr netten Taxifahrer, dessen Töchter Jura in Bochum studieren. Nein, ich habe sie noch nie getroffen, die Töchter. Das liegt daran, dass ich nicht Jura studiere. Auf meine Frage, wie viel denn so eine Fahrt zu meinem Heimatort kosten würde, war die Antwort: 50 Euro mindestens. Deshalb rannte ich zurück zum Gleis und setzte meine Geisterfahrt fort. Vom Zielbahnhof waren es dann noch einmal gut zwei Kilometer bis nach Hause, die ich rennend zurücklegte, mein Herz pochte bei jedem vorbeifahrenden Auto schneller. Die Autofahrer werden sich wohl auch ihren Teil gedacht haben. Um 5 Uhr morgens lag ich schließlich im Bett und beschloss, dass ich für solche Aktionen mittlerweile eindeutig zu alt bin!

Sportklamotten und 2000er Tanzfilme (14.09.20)

Meistens komme ich im Frühling oder im Herbst in spontane Kaufräusche, wenn ich durch die Stadt laufe und meine alten Anziehsachen quasi nur noch mit fadenscheinigen Nähten zusammengehalten werden. So auch vergangene Woche - es war ein güldener Spätsommertag, am Morgen war ich im Baumarkt gewesen und hatte schon viel mehr Pflanzen gekauft als mein Fahrrad tragen konnte. Am Nachmittag spazierte ich also durch die "City" der besten Stadt des Westens und machte halt beim Secondhandladen meines Vertrauens.

Weil ich ja ach- so- sportlich bin, (haha) führte mich mein Weg zu dem entsprechenden Kleiderständer. Interessanterweise gab es dort ein Massenangebot an norwegisch beschrifteten Läufershirts. Und weil ich Skandinavien per se cool finde - Laufsport eher nicht - entschied ich mich schließlich für ein grau-orangefarbenes Teil, mit dem Schriftzug: Sentrumslöpet 23. April 2016. Auf der Rückseite stehen noch die entsprechenden Stationen des besagten Laufes, die kann ich aber, während ich diesen Text gerade schreibe, nicht sehen, weil ich dafür das Shirt ausziehen müsste. So, jetzt bin ich offiziell eine Betrügerin. Das ist mir bewusst. Aber das Gefühl, dass die Leute mich mit diesem Oberteil sehen, und dann denken: "Oh, wie interessant! Die Dame da vorn ist anscheinend Läuferin. Und sie war sogar bei einem Sportevent in Norwegen dabei, 2016! Wow!" - dieses Gefühl ist halt ungleich cooler!

Am Abend bin ich dann mit stolzgeschwellter Brust zu meinen Eltern gefahren, um über den Netflix Account meiner Schwester einen Tanzfilm zu schauen. Ich bin also nicht nur Betrügerin, sondern auch Nutznießerin. Der besagte Film war "Save the Last Dance", mit Sean Patrick Thomas und Julia Stiles, und ist von 2001. Es geht um eine Ex-Ballerina, die das Tanzen aufgegeben hat, und sich dann in einen schwarzen Hip-Hop Anhänger verliebt.  Er bringt ihr dann besagten Style bei und sie traut sich sogar, wieder mit dem Ballett zu beginnen. Die Klamotten, die die Jugendlichen in diesem Film tragen sind aus meiner Sicht des Jahres 2020 mehr als gewöhnungsbedürftig - ich rede von Pelzkragen, schwarzen Lederhosen und Buffaloschuhen mit Riesenabsatz. Eine unfassbar vorhersehbare Story, aber genau das ist es ja, was diese Art von Film ausmacht. Wenn man einfach nur krasse Moves sehen will, während man selber faul auf dem Sofa sitzt, wie in meinem Fall. Aber eben mit norwegischem Laufshirt.

 

Instagram (8.9.20)

Ja, zugegebenerweise bin ich jetzt auch bei Instagram. Lange habe ich mich dagegen gewehrt, bewusst uncool. Schließlich mache ich doch nicht das, was alle machen, habe ich gedacht. Nein! Extra altmodisch, mich nicht von Trends bestimmen lassen. Und so weiter.

Aber irgendwas hat sich letzte Woche geändert. Ob es daran lag, dass ich vermehrt wieder mit Leuten von früher Kontakt habe oder einfach an dem Fakt, dass ich Langeweile hatte. Jedenfalls erstellte ich mir einen Account und wurde natürlich direkt ein bisschen süchtig. Süchtig nach Aufmerksamkeit, nach Likes, nach Stalkingtätigkeiten. Seitdem habe ich das Smartphone zehn mal mehr in der Hand als in den letzten Wochen. Lade täglich ein Bild hoch, von meinen Zeichen- und Malereiversuchen, suche nach Bekannten, akzeptiere Follower.

Wird mein Leben dadurch interessanter, dass andere jetzt wissen, was ich so mache? Letztlich geht es doch irgendwie darum oder? Dass man andere am eigenen Leben teilhaben lässt, klar. Dass man mit Leuten in Kontakt bleibt, die man nicht mehr regelmäßig trifft.

...

Jetzt konnte ich den Text nicht weiter schreiben, weil ich am Smartphone war. Kurz gucken ob einer meinen neuen Post geliked hat. Ich merke, wie meine Aufmerksamkeitsspanne, die sowieso schon unterdurchschnittlich ist, noch kürzer wird. Gerade befinde ich mich also in genau dem Prozess, den ich vor anderen immer einigermaßen großmäulig verurteile.

Aber es ist auch einfach wirklich ein schönes Gefühl, zu wissen, dass Leute das mögen, was einem wichtig ist! Von Selbstdarstellung kann da keine Rede sein, nee!

Trink gut - Pfand auch (3.9.20)

Nachdem ich mein Leben als Stadtkind wiederaufgenommen habe, muss ich mich natürlich irgendwie körperlich beschäftigen. Wenn man drei Wochen lang Zucchini, Zwiebeln und Kartoffeln geerntet, Rasen gemäht und Unkraut gejätet hat, ist es nicht einfach, plötzlich wieder lange Zeiten vor dem PC zu verbringen! Also habe ich in meiner WG alle Pfandflaschen zusammengesammelt und mich auf den Weg Richtung Supermarkt gemacht.

Pfand wegbringen ist nämlich mein Lieblingsdienst in unserer WG, abgesehen von Gartenarbeit. Das ist aber eigentlich kein Dienst, das mach ich freiwillig. Jedenfalls - es gibt ja schon fulminante Unterschiede was das Pfandsystem angeht! Das kann man nicht einfach so erledigen, nein nein! Ich mache beispielsweise jedes zweite Mal wieder den Fehler, die Mehrwegflaschen zum einfachen Automaten mitzunehmen, um dann frustriert festzustellen: "Gerät akzeptiert Marke nicht". Und dazu dieses ekelhafte Geräusch, wenn die Flasche wieder aus der Öffnung herausgeschoben wird. Dann geht mein nächster Gang zum Getränkemarkt, bei dem ich dann auch die Glasflaschen mitnehme, denn die sind ja ganz sicher nur dort abzugeben. Und wie ich diesen Ort mag! Früher bin ich jeden Samstag mit Papa dorthin gefahren, um kästenweise Apfelschorle, Wasser und Vitamalz abzugeben. Dann bekam ich immer ein bisschen Quengelware, wenn ich es klug anstellte.

Aber jetzt bin ich ja erwachsen und kann mir meine Quengelware selber kaufen.

Ich stiefele also zum Eingang und reihe mich brav in die Schlange ein, bin eine der wenigen Frauen, die sich hier aufhalten. Einer von mir gemachten Beobachtung zufolge ist der Getränkemarkt neben dem Baumarkt eher eine Herrendomäne. Die Herren die dort arbeiten, sortieren fix mein mitgebrachtes Gut ein und händigen mir einen Bon aus, viel ist es eigentlich nie. So zwischen einem und zwei Euro. Aber: haben oder nicht haben! Damit könnte ich mir jetzt einen ausgefallenen Saft kaufen, oder eine Fritz- Cola, oder einen Salsa-Dip. Oder Hundefutter, oder Crushed-Ice (der Yeti auf der Eispackung heißt übrigens Yannick, ein Hoch auf Alliterationen!). Manchmal lasse ich mir das Geld aber auch einfach aushändigen, Pfennigfüchsin, die ich bin. Ha, denke ich dann, jetzt müsst IHR MIR Geld geben, nicht andersherum!

Was für eine willkommene Abwechslung Pfandgut meinem Alltag doch bietet.

Snapback to reality (31.08.20)

So schnell können also drei Wochen umgehen! Die Zeit auf dem Bauernhof ist um, gestern bin ich mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, mit ganz vielen Erinnerungen und einem kribbelndem, weil wahrscheinlich eingeklemmten Nerv im Gepäck. Irgendwie war ich gestern froh, den Bauwagen hinter mir lassen zu können. Wieder in einem abschließbaren Haus schlafen zu dürfen, mit dem Badezimmer direkt nebenan. In kalten Nächten nicht direkt unter vier Wolldecken schlafen zu müssen und immer noch zu frieren.

Auch die Gerüche der Bokashitonne können mir erstmal gestohlen bleiben! Kurze Erklärung: Eine Bokashitonne dient zur Kompostierung beziehungsweise Düngerherstellung. Man füllt sie mit organischen Abfällen aus der Küche und besprüht das ganze mit effektiven Mikroorganismen, die das Zeug dann zersetzen. Das hat uns Peter erklärt, der Landschaftsgärter vom Hof. Wir haben ihn auch Zaubermann genannt, weil er ganz schön viel weiß über den Kram. Allerdings ist er auch der Meinung, Bokashi würde nicht stinken, wenn man es nur richtig anfängt. Hm.

Jedenfalls hat Peter am letzten Abend noch eine weitere seiner Zauberfähigkeiten unter Beweis gestellt. Es gab nämlich ein Kontiki-Lagerfeuer, zur Biokohleherstellung. Wir fanden uns um am frühen Abend im Gemüsegarten ein, wo eine kleine betonierte Grube im Boden eingelassen ist. Peter heizte das Feuer an, und wir Zuschauer machten es uns auf Gartenstühlen so gemütlich wie möglich. Als dann schließlich die Sonne unterging, ließ uns Peter an einem ganz speziellen vedischen Ritual teilnehmen (Ayurveda kommt zum Beispiel auch davon). Er hatte sich bei einem Bauer aus der Umgebung Kuhmist abgeholt, von Kühen aus biologischer Landwirtschaft, die ihre Hörner behalten dürfen und schon einmal gekalbt haben. Diesem Mist wird in den vedischen Schriften besondere Stärke zugesprochen. Er zündete den Mist dann an, nachdem er sich mithilfe eines Kompass am Stand der Sonne orientiert hatte. Während wir also mit Rauch zugequalmt wurden, las er in einem komischen Singsang ein indisches Gebet vor und wir sollten ganz leise sein. Was genau für eine Wirkung dieser verbrannte Mist nun haben sollte, habe ich vergessen. Ich glaube, er soll Strahlung aus der Luft fernhalten oder so. Jedenfalls durften wir dann irgendwann wieder sprechen und Peter gab zu, dass er ganz schön aufgeregt gewesen war. Er hatte das Ritual nämlich noch nie vor einer größeren Zuschauerschaft durchgeführt. Zum Abschluss des Abends begoss er das Feuer mit einer Gießkanne und stampfte die Holzscheite ordentlich fest, damit auch wirklich Kohle entstehen würde. Echt spannend, was dieser Typ alles wusste! Mit Feuergeruch in den Klamotten ging ich in dieser Nacht schlafen, und jedes Mal wenn ich in Zukunft Lagerfeuer mache, kann ich theoretisch meine eigene Holzkohle herstellen! Wenn auch ohne heiligen Kuhdung.

Stürmische Zeiten auf dem Hof (26.08.20)

...Und mal wieder sitze ich im einzigen Raum des Hofes, der Internetempfang hat und lausche dem Sturm, der draußen tobt. Ein Wunder, dass mein Bauwagen noch nicht weggeflogen ist. Quasi verzaubert, wie so manche Dinge hier ein bisschen verzaubert sind. Es gibt Kräuter für und gegen alles, Kügelchen und effektive Mikoorganismen für den Biomüll. Aber wogegen es kein effektives Mittel gibt, sind die Fliegen und die Hornissen. Ja, ich weiß, Hornissen sind gute, nützliche Tiere. Wenn diese Riesenviecher allerdings jeden Abend bei uns in der Gemeinschaftküche umherbrummen, kann einem das gehörig auf den Zeiger gehen! Letzte Nacht wurde ich von Senta angerufen, die barfuß in eine Hornisse getreten war und nun mit geschwollenem Fuß immer panischer wurde. Ich machte mich also durch den Sturm auf in das Gemeinschaftsgebäude und begutachtete ihren Stich, dann legte ich eine halbe Zwiebel drauf und kühlte die Wunde. Die Hornissen brummten derweil mit Düsenjägerlautstärke um die Küchenlampe herum. Als Senta wieder einigermaßen gehen konnte, zerschnitt sie kurzerhand ihren Schuh, um ihren geschwollenen Fuß dort hineinzuzwängen. Dann ging sie irgendwann wieder zurück in ihr Zelt, und bekam von unserem Chef heute vormittag die Erlaubnis, auszuschlafen. 

Das Leben hier in Wuppertal auf dem Land ist wirklich anders in der Stadt! Das merkt man zum Beispiel, sobald man mit dem Fahrrad nach Oberbarmen fährt. Dort begegnen einem plötzlich ganz viele E-Bike fahrer, oder penetrante Fußgänger, die einen nicht vorbeilassen, weil man ihrer Ansicht nach anscheinend lieber in der 70er Zone auf der Straße radeln sollte. Die Männer riechen sehr nach Aftershave statt nach Erde und spätestens, wenn man in der S-Bahn Richtung Essen sitzt, ist die Anzahl der Bio-Deutschen drastisch gesunken. Welcome to City life! 

 

It makes sense - Woche zwei auf dem Hof (19.08.20)

Ich melde mich live vom Steinfußboden vor dem Biokisten-Haus auf unserem Hof, denn da hat man am ehesten Internetempfang. Ich sitze hier mit Rückenschmerzen, die Fliegen nerven unfassbar. Neben mir pflückt ein kleines, sehr blondes Mädchen Blumen und redet dabei leise mit sich selbst. Willkommen auf dem Land! Seit letztem Freitag habe ich noch zwei Mithelferinnen bekommen, Lina und Senta. Wir drei bilden also nun das lustigste Dreiergespann was man sich vorstellen kann. Senta hat heute durchgesetzt, dass sie erst eine Stunde später mit dem Arbeiten anfangen muss, denn so früh Aufstehen ist nix für sie, sagt sie. Beim Arbeiten rauchen die beiden wie ein Schlot und wir machen Rätselraten. Abgesehen davon gehen wir unserem holländischen Chef auf die Nerven, mit unseren schlechten Witzen und der ständigen Fragerei. 

In meinen Bauwagen regnet es rein, das habe ich in den letzten Tagen festgestellt, weil es immer mal gewittert hat. Das Gewitter hat sein Gutes und sein Schlechtes: So muss ich nicht mehr gießen. Das schont meinen Rücken, der aber trotzdem wehtut. Der Nachteil ist: Es ist ziemlich gruselig nachts nochmal aus dem Bauwagen zum Gemeinschaftsbadezimmer zu laufen, wenn es neblig ist und alle Schatten sich bewegen und dann noch ein Käuzchen ruft! Vielleicht muss ich einfach noch öfter nachts draußen sein, um mich daran zu gewöhnen. Lina und Senta schlafen derweil wie ein Stein, und zwar in einem Zelt im "Erlebnistal". Wenn ich im Zelt zu Besuch bin, hören wir Sprachnachrichten von Linas Freundinnen auf dem Smartphone an, um dann fremde Beziehungsdramen zu analysieren. Mit den Kids spiele ich nachmittags Ochsenberger 1,2,3, um mich vorm Zwiebelnsortieren zu drücken. Denn allein von dem Geruch wird mir mittlerweile übel. 

Heute haben Lina und ich das Sensen gelernt, mal wieder eine Sache, die ich noch nie gemacht habe. Nach zwei Stunden des Sensens sind wir so geschwitzt, dass sich das Duschen am Abend vorher wirklich nicht gelohnt hat. Wir haben Tennisarme und drölf Millionen Brennnesselstiche. Wie gut, dass dann Senta schon Feierabend gemacht hat und Kaffee gekocht, so dass wir uns gemütlich auf die Treppe vor dem Gemeinschaftshaus setzen können, dort wo wir allen im Weg sitzen, und ganz in Ruhe unserer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Blödsinn reden und Witzchen reißen.

Dreck, Schweiß und Hitze – Arbeiten auf dem Bauernhof (14.08.20)

 

Man könnte ja meinen, nach meiner Ostdeutschlandtour im Juli hätte ich genug körperliche Aktivität gehabt. Pustekuchen. Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne viel mache und am liebsten unterwegs bin.

 

Kaum hatte ich mich also von meiner Magenverstimmung aufgrund des ostdeutschen Bachwassers erholt, machte ich mich auf den Weg nach, genau, Wuppertal. Warum Wuppertal? Nun ja, eigentlich wollte ich diesen Sommer gerne wieder nach Schottland, auf einem Hof arbeiten. Ging dann aus gegebenem Anlass nicht, also suchte ich mir einen Hof in meiner Nähe. Und die Landschaft in Wuppertal kann man sich ja auch schottisch denken. Ich wohne also seit einer Woche in einem Zirkuswagen, bei einer Öko-community mit circa 40 Erwachsenen und 18 Kindern. Hier gibt es viele verschiedene Projekte: Pferdetherapie, einen Unverpackt-Laden, eine Biokiste, zwei private Gärten und ein großes Feld, außerdem einen Schaf- und einen Hühnerstall. Und drumherum ganz viel Natur. Bis zur nächsten S-Bahnstation sind es 30 Minuten mit dem Fahrrad. Der Bus kommt einmal die Stunde, ab abends gar nicht mehr. Man hört keine Autobahn, was für mich als Ruhrgebietskind vielleicht am ungewöhnlichsten ist. Dafür hört man abends die Mücken, und ich kann nicht schlafen, weil die Biester mich nach Herzenslust stechen. Bah.

 

Morgens arbeite ich auf dem Feld, mit meinen ausgelatschten grünen New-Balance-Schuhen und einem Kopftuch, das finde ich cooler als einen Sonnenhut. Eitel bin ich nämlich trotzdem, auch wenn ich nach zwei Stunden verdreckt und verschwitzt bin! Denn die Arbeit ist körperlich echt anstrengend. Wir ernten gerade hauptsächlich Zucchini und Zwiebeln, und zwar en masse! Die Zucchini sind teilweise so groß, dass man sie als Bettpfosten gebrauchen könnte. Oder gleich als geschnitzte Wiege, für Paula, das neue Baby hier. Paula wurde übrigens ganz natürlich auf der Heuwiese geboren, aber das nur am Rande.

 

Mein „Chef“ ist ein Gärtner aus den Niederlanden, und am Anfang habe ich mich mit ihm in seiner Muttersprache unterhalten. Dann hat er aber gemerkt, dass ich entgegen meiner Hoffnungen nicht multitaskingfähig bin, also redet er nun konsequent deutsch. Dabei würde ich die Sprache so gerne noch besser lernen! Aber dafür bin ich ja nicht hier. Also zupfe ich fleißig weiter Unkraut und: gieße. Denn das Gießen ist gerade immens wichtig, weil es schon den dritten Sommer in Folge sehr trocken ist. Ich habe das Gefühl, wenn ich in zwei Wochen den Hof verlasse, nehme ich riesige Bizeps-Muskeln mit nach Hause - und einen krummen, schmerzenden Rücken.

 

Geschwisterwanderung mit Folgen / Ostdeutschland Teil 4 (4.8.20)

Den letzen Teil meiner Ostdeutschlandtour wollte ich zusammen mit meinem Bruder bestreiten, im Elbsandsteingebirge. Nachdem Rahel und ich in Dresden angekommen waren, checkten wir in unserem gemütlichen Hostel ein und warteten auf meinen Bruder. Am Abend gingen wir zum Asi-Eck, das ist eine Straßenecke in der Dresdner Neustadt, wo sich abends alles Jungvolk trifft und auf die Straße setzt. Man kauft sich dann beim Späti (das ist die Ostvariante unserer Kioske) was zu trinken und beobachtet die anderen Menschen. Gleichzeitig muss man aufpassen, dass man nicht von der Straßenbahn überfahren wird. Jedenfalls machten wir uns am nächsten Vormittag auf in Richtung Sächsische Schweiz, wo wir wandern und draußen schlafen wollten. Abenteuer pur! In Bad Schandau gingen wir noch einkaufen, dann wanderten wir rauf zum ersten Berg. Kleinhennersdorfer Stein, 359 Höhenmeter. Dann ging es wieder bergab, dann wieder bergauf, zum Papststein, Vierhundert Meter. Beim Abstieg zitterten unsere Beine und wir konnten nicht mehr. Auf einer Bank machten wir Pause und entschlossen uns, nur noch nach Cunnersdorf zu wandern und dort unser Lager für die Nacht aufzuschlagen. Kurz nachdem wir das Dorf hinter uns gelassen hatten, fiel uns an der Straße ein kleiner Rastplatz am Bach auf, so eine überdachte Sitzmöglichkeit, die uns perfekt zum Übernachten erschien. Wir badeten im Bach, füllten unsere Flaschen auf und fingen an mit dem Abendessen kochen. Es ging uns sehr gut, bis es dann irgendwann dunkel wurde, und damit immer gruseliger. Plötzlich fielen mir alle möglichen Gruselgeschichten ein, die in Wäldern spielten, mir kamen Zeitungsartikel in den Sinn, über Menschen, die verschwanden, einfach so. Im Wald. Mein Bruder und ich lasen uns gegenseitig vor, wohl auch, um uns zu beruhigen. Als es einmal direkt neben uns raschelte, erschreckten wir uns so sehr, dass wir danach erst recht nicht schlafen konnten. Außerdem war es saumäßig kalt. In dieser Nacht schlief ich circa zwei Stunden. Am nächsten Tag stand dann der zweite Teil der Wanderroute an, zum "Quirl" und dann in Richtung Nikolsdorf. Dort wollten wir auf einem Zeltplatz unsere Plane aufspannen. Wir trafen dort auf Festivalliebhaber, die eine "Wacken"-Ersatzparty feierten und bis spät in die Nacht laut Musik hörten. Aber wenigstens war es nicht so kalt wie in der ersten Nacht. Schließlich machten wir uns auf in Richtung Dresden, und fuhren von dort aus zurück in den Westen. Während der Fahrt bekam ich Magenschmerzen und Übelkeit. Kaum war ich zuhause angekommen, meldeten sich pochende Kopfschmerzen. Und ich war nicht die einzige: Mein Bruder schrieb mir am nächsten Tag, dass er sich die ganze Nacht hatte übergeben müssen. Vielleicht hätten wir lieber nicht von dem Bachwasser trinken sollen... 

Vorsicht vor dem Elberadweg / Ostdeutschland Teil 3 (4.8.20)

Dies ist nun also der dritte Text über meine Tour durch Ostdeutschland. Nachdem ich Station in Brandenburg an der Havel gemacht hatte, entschloss ich mich, mit dem Zug von Wusterwitz (ein Kaff) nach Magdeburg zu fahren. Es ist sehr wichtig zu wissen, dass Tokio Hotel aus Magdeburg kommen, eine kulturell also sehr einflussreiche Stadt. In Magdeburg traf ich mich dann mit einer guten Freundin, Rahel, mit der ich zusammen den Elberadweg bestreiten wollte. Der Haken an der Sache war, dass sie viel besser ausgerüstet war als ich. Mit einem besseren Fahrrad, einer gepolsterten Radlerhose und Sonnencreme. Aber gut, ich würde es schon mit ihr aufnehmen können! Schließlich war ich ja auch nicht von Pappe. Die ersten drei Tage verliefen verhältnismäßig gut, aber am vierten Tag, als wir Richtung Meißen fahren wollten (Tagesetappe von 60 Km, eigentlich gut zu schaffen), fing mein Körper an zu protestieren. Schon am Tag zu vor hatte ich einen ziemlichen Sonnenbrand bekommen und mein Po tat unbeschreiblich doll weh. Die zwei hinteren Finger meiner linken Hand waren schon seit ein paar Tagen taub, wahrscheinlich durch den unergonomischen Lenker. Und dann mussten wir auch noch über Kopfsteinpflaster, Schotter und Umleitungen fahren. Die Zwischenstation Riesa kam einfach nicht näher. Dazu wehte ein fieser Gegenwind. An diesem Tag hasste ich die Welt abgrundtief. Ich hasste mein 69 Euro Fahrrad, ich hasste den Elberadweg und die unzähligen Bauarbeiten, ich hasste meine schwachen Beine, weil sie nicht so wollten wie ich. Irgendwie kamen wir dann in Riesa an und ich entschloss mich, den Rest bis nach Meißen mit dem Zug zu fahren. Vor meinen Augen drehte sich alles, ich sah Blitze und konnte nicht mehr geradeaus laufen. Rahel fuhr also alleine die restlichen zwanzig Kilometer und holte mich in Meißen am Bahnhof ab. Alleine wäre ich wohl nicht weit gekommen. In der Pension schmierte mein Kreislauf dann komplett ab und ich konnte mich gar nicht mehr bewegen. Wie gut, dass ich meine Herz-Kreislauftropfen dabei hatte! Irgendwann später am Abend fühlte ich dann, wie meine Lebensgeister ansatzweise zurückkehrten. Und mein Stolz brachte mich dazu, am nächsten Tag weiterzufahren. Aber eines ist schon mal klar: Fahre nie ohne Radlerhosen und ohne Sonnenschutz! Und nimm dir gefälligst ein vernünftiges Fahrrad mit, wenn du das nächste Mal so eine Tour planst!

Vorsicht vor Leuten / Ostdeutschland Teil 2 (4.8.20)

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Das tue ich jetzt einfach mal. Während meiner Ostdeutschland Tour hatte ich verschiedene Air-Bnb Unterkünfte gebucht, die erste in einem kleinen Dorf südlich von Potsdam. Als ich abends dort ankam hatte ich einen Platten am Hinterrad und war dementsprechend sehr genervt - zumal die Supermärkte schon zu hatten und ich nicht wusste, ob ich bei meinem Gastgeber etwas zum Kochen schnorren dürfte. Als ich also das Häuschen erreicht hatte, begrüßte mich der Host freundlich und bat mich unter viel Gerede in die Küche, wo ich mich erstmal vorsichtig umsah. Es wirkte alles etwas esoterisch angehaucht und dann stellte sich ziemlich schnell heraus, dass besagter Gastgeber ein sogenannter "Flat-Earther" war. Er glaubte felsenfest daran, dass die Erde eine Scheibe sei und Corona eine Verschwörung. Masken trug er natürlich nicht und erklärte mir, dass man mit der richtigen veganen Ernährung so ziemlich alle Krankheiten heilen könne. Dann zeigte er mir meinen Außenschlafplatz: Ein Sofa mit Daunendecke, unter einem Wellblechdachvorsprung. Ziemlich cool! Die kleine Katze, die vorbeispazierte, stellte er mir als "Carsten" vor. (Der Kater der Nachbarn hieß übrigens Dr. Hoffmann). Dann lernte ich noch Simon kennen, der Mieter aus dem Bauwagen hinten im Garten. Wie sich herausstellte, kannte Simon sich glücklicherweise ziemlich gut mit Fahrrädern aus und half mir, mein Hinterrad auszubauen, so dass ich es flicken konnte. Auch stellte er mir den Sattel richtig ein und reinigte die Kette. Währenddessen erzählte er mir ein bisschen von den Gästen, die hier in diesem öko-eso-Zentrum schon ein- und ausgegangen waren: Menschen, die regelmäßige Darmspülungen mit einer niedrig konzentrierten Bleiche-lösung vornahmen, weil sie von deren heilender Wirkung überzeugt waren. Eine ältere Dame, die sich von Lichtenergie ernährte und regelmäßig mit ihrem Huhn spazieren ging. Abgesehen davon wussten sie, dass Deutschland insgeheim von Amerika besetzt sei. Aber das war geheim. Simon selbst war gelernter Detektiv, und hatte in seiner vorherigen Wohnung eine Stalkerin gehabt. Nachdem er mir dann noch erklärt hatte, wie man versteckte Kameras identifizieren könne, hatte ich fortan auf jeder Toilette Angst, heimlich gefilmt zu werden. Ein kleines bisschen froh war ich schon, als ich am nächsten Morgen diesen Ort der reinen Energien wieder verlassen konnte...

Die anderen Air-bnb Gastgeber waren dann übrigens alle vollkommen normal.

 

Zug, Fahrrad, laufen (4.8.20)

Nach einem Semester des im-Zimmer-Sitzens-und-auf-Laptop-Starrens hatte ich Erlebnisdrang. Und Menschen wollte ich auch mal wieder so richtig treffen. Der Sommer-Plan war, eine Freundin in Kassel zu besuchen, zusammen mit meiner Schwester. Von dort aus weiter nach Berlin, eine andere Freundin auf ihrem Ziegen-Bauernhof besuchen. Dann eine Radtour entlang der Elbe von Magdeburg nach Dresden, wo wir meinen Bruder treffen würden. Mit ihm wollte ich dann noch im Elbsandsteingebirge nahe der tschechischen Grenze wandern gehen. Aber alles der Reihe nach. 

Kurz nachdem ich mein Zugticket nach Berlin gebucht hatte, fiel mir ein, dass ich nicht auf "Fahrradmitnahme" geklickt hatte. Ich ging also zum DB-Schalter und wollte ein Ticket nachbuchen. Die Dame dort erklärte mir gelangweilt (oder vielleicht sogar schadenfroh?), dass in meinen gebuchten Fahrten keine Fahrradmitnahme erlaubt sei. Eine Radtour ohne Fahrrad ist allerdings nur halb so lustig, also entschloss ich mich, in Berlin-Friedrichshain ein gebrauchtes Fahrrad zu kaufen. Und damit nach Dresden zu fahren um es dort bei einem Kumpel unterzustellen. Abholen würde ich es dann ein anderes Mal. Glücklicherweise fand ich ein akzeptables Rad unter 100 Euro, das ich kurzerhand kaufte. Ich beschloss, direkt damit zu meiner Freundin in den Nordosten von Berlin zu fahren, wo sie seit zwei Jahren auf einem Hof lebt und seit kurzem auch einen Bauwagen ihr Eigen nennt. Sie ist mittlerweile selbstständige Landwirtin und baut Gemüse an, das sie mit den anderen Mitbewohnern zusammen auf dem Markt in Berlin verkauft. Auch melkt sie täglich die 17 Ziegen und stellt Käse her, alles ziemlich cool! Ich half also für zwei Tage beim Unkraut jäten, erntete Frühkartoffeln und durfte in ihrem Bauwagen schlafen. Abends machte ich Feuer und guckte mir den Sternenhimmel an. Als nächstes ging meine Tour weiter, von Berlin in Richtung Potsdam, wo ich ein Airbnb gebucht hatte. Von Potsdam aus wollte ich dann nach Brandenburg an der Havel, und von dort aus nach Magdeburg. Dort würde ich meine Freundin Rahel treffen, mit der ich dann zusammen den besagten Elberadweg entlangfahren würde. Was ich in dieser Zeit alles erlebte, steht allerdings auf einem anderen Blatt! 

Quasi-Quarantäne (10.7.20)

Von Marius Müller-Westernhagen kann man halten was man will, aber ich habe immer mal wieder eine Liedzeile von ihm im Kopf: "Freiheit, Freiheit / ist das Einzige was zählt." Wie wahr das ist, haben wahrscheinlich in den letzten Monaten viele Menschen nachempfinden können. Seit der Alltag wieder gelockert abläuft, habe ich das Gefühl, es ist fast alles wieder normal. Bis mein Mitbewohner letzte Woche eine Erkältung bekam. Es fing mit Schnupfen an, dann bekam er Fieber und Husten. Am Sonntagabend kümmerten wir uns um einen Abstrich. Das Abstrichmobil kam am nächsten Tag bei uns vorbei und ich bekam Angst, während ich mir das Wattestäbchen erst in den Rachen schob und danach in beide Nasenlöcher (ein richtig fieses Gefühl!). Denn erstmal müssten wir zwei Tage zuhause bleiben, bis das Testergebnis da war. Und wenn dann eine(r) von uns positiv wäre, müssten wir alle für zwei Wochen in Quarantäne. ZWEI WOCHEN! Ich bekam ultimativ schlechte Laune, weil ich dann nicht in den Urlaub fahren könnte. Da hatte ich mich seit Wochen drauf vorbereitet! Airbnbs gebucht, Zugzeiten nachgeschaut, Fahrrad- und Wanderrouten gegoogelt. Und das sollte jetzt vielleicht alles für die Katz sein? In meiner Wut ging ich raus in den Wald, dort lang, wo ich keinem Menschen begegnen könnte. Dann rief ich meine Eltern an, wie man das als Kind eben so macht, wenn man vor einem Problem steht. Mein Papa beruhigte mich und sagte, die Infektionsraten seien in den letzten Wochen stetig gesunken. Ich solle mal davon ausgehen, dass das Testergebnis negativ sei. Als ich auflegte, ging es mir ein kleines bisschen besser. Trotzdem stellte ich mir vor, wie ich zwei Wochen überwiegend zuhause verbringen würde. Ohne Freunde zu treffen. Ohne einkaufen zu gehen. Ohne in die Stadt zu gehen, um einen Kaffee zu trinken. Naja, wenigstens würde mir der Wald bleiben. Auch wenn das theoretisch nicht erlaubt war.

Am nächsten Morgen war ich gerade dabei, eine Vorlesung nachzuarbeiten, als es an meiner Zimmertür klopfte: Mein Vermieter stand vor mir, grinste und sagte den Satz der Sätze: "Du bist negativ - das ist positiv!" Ich jubelte und konnte mich gar nicht mehr einkriegen vor Dankbarkeit. Keiner von uns trug das Virus in sich! Direkt schrieb ich eine Sammelmail an meine Familie und textete meinen Freunden, wie froh ich darüber war. Am Nachmittag ging ich in die Stadt und genoss es so richtig, in die Bücherei gehen zu dürfen. Und zum Drogeriemarkt. Und zum türkischen Gemüsehändler. Und zum Secondhandladen. Ich freute mich über die Menschen, die Wuseligkeit, ich freute mich sogar über das regnerisch-wechselhafte Wetter. Freiheit, Freiheit /
Ist das einzige, was zählt.
Freiheit, Freiheit /
Ist das einzige, was zählt.

Die Profs und Ich (8.7.20)

Seit das berüchtigte Online-Semester gestartet ist, habe ich ja bereits zur Genüge gegen das digitale Studieren polemisiert. Doch so sehr mich die Situation stört, einen Vorteil hat sie: Die Dozenten kommen mir viel mehr wie richtige Menschen vor. Das mag jetzt vielleicht voyeuristisch klingen, aber ich finde es ziemlich cool, einen Einblick in das Privatleben meiner Lehrenden zu bekommen. Von dem Schlafzimmer meines Bildungswissenschaften-Profs habe ich ja bereits berichtet. Ich nenne ihn mal Herrn M. Wir saßen also in den letzten Wochen regelmäßig quasi unter seinem Hochbett und versuchten, uns etwas über Erziehung und Schule anzuhören. Zwischendurch kam sein kleiner Sohn rein, und immer wieder schaltete sich mitten in der Vorlesung lautstark der Drucker aus. Oder das Handy klingelte, was an sich nicht so störend gewesen wäre, wenn er sein Smartphone nicht mit dem Laptop verbunden hätte und so das Klingeln um einiges lauter tönte. Jedes Mal verdrehten wir als Studierende die Augen, während er sich vielmals entschuldigte. Letzte Woche bekam er, während er gerade über die alten Griechen sprach, einen mittelmäßig dramatischen Hustenanfall, der nicht mehr wegging: "Entschuldigen Sie bitte, ich habe Nüsse gegessen- ich weiß auch nicht warum ich das immer mache! Ich weiß doch, dass ich davon Husten bekomme!" Der Rest der Veranstaltung war also von intervallartigem Räuspern geprägt. Wir sahen es ihm nach. 

Bei einem Seminar meines anderen Studienfachs waren wir ebenfalls gerade mitten in einer Zoom-Sitzung, als der Hund des Dozierenden anfing zu bellen. Er war im gleichen Zimmer und bellte. Wir verstanden akustisch so ziemlich gar nichts mehr. Er ließ sich davon allerdings so ungefähr eine halbe Stunde lang einfach nicht beirren, er war wohl daran gewöhnt. Bis es ihm wohl schließlich irgendwann auch zu blöd wurde, gegen das Gebell seines vierbeinigen Freundes anzubrüllen und ihn aus dem Zimmer brachte. 

Eines Abends, als ich den Laptop endlich ausgeschaltet hatte und noch eine Runde spazieren ging, traf ich: Genau, einen Professor. Nicht mal abends hat man seine Ruhe vor ihnen, dachte ich grinsend und grüßte ihn, der gerade auf seinem E-Bike den Berg hochradelte. Er freute sich sichtlich mich zu sehen, er kam gerade vom Stand-up-paddling. Gut zu wissen, was die Wissenschaftler so am Abend unternehmen! Wir unterhielten uns ein paar Minuten und er erzählte, wie sehr er sich nach dem Austausch mit den Studierenden sehnte. Irgendwann erinnerten wir uns jedoch daran, dass wir uns in einer professionellen Relation befanden und beendeten unseren Plausch, schließlich musste er ja nach Hause, abendessen kochen. Eines steht fest: So nah wie in diesem Semester werde ich meinen Dozierenden wahrscheinlich nie wieder kommen!

Der Gaskartuschen-Camping-Adapter (30.6.20)

Bald möchte ich noch einmal für vier Tage wandern gehen, im Elbsandsteingebirge. Da ich noch eine Gaskartusche vom letzten Jahr habe, wollte ich mir nun einen eigenen Adapter dafür kaufen. Die letzten Male habe ich mir so ein Ding von einem Kumpel ausgeliehen, meine Outdoor-Ausrüstung sollte aber so langsam mal um so ein essentielles Gerät erweitert werden. Also machte ich mich auf die Suche. Weil ich unabhängige kleine Läden unterstützen möchte, googelte ich nach einem Outdoorgeschäft in der Nähe und fuhr mit dem Rad hin. Weil sich aber plötzlich aus dem Nichts eine RIESIGE Baustelle auftat, war meinem Vorhaben eine erste Hürde auferlegt. Umständlich gurkte ich außenrum und fing mir böse Blicke von Autofahrern sowie Fußgängern ein, weil ich weder auf dem Fußweg, noch auf der Einbahnstraße fahren durfte. Alles für den Adapter, dachte ich, und zwang mich, weiterzufahren. Schließlich hatte ich es mir vorgenommen und war fest entschlossen, mein Ziel auch zu erreichen. Kurz bevor ich also auf der Autobahn in Richtung Dortmund landete, fand ich den Camping-Laden. Sah sehr vielversprechend aus - Maske auf und rein! Das Innere hielt jedoch nicht wirklich, was die Außenfassade versprach. Es war mehr ein Outlet als ein Outdoor laden. Im Laden hielten sich außer mir noch einige 60+ Campingwillige auf, die fachsimpelnd Klappstühle probesaßen. Ich fand genau einen Verkäufer, der allerdings gerade ein intensives Gespräch mit einem Kunden führte, über Bestellungen von Stuhlhussen Marke "Joyce". Ziemlich viele Regale waren leer und weil ich so langsam ungeduldig wurde (also, eigentlich wurde ich wie immer sehr schnell ungeduldig), suchte ich einen anderen Verkäufer, fand aber nur eine Dame, die sich widerwillig als Kassiererin herausstellte. Am liebsten hätte sie sich wohl hinter der Theke versteckt, aber ich hatte sie zuerst gesehen und rannte auf sie zu, kurz bevor die neuen Kunden mit Khaki-Hosen sie mit ihren Fragen zu portablen Toiletten löchern konnten. Nachdem ich ihr umständlich beschrieben hatte, was ich suchte, löste sich das Fragezeichen nur langsam aus ihrem Gesicht, die Brillengläser beschlugen über der Maske und man merkte, dass sie scharf nachdachte! Dann führte sie mich zu den Gaskochern. Nein, genau so einen wollte ich eben nicht! Nur den Adapter! Damit konnte sie mir nicht dienen, leider. Weil ich damit eigentlich schon gerechnet hatte, war ich nur ein bisschen enttäuscht. Dann würde wohl das Gerät meines Kumpels noch einmal seine Dienste leisten müssen... Aber jedenfalls wusste ich jetzt, wie bequem es sich auf einem Stuhl mit "Joyce" sitzen lässt!

Körperkontakt und Pferdetherapie (14.06.20)

Mit dem Körperkontakt ist es in Nordeuropa ja so eine Sache. Je weiter nördlich man kommt, desto mehr regiert das Klischee, dass die Menschen distanziert miteinander umgehen. Während man sich in mediterranen Ländern zur Begrüßung gerne mal auf beide Wangen küsst, schüttelt man sich bei uns eher die Hand. Und momentan ist sogar das verpönt. Ganz zu schweigen von natürlichen Umarmungen oder anderen Kontaktformen. Die Frage ist: wie wirkt sich das auf die Psyche aus, wenn Menschen sich über Monate lang nicht anfassen dürfen? Es gibt zwar einige Studien über den Zusammenhang von Oxytocinausschüttung und Körperkontakt. Leider ist das noch nicht wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Körperkontakt ist nämlich wichtig, sehr wichtig. Andere Menschen berühren tut gut, stabilisiert die Psyche und tröstet. Das merke auch ich, auch wenn ich es gleichzeitig oft überhaupt nicht haben kann, andere anzufassen oder angefasst zu werden. Es ist eine Gratwanderung. Ich bin quasi ein Ausstellungsstück im Museum, mit einem großen Schild davor: "Bitte nicht berühren!" Ich entscheide normalerweise gerne selbst, wann ich einen anderen Menschen berühre. Das ist Teil meines Freiheitsbegriffs und meiner Menschenwürde.

Und selbst ich, die ich irgendwie Berührungsneurotikerin bin, merke, dass ich gerne mal wieder gedrückt werden würde. So richtig! Zarte angedeutete Umarmungen kann ich nämlich nicht so gut haben. Wenn, dann richtig! Und aus diesem Grund habe ich mir eine Pflegebeteiligung für zwei Pferde organisiert. Seit einigen Wochen gehe ich regelmäßig zum Stall: ausmisten, Futtereimer vorbereiten, Schubkarren schieben und vor allem: Pferde putzen. Und streicheln. Und umarmen. Weil es mich und die Pferde gleichermaßen beruhigt. Egal wie unausgeglichen ich im Alltag manchmal bin- sobald ich die Pferde von der Weide hole, ihnen rede, meine Hand auf ihren Rücken lege, werde ich total entspannt und zufrieden. Was für eine Win-win Situation! Die Wärme des Tiers spüren, das warme, weiche Maul streicheln sind Momente, die mich auf den Boden zurück holen. Und bis es wieder erlaubt ist, meine Freundinnen und Freunde zu umarmen, umarme ich eben "meine" tierischen Kollegen!

Schlaf und Disziplin (11.6.20)

Mittlerweile ist der Sommer ins Land gekommen, zum Glück mit etwas Regen. Mein erstes Mastersemester neigt sich beinahe schon wieder dem Ende zu und was ist meine Zwischenbilanz? Ich brauche Schlaf. Viel Schlaf. Von der ganzen Organisiererei des Studiums und den wissenschaftlichen Texten brummt mir der Kopf, und ich kann die Wände in meinem Zimmer echt nicht mehr sehen. Wie viele Stunden habe ich wohl seit März hier zugebracht? Wie oft habe ich mir vorgenommen, mal eher ins Bett zu gehen und nicht noch ewig zu lesen. Und wie oft habe ich mir den Wecker auf halb 9 gestellt und dann bis 10 Uhr geschlafen. Ich traue mich das fast gar nicht zu schreiben, weil ich mit drei Mitbewohnern zusammenlebe, die alle einen Beruf haben, für den sie täglich um halb sieben aus dem Haus gehen. Und ich, ich schlafe. Schlafe und trage teilweise bis nachmittags noch meinen Pyjama, weil es eh keinen interessiert, wie ich aussehe, wenn ich Unisachen mache. Und wo ich sie mache. Ich bin nämlich kürzlich dazu übergegangen, nicht mehr in meinem Sessel am Fenster zu arbeiten, sondern auf meinem Bett, weil das gemütlicher ist. Mein Tutorium habe ich in dieser Woche ebenfalls im Schlafanzug gehalten und gehofft, dass es niemandem auffällt, dass ich quasi noch im Bett bin. Man muss sich ja schließlich auch mal etwas trauen. Und sich nicht zu sehr darum kümmern, was die Leute denken.

Gleichzeitig schäme ich mich. Weil ich mir so undiszipliniert vorkomme. Weil Freundinnen von mir morgens um halb 8 aufstehen und eine halbe Stunde ein Workout durchziehen, und danach mit den Schreibtischarbeiten anfangen. Weil sie Bouldern gehen oder regelmäßig ins Fitnessstudio, oder abends um 20 Uhr noch zum Fußball. Weil sie sich White-boards mit Terminplänen aufhängen und ihr Leben so gut durchorganisiert ist. Bei mir ist das irgendwie anders, es würde mir überhaupt nichts bringen, früher aufzustehen. Weil es mir dann so schlecht ginge, dass ich überhaupt nichts geschafft kriegen würde, außer mich selber dafür zu bemitleiden, dass ich so müde bin. Fitnesstudios und Boulderhallen finde ich blöd, und nachdem ich Fahrrad gefahren bin oder zwei Pferde versorgt habe, rieche ich meistens nicht mehr wirklich gut. Hängt es wohl auch mit Disziplin zusammen, immer gut auszusehen und zu riechen wie eine frische "Ocean-Breeze" oder eine "Sommerwiese"? Dann habe ich noch ein ganzes Stück an Weg vor mir!

 

 

Das digitale Sommersemester (28.05.2020)

Ich weiß, dass ich mich schon oft genug über die Digitalisierung aufgeregt habe und trotzdem muss ich nochmal etwas loswerden: Das digitale Semester an der Uni nervt. So richtig. Nicht nur, dass die Zoom Sitzungen einfach kein Ersatz für den Diskurs im Seminar sind und alles verlangsamt und hakend abläuft. Wenn es denn überhaupt läuft, je nachdem. Auch hat sich zwischendurch die Online Learning platform meiner Universität nach einem Hacker-Angriff verabschiedet, so dass ich mein Tutorium nicht halten konnte. Ich fühlte mich zurückversetzt in die 2000er Jahre, wo das Laden eines Youtube-videos so lange dauerte, dass man zwischendurch gut mal einen Spaziergang machen konnte. Was für eine Zeitverschwendung, wenn man vor dem Laptop sitzt und auf den sich im Uhrzeigersinn drehenden Fortschrittsbalken starrt. Und nun funktioniert es zwar wieder, aber dafür weist die Lehre an anderen Stellen große Mängel auf. Ein Großteil meiner Dozent*innen stellt PDFs mit Texten online, die entweder gar nicht lesbar sind oder wo zwischendurch Seitenzahlen fehlen. Wie schwer kann es denn bitte sein, eine studentische Hilfskraft damit zu beauftragen, vernünftige Texte einzustellen? Und damit meine ich nicht, dass die fehlenden Seiten einfach per Handy abfotografiert und zusätzlich hochgeladen werden.

Zusätzlich habe ich gerade eine Vorlesung, die jeweils mit Powerpoint slides und dazugehörigen Audio-Dateien gehalten wird. Leider gibt es jedoch "Sound problems", das heißt: Der Ton auf der dazugehörigen Folie ist viel zu leise. Ich habe mittlerweile alle Lautstärkeregler hochgefahren, habe es mit Kopfhörern und externen Lautsprechern probiert, aber nichts klappt. Angeblich ist meine Powerpoint version veraltet. So wird denn ein Link in den Kurs gestellt, laut dem das Problem gelöst werden soll. Mitnichten funktioniert dieser Link. Also klebt momentan der Laptop an meinem Ohr und mit der freien Hand versuche ich mitzuschreiben. Ist eher mäßig erfolgreich.

Und jeden Nachmittag fahre ich den Laptop mit einem Seufzen herunter und zähle die Tage, bis das Semester um ist. Und ich auch mal eine Woche lang nicht online sein muss.

 

Durch das Münsterland cruisen (26.05.20)

Alle Welt fährt ja momentan wieder Fahrrad, was für eine wunderbare Entwicklung. Es gibt ja auch nichts besseres, als durch grüne Landschaften zu gondeln und sich den Fahrtwind um die Nase wehen zu lassen. Am vergangenen Wochenende habe ich eine gute Freundin in Münster besucht, weil wir uns wegen der Beschränkungen der letzten Zeit lange nicht gesehen hatten. Nachdem wir ordentlich Kaffee getrunken hatten, machten wir uns also auf den Weg in Richtung Wald und Flur, obwohl wir noch kein Ziel vor Augen hatten. Ein Hoch auf die guten Fahrradbeschilderungen! Wir schwankten lange hin und her zwischen Telgte und Warendorf, entschieden uns dann an der fünften Weggabelung für Letzteres. Schließlich waren wir ja jung und fit, und Warendorf liegt nur 30 Km von Münster entfernt. Gut auch, dass wir uns so einiges zu erzählen hatten, während wir über die staubigen Wege glitten und von diversen Rentnergrüppchen gegrüßt wurden. So kamen wir unserem Ziel näher und näher, und als wir schließlich in der Warendorfer Innenstadt ankamen, wunderte ich mich gehörig. Da musste doch irgendwas faul sein! Normalerweise gehen bei meinen Radtouren mit Freunden nämlich immer Sachen schief, entweder finden wir den Weg nicht oder jemand fährt in einen Bach oder ähnliche Dinge. Aber dieses Mal passierte nichts dergleichen, und wir saßen pünktlich um 17 Uhr am Bahnhof als es schließlich anfing, wie aus Eimern zu gießen. Was für ein gutes Timing! Wieder in Münster angekommen, beglückwünschten wir uns zu unserer Orientierungsfähigkeit und beschlossen, den Abend mit einem Film auf dem Sofa aller Sofas ausklingen zu lassen ( wie viele Nächte hatte ich schon auf diesem Sofa verbracht!). Pretty Woman kannte meine Freundin noch nicht, also war klar, was geschaut werden musste! 90 Minuten lang tauchten wir also in die Welt der 80er ein, mit grauslichen Krawatten und den Straßenkreuzern auf dem Rodeo Drive. Und natürlich der unverkennbaren Musik! Cindy Lauper's "It must have been love" würde uns noch am nächsten Tag in den Ohren hängen. Was für eine gute Überleitung: Ich hatte nämlich meine Ohrenstöpsel vergessen und musste so die Gespräche in den Wohnzimmern der Nachbarn noch bis spät in die Nacht mit anhören. Bis ich mir notgedrungen nasses Toilettenpapier in den Gehörgang stopfte, um die "Happy Birthday"-gesänge auszublenden, die durch die dünnen Wände drangen. Am nächsten Morgen waren wir etwas gerädert und spielten ein paar Lieder auf der Ukulele, um die Müdigkeit zu vertreiben. Fest steht: Radtouren im Münsterland sind gar nicht so spießig wie man denken könnte!

Ein Recht auf schlechte Laune (18.05.20)

Es gibt ja so Menschen auf diesem Planeten, die eine unverwüstliche gute Stimmung haben. Die den Optimismus und die Lebensfreude mit der Muttermilch aufgesogen haben und die durch nichts, aber auch gar nichts erschüttert werden können! 

Nun, ich gehöre nicht gerade dazu. Gerade morgens nach dem Aufwachen verspüre ich dringenden Unwillen gegen alles und jeden, wenn ich aus meinem Schlafanzug in "richtige" Klamotten wechseln muss. Dann das Gesicht waschen im Badezimmer, puuuh! Und das Zähneputzen dauert auch so lange. Und ich hab immer viel zu viel Schaum um den Mund. Dann noch die Tatsache, dass meine Lieblingszeitung noch nicht drinnen ist, sondern ich sie erst aus dem Briefkasten pfriemeln muss, während ich Kaffee koche. Wie nervig! Als ich Wäsche waschen will, ist die Maschine gerade noch von meinem Mitbewohner in Benutzung, sodass auch der Wäscheständer später schon voll ist, als ich dann endlich dran bin. Und das Pfand muss auch noch weggebracht werden, sowie das Altglas! Und geregnet hat es auch seit Ewigkeiten nicht. Dazu kommt, dass ich an meiner Zimmerpflanze, die ich schon ganz lange habe, plötzlich Obstfliegenlarven entdecke. Och nööö, hoffentlich stirbt sie nicht ab! Ultimativ gereizt und unmotiviert pflanze ich sie in neues Substrat. Und mein kleines Mini-Apfelbäumchen, dass ich aus einem Kern gezogen habe, wurde während meiner letzten Abwesenheit nicht genügend von besagten Mitbewohnern gegossen, so dass es nun wahrscheinlich vertrocknet ist. Menno! 

Ganz schlimm ist für mich ja auch, wenn ich in der Stadt unterwegs bin und Autos sehe, die auf dem Fahrradstreifen parken. DAS IST VERBOTEN! Will ich schreien und hätte große Lust, die Polizei anzurufen. Mach es dann aber doch nicht, weil ich mir dann kleinkariert vorkommen würde. Also ärgere ich mich still und fahre in einem Bogen um das Auto herum, dessen Fahrer gemütlich bei laufendem Motor telefoniert. Beim Radfahren mag ich es auch gar nicht, wenn jemand direkt vor- oder hinter mir fährt. Fährt er hinter mir, habe ich das Gefühl, dass er oder sie unnötig drängelt, fährt eine Person direkt vor mir, fühle ich mich ausgebremst und muss umständlich überholen. Das Schicksal meint es aber auch wirklich nicht gut mit mir, an solchen Tagen! Ich suhle mich in Selbstmitleid und versuche gar nicht daran zu denken, dass ich abends am Laptop noch meine Unisachen machen muss. Ich muss aussehen wie eine grummelige Comicfigur, über deren Kopf eine Gewitterwolke hängt! "Glück ist Einstellungssache", denke ich und nehme mir vor, meinen Optimismus wieder mehr zu trainieren!

Sehnsucht nach den 80ern (30.04.)

In der letzten Zeit habe ich mich oft in die 80er Jahre zurückgewünscht, als alles noch so herrlich analog funktionierte. Denn ich befinde mich in einer ständigen Auseinandersetzung mit der Digitalisierung, die immer wieder droht mir den Atem zu nehmen. Keine Frage, Internet, Smartphone und der ganze Kram haben ihre Vorteile. Momentan finde ich das alles aber mal wieder nur anstrengend, überfordernd und nervig. Denn von mir als "digital native" wird quasi erwartet, dass ich mich begeistert auf alles stürze, was digital ist. Dass ich immer und überall erreichbar bin und alle möglichen Apps auf mein Handy lade. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Ich will das alles meistens nicht wirklich, lasse mich höchstens breitschlagen. Wenn dann nach stundenlanger Uniarbeit am Laptop abends noch ein Meeting mit Freunden angesetzt ist, das bei mir nicht funktioniert, ist meine Motivation am Ende. Ich versuche eine Dreiviertelstunde lang alles, um eine Verbindung zu bekommen, aber nichts klappt. Und dann habe ich auch noch den ganzen Abend ein schlechtes Gewissen, dass mir das Treffen mit den Freunden anscheinend "nicht wichtig genug war". Sonst hätte ich mich doch noch hartnäckiger in den ganzen Firlefanz reingekniet. So habe ich seufzend irgendwann aufgegeben und aus Protest erstmal zwei Postkarten geschrieben. Früher wäre das alles nicht so gelaufen, denke ich dann. Früher gab es Wählscheibentelefone und begrenzte Möglichkeiten, die mir aber Orientierung und einen Rahmen gegeben hätten. Früher gab es nur Zeitung und Fernsehen, das man vielleicht einmal am Tag konsumierte. Es war nicht alles überschwemmt von Informationen. Klar muss ich mich in meiner Skepsis immer wieder mit der Kritik auseinandersetzen, mich der Digitalisierung gegenüber nicht so zu verschließen. Aber Sorry, dass ich nicht alles mitmachen will! Ich finde es gut altmodisch zu sein und nicht stundenlang an irgendeinem Bildschirm hängen zu können. Ich finde es gut, nicht zu wissen wie die neuste Anwendung auf meinem Handy funktioniert. Dafür weiß ich, welche Pflanzenarten giftig sind und warum Moos nur an einer Seite des Baums wächst. Ich kann mich am Stand der Sonne orientieren und Unkraut im Beet erkennen. Und damit mein Kopf nicht weiter mit irgendwelchen Reizen zugespamt wird, mache ich heute mein Smartphone: aus. Ihr erreicht mich per Brief!

Ruhrgebietsnormalität (26.04.20)

Das Ruhrgebiet war in den letzten Wochen nicht das, was man daran kennt und liebt. Leergefegte Straßen, keine lustigen Gespräche mit Fremden, keine Pöbeleien in der Straßenbahn, keine Muttis mit schreienden Babys auf der Straße. Das war ganz schön bescheuert, fast, als wenn man in einer Geisterstadt lebt! Doch seit einer Woche trauen sich die Menschen wieder vorsichtig auf die Straße. Ob mit Mundschutz oder ohne, die Oppas stehen wieder an den Trinkhallen und am Kiosk bekomme ich wieder mein Sprudelwasser, das ich meistens vergesse mitzunehmen, wenn ich fahrradfahre. Am Freitag war ich in Wanne-Eickel, der Stadt, bei der ich nie weiß, ob sie nun zu Herne gehört, oder doch eigenständig geworden ist. Und welche der mysteriösen Beschilderungen nun korrekt sind: Herne-Eickel, Herne-Wanne, nur Wanne, Wanne-Eickel, oder nur Eickel? Jedenfalls schob ich mit meinem pink-gepunkteten Mundschutz mein Rad durch die Fußgängerzone und hatte beinahe das Gefühl, alles sei wieder wie immer. Mir kam ein Mann entgegen, der stolz ein sehr motivierendes T-shirt trug, mit der Aufschrift: "Immer noch Jungfrau? Ich helfe gerne!"

Der Blumenladen hatte wieder geöffnet, genauso wie der Drogeriemarkt, wo ich schon unzählige Male Parfum getestet hatte. Der Obst- und Gemüsehandel, wo die Äpfel so phänomenal günstig waren. Und vor allem: der Selbstbedienungsbackwarenhandel meines Vertrauens, wo ich eine Sparkarte habe! Leider hatte ich meinen Thermobecher verloren und so kramte ich einen bereits fünf Mal benutzten Pappbecher aus meinem Rucksack um meinen Koffeinmangel auszugleichen. Der fehlende Deckel sorgte dafür, dass mir beim Rückweg zum Bahnhof die Hälfte des Kaffees auf den Lenker und die Hände tropfte. Die waren übrigens vom vielen Händewaschen und Desinfizieren notorisch trocken. Handcreme hatte ich nämlich auch vergessen. Und mit Kaffee kam ich ja nun nicht in den Drogeriemarkt, um dort ein bisschen Creme zu bekommen. Mist, bald würde auch mein Zug kommen! Als ich die Bahnhofshalle erreichte, erscholl gerade eine Durchsage: "Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund eines Notarzteinsatzes am Gleis ist die Strecke zwischen Gelsenkirchen und Essen gesperrt. Es kommt zu erheblichen Verspätungen. Wir bitten Sie um ihr Verständnis." Mit einem Seufzen schob ich mein Rad zu einem der kleinen Aufzüge, an dem neuerdings ein Schild prangte: Bitte halten Sie auch im Aufzug den erforderlichen Mindestabstand von 1,50 Metern ein! Der Aufzug war eigentlich viel zu klein, um dort irgendeinen Abstand einhalten zu können, aber Bitte! Vorschrift war Vorschrift. Oben am Gleis stand dann - oh Wunder! - doch schon ein Zug, wie hatte der es wohl hier hin geschafft? Dankbar stieg ich ein und fand, dass doch schon wieder alles ganz schön normal war, auf eine seltsame Art und Weise.

Sport, Unibeginn, Natur - mein Leben als Allergikerin (23.04.20)

Mit zweieinhalb fing es an. Als Kleinkind bekam ich das, was gemeinhin unter "Stadtkindern" verbreitet ist: Allergien, gegen Frühblüher. Und nicht nur das: Ich bekam das ganze Paket: Asthma, Neurodermitis. Halsjucken, Triefen, schniefen, verquollene Augen begleiten mich seit jeher im Frühling. Momentan, im April ist Pollenhochsaison. Ich bin 25 Jahre alt und habe - Zauberei? - Kein Asthma mehr und auch keine Neurodermitis. Der Heuschnupfen ist geblieben. Aber obwohl ich mich eigentlich schonen müsste zu dieser Zeit, bin ich irgendwie doch ganz das trotzige Kleinkind geblieben: Ich gehe nämlich trotzdem raus. Und mache trotzdem Sport, weil ich nämlich sonst verrückt werde (wie bereits das eine oder andere Mal erwähnt). Früher kam ich dann also vom Staudammbauen am Bach schwer röchelnd zurück und musste erstmal geduscht werden beziehungsweise mein Asthmaspray nehmen. Heute habe ich immer Cetrizin dabei und seit neusten auch einen pinken Mundschutz, der zwar nicht für diesen Zweck genäht wurde, aber der trotzdem ein Großteil der Pollen abhält.

Im Frühling geht normalerweise auch das Sommersemester wieder los- man trifft sich auf dem Campus, es liegt noch die Frische des Anfangs in der Luft, man freut sich auf die neuen Veranstaltungen. Ich sitze zu dieser Zeit normalerweise mit wunder Nase und den Hosentaschen voller gebrauchter Taschentücher in HGA20 oder GABF 04/511 (Süd). Jetzt gerade sitze ich allerdings vor dem Computer. Blöd ist das. Ich mag das online Semester schon jetzt nicht. Es hat zwar den Vorteil, dass mein Zimmer schöner ist als die Räume der Ruhr Universität, und ich mir jederzeit einen Kaffee holen kann. Trotzdem wäre ich jetzt viel lieber in einem dieser stickigen, grauen Vorlesungssäle, wo die Technik nicht funktioniert. Ich vermisse das "Willkommen in diesem Semester, liebe Komm... - Kann mich jemand hören? Knack, Knack, Rückkopplungsgeräusch, Piepen, - liebe Studierende meine ich. Das Mikrofon geht jetzt oder?" Lustig ist natürlich, dass ich in diesem Semester ganz neue Einblicke in das Privatleben meiner Professoren bekomme. Ich weiß  jetzt unter anderem, wie das Schlafzimmer meines Dozenten aussieht: Er hat die Vorlesung nämlich unter seinem Hochbett gestreamt... Ob Allergie oder Coronasemester: ich versuche das Beste draus zu machen!

Prokrastination (18.04.20)

"Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen..." - Wie ich dererlei Sinnsprüche hasse. Denn das Wort "können" ist ja nun wirklich relativ zu betrachten- und worauf bezieht es sich überhaupt? Wenn ich es zeitlich einrichten "kann"? Oder wenn die Ämter und Behörden ansatzweise normale Sprechstunden anbieten und ich nicht in einer endlosen Telefonwarteschleife festhänge? Oder wenn mein Heuschnupfen mich nicht körperlich ausbremst, den ganzen Tag meine To-Do Liste abzuklappern? So läuft es nämlich normalerweise. Ich hänge Termine an Termine an Termine, um möglichst viel zu schaffen. Und hetze dabei durch den Tag, habe für wenig Dinge Zeit und bin abends relativ müde. Und die To-Do Liste klopft schon wieder an. Weil nämlich Punkt 20 noch nicht erledigt ist. Was für ein zermürbender Kreislauf! Nun ist die Situation natürlich momentan eine ganz andere. Weil das Leben verlangsamt läuft. Mein Kalender ist deutlich weniger bekritzelt und meine Tage bestanden in der letzten Zeit hauptsächlich aus dem Weiterschreiben meiner Hausarbeit für die Uni, Wandern, Italienisch und Türkisch Lernen, sowie Mountainbiken, eine Hirschtrophäe aus Papier basteln, Gärtnern und Einkaufen. Und das ist für meine Verhältnisse wenig. Geschlafen habe ich auch immer ziemlich viel, und habe mich dann schlecht gefühlt, wenn es mit dem früh Aufstehen wieder nicht geklappt hat. Dafür habe ich aber eine Entschuldigung: Wenn der Tag nur auf Cetrizin funktioniert, ist eben die Nebenwirkung Müdigkeit. Außerdem schleichen sich regelmäßig Gedanken ein wie: "Ach, warum um X Uhr aufstehen, wenn der Tag eh noch lang genug ist? Du hast doch Zeit!"

Ähnlich ist es mit den Dingen, die ich schon immer mal machen wollte. Und ich weiß, dass es vielen meiner Freunde ähnlich geht. Denn wie oft hatte ich im Alltag in der Uni oder bei der Arbeit eine hervorragende Idee, die ich just in dem Moment nicht realisieren konnte. "Wenn ich mal irgendwann die Zeit habe, dann werde ich..." - Und jetzt ist genau diese Zeit. In der ich so viele spannende Sachen machen kann. Aber was dann fehlt, ist die Motivation. Oft habe ich verrückterweise dann keine Lust und muss mich zwingen, eine der schönen, aufregenden Aktionen zu machen. Seltsam, seltsam. Aber was lerne ich aus dem Frühling 2020? Selbstdisziplin ist eine Tugend. Zeit ist ein kostbares Gut. Und Optimismus ist das, was dem Ganzen die Krone der Lebensgestaltung aufsetzt!

Mountainbiken reloaded (13.4.20)

Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal ausprobiert, was es heißt, mit einem Fahrrad im Wald bergab zu fahren, und zwar so richtig! Seitdem habe ich mich immer mal wieder zu kleinen Touren im Wald aufgemacht, die richtig guten Trails kannte ich jedoch nicht. Bis neulich ein Bekannter von mir - seit Jahren Motocrosser - mich mitnahm zu einer Fahrt. Ich als Anfängerin mit uncoolem Fahrradhelm und alten Volleyballschonern eierte ihm also hinterher und fühlte mich extrem uncool! Denn die richtigen Biker haben ja selbstverständlich auch die richtige Ausrüstung. Einen coolen Helm, einen Trinkrucksack, und vielleicht sogar ein E-Mountainbike, um die Berge auch gut hochzukommen. Direkt bei der ersten Abfahrt verlor ich die Balance und rutschte seitlich den Hügel hinab. Was für eine Blamage! Zu viel Bammel, zu wenig Schwung. Auch lernte ich erneut, wie nervig es ist, bei jeder Abfahrt den Sattel runterschrauben zu müssen. Bekanntschaft mit dem Waldboden machte ich noch ein zweites Mal, bei einer steilen Kurve. Mist, Mist, Mist. Wenn wir den Berg hochmussten, konnte ich teilweise nur noch schieben und kam keuchend oben an. Aber auch das gehört wohl zum Fahren im Gelände dazu! 

Am nächsten Tag hatte ich einen riesigen blauen Fleck am Knie, auf den ich aber irgendwie schon auch fast wieder stolz war. Genauso wie auf die zahlreichen Kratzer, die ich mir bei meiner erneuten Route holte. Denn ich wollte den Weg noch ein zweites Mal entlangfahren und schauen, ob es alleine besser klappen würde. Und was soll ich sagen: Kein einziger Sturz, zweimal war sogar ein kleiner Sprung drin! Ich traute mich wesentlich mehr und fuhr mit Schwung, außerdem verlagerte ich bei der Abfahrt mein Gewicht nach ganz hinten. So konnte ich nicht über den Satten vornüber kippen, wenn es steil wurde. Nach drei Stunden kam ich verstaubt, verschwitzt und überglücklich zuhause an. Ich habe so das Gefühl, dass das nur der Anfang eines Mountainbike-Sommers war - auch wenn der richtige, coole Helm dazu noch fehlt!

Schleif, Kindchen Schleif (7.4.20)

Was gibt es schöneres als an einem sonnigen Frühlingstag als sich an eine neue Heimwerker-Erfahrung zu wagen? Bis jetzt habe ich noch nicht so viele Skills im Umgang mit Bohrern und anderen Geräten. Letztes Jahr habe ich mal einen Häcksler ausgeliehen und das hat enorm viel Spaß gemacht! Mein neues Projekt ist also: Den Windfang vor unserem Haus abschleifen, mit einer SCHLEIFMASCHINE. Bis jetzt habe ich solche Arbeiten immer mit Sandpapier erledigt, was ewig gedauert hat. Und nun stehe ich also mit Mundschutz und diesem Monstrum vor unserem Hauseingang und lege los. Wenn man so ein Ding noch nie in der Hand gehabt hat, muss man sich wirklich erstmal herantasten, aber: Wer nicht wagt, die nicht gewinnt! Ich probiere also ein bisschen herum und nach und nach staubt alles um mich herum ein. Gut, dass gerade keiner zuschaut! Denn ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das hier richtig mache... Irgendwann tut mein rechter Arm weh und ich gehe rein, mir einen Kaffee holen. Im Spiegel sehe ich eine zugestaubte Person mit Atemschutzmaske und dreckigen Füßen. Wer will fleißige Handwerkerinnen sehen? Ich gerade nicht! Also gehe ich schnell wieder nach draußen um meine Arbeit zuende zu führen. Denn das ist ganz wichtig bei jeglichen Projekten: Was angefangen wird, sollte auch beendet werden! Kurze Zeit später beschließe ich, dass es jetzt mit dem Streichen weitergehen sollte. Nachdem der Eimer mit der Lasur endlich geöffnet ist (Mit Schraubendreher, versteht sich - so machen die Könner das nämlich!), steigt mir der typische Baumarktgeruch in die Nase und ich bin wieder motiviert, fortzufahren. Aber halt, etwas fehlt noch: Die richtige Musik! Während also die Backstreet Boys im Hintergrund darüber singen, dass sie "back" sind (allright!), bemühe ich mich, beim Verstreichen der Lasur so ordentlich wie möglich zu arbeiten. Die beiden Katzen schauen mir zu. Gut, dass sie nicht sprechen können! Dann hätten sie nämlich kritische Kommentare gemacht, à la "da links musst du nochmal drüber gehen!" Oh je Oh je oh je...

Trotzdem lasse ich mich  nicht entmutigen und pinsle weiter, bis ich mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden bin. Denn wer ist schon perfekt? Bevor ich mir endlich meinen dritten Kaffee genehmigen kann, zwinge ich mich noch, alles an Gerätschaften wieder ordentllich wegzuräumen. Da bin ich nämlich so richtig, richtig schlecht drin. Aber ich halte mich getreu an das Motto "Keep calm and tidy up". Und dann, nach mehreren Stunden des Arbeitens, kann ich endlich sagen, dass ich fertig bin. In zweierlei Sinne. Ob das Ergebnis allerdings zufriedenstellend ist, kann nur ein anderer beurteilen! Ich bürste mir so lange den Staub aus den Klamotten...

Radfahren de Luxe (1.4.20)

Wie mittlerweile hinlänglich bekannt sein dürfte, liebe ich mein Fahrrad. Als es vor einiger Zeit in Reparatur war und ich nicht so viel raus konnte wie ich wollte, taten mir meine Mitmenschen leid. Umso mehr genieße ich es nun, dass es in NRW keine Ausgangssperre gibt und ich mich auspowern kann. Dazu gehören für mich stundenlange Wander- oder Radtouren in den Wald meiner Umgebung und durch die verschiedensten Städte meiner Heimat. Letztens war ich mit der 10-jährigen Nachbarstochter, die genauso pferdebegeistert ist wie ich, zusammen unterwegs zu verschiedenen Höfen, um Ponies zu streicheln. Leider wurden wir überall abgewiesen, so dass wir unverkuschelter Dinge wieder nach Hause fahren mussten. Trotzdem war es ziemlich cool, mit diesem blonden, taffen Mädchen durch den Wald zu cruisen und sich an früher erinnert zu fühlen.

Meine letzte Tour führte mich vier Stunden lang durchs Ruhrgebiet, an der Ruhr entlang, vorbei an unzähligen Joggern und Spaziergängern mit ihren Hunden, Familien mit Kindern, die gerade übten ohne Stützräder zu radeln. Die Puky-fahne wehte im Wind und die Väter rannten hinterher. Nachdem ich einen Zwischenstopp eingelegt hatte, um meiner ehemaligen Nachbarin eine Postkarte an die Windschutzscheibe zu stecken, plante ich am Hauptbahnhof meiner Unistadt einen Kaffee zu trinken. Im Bahnhof hatte genau EIN Café auf, vor dem sich eine der typischen Abstandsschlangen gebildet hatte. Ich reihte mich also brav ein und bestellte einen Café Crema, hinter mir standen zwei ältere Männer, die direkt nach mir bestellten. Nachdem ich mit einem 10 Euro Schein bezahlt hatte, nahm ich mein Getränk entgegen, vergaß aber die 8 Euro Wechselgeld einzustecken. Ich ging also zurück zur Theke, wo ich dann feststellen musste, dass sich nun wohl die beiden alten Männer über mein Geld freuten. Es war nämlich weg.

Es ist schon verrückt, wie viel man in der heutigen Zeit über Solidarität und Respekt liest. Praktisch gesehen sind aber die meisten Menschen in finanziellen Notlagen. Und wer weiß, vielleicht brauchten die Diebe meine 8 Euro ja dringender als ich. Ich beschloss, mich nicht weiter darüber zu ärgern und es als unfreiwillige Spende zu betrachten. Dann radelte ich, ganz wie Reinhard May singt: "der Sonne entgegen."

Puzzle, Putzen, Pandemie (24.3.20)

Mittlerweile ist schon fast eine Woche der deutschlandweiten Quarantäne herum - und was hat sich bis dato geändert? Auf den Straßen ist weniger los, dafür sind die Radwege und Parks umso voller. Allerdings sieht man wirklich hauptsächlich Einzelpersonen oder Zweiergrüppchen. Das gute Wetter habe ich die letzten Tage über genutzt, um so viel Zeit draußen zu verbringen wie möglich. Mit einem guten Kumpel machte ich vor ein paar Tagen eine Wanderung in das wunderbare Hügelland, das quasi direkt am Wald hinter meinem neuen Zuhause beginnt. Es ging stundenlang über Wiesen und Felder, zu einem kleinen Gemüsehof (mit Tannenbaumverkauf vor Weihnachten und frischer Hofmilch für einen Euro pro Liter) und vorbei an schnuckeligen Fachwerkhäuschen. Idylle pur. Dabei ließ sich die Virenbrisanz wunderbar vergessen! Nachdem wir eine Weile querfeldein gegangen waren, bemerkte mein Wanderkumpan, dass sein Handy weg war. Na toll. Es war an irgendeinem Punkt der Wanderung aus seiner Hosentasche gerutscht und konnte nun so ziemlich überall auf dieser Riesenwiese sein! Eine Dreiviertelstunde suchten wir, dann gingen wir bedröppelt weiter, der nun zu einem Fass saure Gurken mutierte Genosse und ich. Zwei Tage später beschloss ich dann alleine, den Weg doch noch einmal entlang zu gehen. Auch, weil ich an dem Tag nichts anderes vorhatte und schon so ziemlich alles geputzt hatte, was es gab, sogar die Schranktüren in der Küche! Ein Puzzle hatte ich mir auch besorgt, das war aber für abends reserviert. Ich stiefelte also mittags los und rief währenddessen frohgemut ein paar Leute an. Denn seit man sich nicht mehr besuchen darf, telefoniert wieder alle Welt! Als ich schließlich zu besagter Wiese kam, saßen auf einer Bank am Straßenrand gerade zwei alte Leutchen, die mich mehr als skeptisch beäugten, wie ich so mitten ins Grün latschte, der Blick am Boden klebend. Was tat ich hier eigentlich? Ich suchte auf einem Feld nach einem Smartphone. Wie hoch war denn da wohl die Wahrscheinlichkeit, dass ich es wiederfand? Nach einem kleinen Durchgang durch Dornenbüsche hatte ich plötzlich die Antwort: Denn da lag es. Das gesuchte Goldstück, das ich dann grinsend einen Tag später meinem Kumpel vorbeibrachte. Verdutzt öffnete er die Tür, und die Gesichtszüge entgleisten, als ich ihm sein Handy in die Hand drückte. Wiedersehen macht Freude! Frei nach dem Motto der Pfadfinder "jeden Tag eine gute Tat!" verabschiedete ich mich also und fuhr guter Dinge wieder zurück nach Hause. An diesem Abend war ich auch nach vierstündiger Radtour noch so motiviert, meinen Drahtesel endlich mal zu putzen. So hat eine Quarantäne irgendwie auch ihr gutes!

Wie man als Hyperaktive Zwangspausen überlebt (20.3.20)

Seit ich laufen kann, laufe ich weg. Im Alter von zwei Jahren kletterte ich regelmäßig über unseren Gartenzaun, um in der Nachbarschaft umherzuspazieren. Ich wurde dann wahlweise von Nachbarn oder Kioskfrauen aufgesammelt und meine sich sorgende Mutter wurde benachrichtigt. Beim Mittagessen ging ich über Tische und Bänke und wehrte mich gegen alle Versuche, mich festzuhalten.

Was soll ich sagen? An meiner Hyperaktivität hat sich wenig geändert. Ich brauche zwei bis drei Stunden Bewegung und frische Luft am Tag, um mich konzentrieren zu können und nicht an meiner Nagelhaut zu knibbeln oder an meinen Myoklonien zu verzweifeln (Myoklonien sind willkürliche Muskelzuckungen, die durch neurologische Reizentladung entstehen. Auch als "Einschlafschreck"  bekannt.) Wie gehe ich nun also mit dieser aktuellen Virus-Anforderungssituation um? Man könnte meinen, ich solle mich einfach nur mal zusammenreißen und dann wäre das alles nicht so schlimm? Funktioniert leider nicht, wenn man nicht "neurotypisch" ist und der Dopaminhaushalt regelmäßig im Eimer ist. Mit Disziplin kommt man da nicht wirklich weiter.

Was mir in den letzten Tagen geholfen hat, meinen Alltag umzustellen, war die Dankbarkeit. Ich habe versucht, mich über das zu freuen, was gerade (noch) möglich ist: Eine Radtour in der Sonne, im Garten die ersten Blumen zu pflanzen und abends einen kleinen Sonnenbrand im Gesicht zu bekommen. Ich mutierte zur Super-Hausfrau, putzte das Badezimmer, räumte auf und buk Kuchen aus Backmischungen, die noch im Schrank standen. Mehl gibt's ja keines mehr. Ich habe mich beim Einkaufen mit der netten Kassiererin unterhalten und wir überlegten gemeinsam, inwiefern Kohlblätter als Toilettenpapierersatz taugen. Humor hilft nämlich besonders, um nicht verrückt zu werden, weil wir als Land kurz vor einer Ausgangssperre stehen. Nur weil einige hirnverbrannte Individuen meinen, "Coronapartys" feiern zu müssen. Tickt ihr noch richtig??

Gestern habe ich einen Spaziergang gemacht, der unfreiwilligerweise dreieinhalb Stunden dauerte. Ich wollte eigentlich nur eine Postkarte zu einer befreundeten Familie bringen, verschätzte mich allergings, was die Entfernung anging. Zumal die Adresse dann auch noch falsch war. Trotzdem hatte ich supergute Laune, weil ich auf meinem Weg Pferde, Schafe, Lämmer, Ziegen und Hühner traf, weil ich einen wunderschönen Sonnenuntergang sah und meine neue Wohnumgebung jetzt wieder ein Stück besser kenne.

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Berufsgruppen bedanken, die in dieser Zeit alles tun, um die Versorgung der Menschen zu stabilisieren. Was für eine Herkulesaufgabe.

Unser Charly - oder: Ein weiteres hanseatisches Wochenende (9.3.20)

Das Leben hält ja immer mal wieder Überraschungen für einen bereit - in meinem Fall vorzugsweise, wenn ich auf Reisen bin. So auch das vergangene Wochenende, das ich in Hamburg, meine Perle, verbrachte. Vom Hauptbahnhof ging es aus in Richtung Nordwesten, in der S-Bahn musste ich mal wieder trainieren, keinen anzustarren. Ich habe nämlich die Angewohnheit, meine Mitmenschen zu taxieren ohne zu merken, dass dies eventuell als unangenehm wahrgenommen werden könnte. Dann stieg ich auch noch eine Haltestelle zu früh aus und latschte halb freiwillig eine Dreiviertelstunde durch den hanseatischen Nieselregen, bevor ich bei meinem Onkel ankam. Blumen hatte ich aber vorher noch kaufen können! Und so verbrachten wir einen faulen Freitagabend, quatschten und guckten Fernsehen. Schließlich würde der nächste Tag noch sportlich genug werden, wir würden nämlich wandern gehen.

Ich wachte am kommenden "Morgen" um halb zwölf mittags auf. So viel zum frühen Start in den Tag! Mist, dachte ich und bemühte mich, möglichst schnell nicht mehr zerknautscht auszusehen, damit wir zum Markt gehen konnten und danach ins Niendorfer Gehege. Das ist das Coole an Hamburg: Vieles ist so schön unaufgeregt. So auch das Naturgebiet, durch welches wir nun im Sonnenschein wanderten. Bis zu dem Ponyhof, wo ich mein Geburtstagsgeschenk bekommen sollte: Einen Ausritt. Leider waren die Ponies dann ein bisschen zu klein für mich - beziehungsweise, ich war zu alt. Ponyreiten nur für Kinder. Schade, aber ich wollte ja nicht, dass meine Füße beim Ausritt über den Boden schleiften. So spazierten wir also weiter in Richtung Altona und machten zwischendurch Tee mit dem "Trangia"- Campingkochgerät. Total outdoorspezial und extrem cool! "Auf Schanze" endete unsere Expedition dann zwischen Matemenschen und Turnschuhtouristen, ich fühlte mich mondän und ließ mich vom Strom der Hipster zurück zur S-Bahn treiben. Auf dem Weg fanden wir noch eine Zucchini und nahmen sie mit nach Hause. Und weil ich Sonntage nicht mag, beschloss ich, den kommenden Tag wie einen zweiten Samstag zu behandeln. Wir latschten los durch schöne Wohnviertel in Richtung Elbe, denn Elbe geht immer. Die Krokusse und Narzissen blühten und als wir in eine Wohnstraße einbogen, kam uns ein Mann mit Hund entgegen. Ich war gerade dabei "Moin" zu sagen, als ich einen meiner Lieblingsschauspieler erkannte: Es war Charly Hübner! Das erste Mal in meinem Leben, dass mir eine berühmte Persönlichkeit begegnete! Wow! Ich bekam das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht, allein für diese Begegnung hatte sich die Reise mehr als gelohnt! Beschwingt tranken wir darauf einen Kaffee und schwebten nach Altona, wo sich mein Onkel von mir verabschiedete. Ich beschloss, weil ich gerade dabei war, zum Hauptbahnhof zurück zu laufen. Es ging über die Reeperbahn und Sankt Pauli, wo gerade eine riesige Kundgebung anlässlich des Weltfrauentags stattfand. Ausgerechnet im Vergnügungsviertel! Welch bitt're Ironie, dachte ich. Als ich abends im Intercity saß, schlief ich ein. Mein Ticket ging nur bis Osnabrück, weil ich ab da mit meinem Semesterticket weiterfahren wollte. Allerdings wachte ich erst kurz vor meinem "Heimathafen" Ruhrgebiet wieder auf. Naja, das war wohl der Schlaf der Gerechten!

"Clockwise - Recht so, Ms. Stinson!" (1.3.20)

Es gibt einen wunderbaren Film von der englischen Comedytruppe Monty Python, er heißt: Clockwise und handelt von einem pedantischen Schuldirektor, der es hasst zu spät zu kommen. An einem für ihn sehr wichtigen Termin geschieht nun das Unvermeidliche: Frei nach Murphy's Law geht alles schief, was schief gehen kann.

Und genau das ist mir vergangene Woche passiert. Als Vertretungslehrerin muss ich morgens um Viertel vor sechs aufstehen, um pünktlich in der Schule zu erscheinen. Das fällt mir natürlich als Studentin noch relativ schwer, aber ich stelle mir abends fleißig meinen Wecker und versuche früh ins Bett zu gehen. Ich kontrolliere dann noch drei Mal, ob dieser Wecker auch wirklich richtig eingestellt ist. An jenem schicksalsträchtigen Freitag wachte ich also davon auf, dass - wie zu guten alten Zeiten!- meine Mutter ins Zimmer kam (ich übernachte immer bei meinen Eltern, weil es von dort näher zur Schule ist). Sie fragte: "Musst du nicht zur Schule?" Flashback. Oh je, der Wecker hatte nicht geklingelt. Es war halb sieben. Den Zug würde ich nun definitiv nicht mehr bekommen. Ich rannte zähneputzend und mir einen Zopf knotend nach unten und stellte die Espressokanne auf den Herd, während ich mir einbeinig hüpfend meine Strumpfhose anzog. Da mein Vater Urlaub hatte, konnte ich sein Auto nehmen und hastete nun nach draußen in die Kälte. Im Auto sitzend stellte ich fest: Man sah nichts, die Scheibe war gefroren. So konnte ich jedenfalls nicht losfahren! Aber wo war dieses Scheibenkratzer-Teil? Ich wurde immer hektischer als ich auf die Uhr schielte. Nachdem die Frontscheibe einigermaßen eisfrei war, düste ich los. Kurz vor der Autobahnauffahrt wurde mir klar, dass ich mich zur Rush-our im Ruhrgebiet befand. Schlecht, ganz schlecht. Zudem fuhr ich direkt auf eine riesige Baustelle zu, was bedeutete, dass ich das Navigationssystem bemühen musste. Welches die Adresse meiner Schule natürlich nicht auf Anhieb fand. Ich wurde immer hektischer. Es war zehn vor sieben, ich hatte noch 25 Minuen. Nachdem ich zweimal auf die Autobahn hinauf- und wieder heruntergeführt worden war, entschied ich ein weiteres Mal, dass jegliche moderne Technik nicht mein Freund werden würde. Nach dem Handy tastend, wollte ich den Weg über die Bundesstraße nehmen, den ich vom Radfahren her kannte. Oh, wie ich meinen verlässlichen Drahtesel gerade vermisste! Aber das Handy, mit welchem ich meine Lehrerkollegen von meinem Zuspät-sein informieren wollte, war nicht da. Ich hatte es bei meinen Eltern vergessen. Fluchend wartete ich an drei roten Ampeln und schielte immer wieder auf die Uhr am Armaturenbrett. Schließlich erreichte ich um 7:36 Uhr die Schule und hastete in den Klassenraum, wo meine Schüler glücklicherweise noch saßen und mich angrinsten. Oh mann, was für ein Tagesbeginn! Ich stammelte eine Entschuldigung und musste mir einige Frotzeleien anhören, bevor wir mit dem Unterricht beginnen konnten. Und ich nahm mir vor, demnächst drei Wecker zu kaufen...

Hör auf deine Eltern! Oder: Wie man Umzug Nr. fünf organisiert (26.02.20)

Mittlerweile habe ich schon an den verschiedensten Orten gewohnt: In Kingston upon Thames, in Twickenham, in Münster, in Bochum. Nun habe ich meinen Wohnmittelpunkt nach Hattingen verlegt und darf mich somit offiziell Weltbürgerin nennen. Und was bringt so ein Umzug mit sich? Genau, eine riesige To-Do Liste und ganz viel Stress. Darauf hatte ich mich schon eingestellt und weil ich ja jetzt mit 25 sehr weise und lebenserfahren bin, habe ich soviel wie möglich im Voraus geplant. Wer mir wann helfen würde, was ich an Dingen mitnehmen wollte und was ich aussortieren musste. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war das Wetter und die Funktionalität meines mobilen Endgerätes. Und hier beginnt unsere Geschichte: An einem stürmischen Sonntag Ende Februar. Ich habe bereits in Hattingen übernachtet und muss nun über Essen Steele (10 Minuten im Windregen waren) mit der S-Bahn zu meiner alten WG fahren. Dort angekommen geht das Abbauen von Bett, Kommode und Tisch los. Freunde von mir wollen mit dem Bulli dazukommen, um die restlichen Möbel zu transportieren. Ich fange schonmal damit an, Sachen nach unten zu tragen. Wider Erwarten schaffen wir es, alles in einem Rutsch in den Bus zu quetschen. Toll, wenn man solche Freunde hat! Sie fahren schonmal los, weil ich nicht mehr ins Auto passe. Ich will mit der Bahn hinterher kommen und gehe noch schnell zum Bäcker, einen Dankekuchen kaufen. Am Bahnsteig angekommen, fällt die Bahn "witterungsbedingt" aus. Ich wittere hier was ganz anderes: Gereiztheit! Mache mich also auf, die Viertelstunde zur nächsten Straßenbahnhaltestelle zu laufen. Durch stürmischen Bindfadenregen. Der Kuchen weicht langsam durch. Mit immerhin 20 Prozent Handyakku rufe ich meinen neuen Vermieter an und frage, ob er mich am Bochumer Hauptbahnhof abholen könne. Die Antwort verstehe ich nicht mehr, das Handy geht einfach aus. Es mag Nässe wohl auch nicht so gern. Nass und genervt erreiche ich eine Straßenbahn und warte danach am Bahnhofsparkplatz, es kommt allerdings niemand um mich abzuholen. Mist, die hatten wohl doch keine Zeit, denke ich, als ich plötzlich einen Bus sehe, der in meine Zielrichtung fährt. Dort steige ich schnell ein und komme schließlich verschwitzt und mich nassem Kuchen 1,5 Stunden später als meine Umzugshelfer bei der neuen Wohnung an. Habe ich schon erwähnt, dass ich jetzt auf einem Berg wohne? Nein?

Mein neues Zimmer steht nun voller Möbel, die fleißigen Helfer sind allerdings schon wieder nach Hause gefahren. Ich treffe nur noch auf den Sohn meines Vermieters, der tatsächlich zum Bahnhof gefahren war, um mich dort abzuholen. Wir haben uns dort wohl knapp verpasst. Und was ist die Moral von der Geschichte? Genau, wie mein Papa sagt: "Kauf dir endlich ein neues Smartphone!"

Gittertüren und ein Notenschlüssel (18.02.20)

Seit drei Jahren spiele ich nun schon mehr schlecht als recht Ukulele, und singe dazu. Ob die Leute das nun hören wollen oder nicht. Was auf einem abgeranzten Bahnhofsvorplatz irgendwo im Ruhrgebiet begann... hat sich bis jetzt nicht wirklich weiter entwickelt. Fest steht allerdings, dass es mir einen Riesenspaß macht, in den verschiedensten Institutionen Musik zu machen. Sei das nun in der Schule, auf der Straße, in der Kirche, oder im Gefängnis. Da war ich nämlich letzten Sonntag, zum ersten Mal in meinem Leben. Ich musste meinen Perso an der Pforte abgeben und meine Sachen einschließen. Alles war hochoffiziell und vor allem war ich eine der wenigen Frauen an diesem Ort! Es ist schon ein komisches Gefühl, die leeren Flure entlangzulaufen und hin und wieder einen Gefangenen zu sehen, der von einem Justizbeamten an einem vorbeigeführt wird. Ich wurde angestarrt wie ein Zebra im Aquarium. Die nette Pfarrerin, mit der ich mich im Vorhinein traf, um einige organisatorische Dinge anzusprechen, schärfte mir ein, nicht zu viele Informationen über mich preiszugeben - der Sicherheit wegen. Auch sollte ich nur meinen Vornamen nennen, wenn ich etwas über mich erzählen würde. Das machte mir schon ein mulmiges Gefühl! Als es dann so weit war, war ich ganz schön aufgeregt. Fünfzig Häftlinge betraten den Raum und ich gab ihnen die Hand, dann kam das Sicherheitspersonal und setzte sich in die letzte Reihe. Ich schaute in lauter fremde, teils sehr verlebte und tätowierte Gesichter. Das Getuschel der Häftlinge hörte erst auf, als ich vorgestellt wurde und mit meinem ersten Lied begann. Diese Veranstaltung war eine der wenigen, an welchen sie Gelegenheit zur Gemeinschaft bekamen, und so musste zwischendurch immer wieder für Ruhe gesorgt werden. Meinen Schulklassen war das Ganze hier nicht ganz unähnlich...

Nachdem ich meine drei Lieder beendet hatte, kamen noch einzelne der Gefangenen auf die Gefängnispfarrerin und mich zu um sich zu bedanken. "Können wir nicht mal wieder eine Musikgruppe gründen? Das war so schön mit den Liedern gerade." Und genau für solche Momente lohnt es sich zu leben, finde ich!

"Kauf dich glücklich!" (4.2.20)

Wie der eine oder andere meiner Mitmenschinnen und Mitmenschen sicherlich schon festgestellt hat, habe ich ein eher kritisches Verhältnis zum Kapitalismus - jegliches Konsumverhalten hinterfrage ich grundsätzlich. Gleichzeitig kann ich mich aber den Verlockungen der Modeindustrie schlecht entziehen, vor allem Outdoor- und Funktionsartikel haben es mir angetan. So sehne ich mich schon seit längerem nach einer dieser Kurierrucksäcke, die man an den Gepäckträger haken kann, um sie beim Radfahren nicht auf dem Rücken tragen zu müssen. Da mir nichts ferner liegt, als Dinge bei Amazon zu bestellen, schaue ich zuerst bei verschiedenen Secondhandanbietern nach. Dort werden zwei meiner Transaktionen abgebrochen, weil die Artikel "Oh, sorry, leider gerade eben auf einer anderen Seite verkauft!" wurden. Okay, denke ich. Es ist doch sowieso besser, den Einzelhandel zu unterstützen. So recherchiere ich die Öffnungszeiten verschiedener Outdoorläden - um die ich sowieso schon länger herumschleiche, aber nie Zeit habe, reinzugehen. Aber jetzt sind ja Semesterferien und bald habe ich Geburtstag, also nehme ich mir vor, einen Rucksack zu kaufen und ihn mir schenken zu lassen, ich darf also auch mal in Qualität investieren! Die Dame im Trekkingshop gibt sich dann ordentlich Mühe, mich als Kundin abzuspeisen. "Nee, also das Modell haben wir gerade nicht vorrätig, müsste ich bestellen." (Sie wirkt nicht so, als ob sie darauf Lust hätte. Dann verweist sie mich noch an die Online-Website der Marke, von der ich den Rucksack haben möchte. Ernsthaft? Wenn man seinen eigenen Laden in den Ruin treiben möchte, dann auf jeden Fall, in dem man potenzielle Käufer ins Internet schickt. Super Kundenservice. Auch Outdoor-Tempel Nummer zwei erweist sich als Fehlanzeige. Der Rucksack ist nicht dabei, eventuell wieder im März. Warum, warum, warum sehe ich dann so viele Menschen auf der Straße, die genau so ein Modell tragen? Mein Weg führt mich also doch wieder zurück ins Internet. Dort bestelle ich mir schließlich einen verhältnismäßig teuren Rucksack. Als ich dann auf den "Kaufen"-Button klicke, muss ich noch einen Endgegner besiegen. Die Anti-Roboter-Captcha-Bestätigung. Ich soll alle Bilder mit Bussen anklicken. Dann alle Bilder mit Ampeln. Dann alle Bilder mit Fußgängerüberwegen. Dann wieder Busse. Dann PKW. Kurz bevor ich den Laptop meiner Eltern aus dem Fenster schmeiße, komme ich durch. Level geschafft, ich bin drin! Jetzt muss ich der Verkäuferin nur noch den Betrag überweisen und dann, ENDLICH, sollte ich zu meinem 25. Geburtstag einen neuen Rucksack haben! Ich werde ihn gewiss in Ehren halten, nach dieser Kauf-Odyssee...

Babylon Berlin (1.2.20)
Obwohl ich keine bekennende Serien-Süchtlerin bin, hat es mich sozusagen erwischt. Ich bin infiziert von der Serie "Babylon Berlin"- und von der Buchreie um Gereon Rath, den Kölner Kommissar, welcher in der Hauptstadt ermittelt. Die Kriminalromane von Volker Kutscher sind die Basis für die deutsche Erfolgsserie, bei der unter anderem Tom Tykwer Regie führte. Nachdem die erste Staffel ein großer Erfolg war, ist mittlerweile auch die zweite Staffel in der ARD-Mediathek zu sehen. Und weil ich die geschichtlichen Zusammenhange bei der ersten Runde nicht ganz verstand (Bolschewiken vs. Kommunisten vs. Faschisten und gaaaaaanz viel Gold) lieh ich mir das Buch dazu aus: "Der nasse Fisch". Und nun kann ich nicht anders, als ein Kapitel nach dem anderen zu lesen, auch wenn ich am nächsten Tag früh aufstehen muss. Es ist einfach  zu spannend, mitzuverfolgen, wie Gereon Rath in Berlin zusammen mit Charlotte Ritter in der Unterwelt Berlins ermittelt! Leider weist die Serie große Unterschiede zu der Handlung des Romans auf. Trotzdem bin ich nach wie vor gefangen von der Detailtreue, mit der das Ende der Zwanziger dargestellt wird. Vor allem, weil es nun bald 100 Jahre her ist, seit in der Metropole das Nachtleben und die Gaunerwelt florierte. Oft wird die Zeit als ein "Tanz auf dem Vulkan" beschrieben, mit großen Kontrasten zwischen Vergnügungssucht und den Nachwehen des ersten Weltkriegs. Düster ist es, als Zuschauerin/Leserin zu wissen, worauf die politischen Verwicklungen hinauslaufen. Trotzdem kann ich nicht anders, als mich immer von neuem in die Welt der Weimarer Republik hineinzuträumen. Mir bleibt zu hoffen, dass Deutschland in den jetzigen Zwanzigerjahren aus der Geschichte gelernt hat und sich dieses Mal deutlicher gegen Ausgrenzung, Rechtsnationalismus und Fremdenhass zur Wehr setzt!

Schwitzhütten-Showspektakel (21.1.20)

Da ich bekennende Sauna Fan-in bin, war ich vergangenes Wochenende mal wieder professionell schwitzen. Ich probierte eine neue Sauna aus, die sogar ein gewisses "Aufguss-Event" bot. Mit dem Handtuch um mich geschlungen saß ich also in einer Art Rondell, um mich herum lauter nackte Leute, ein paar Männer trugen lustige Filzhütchen. In der Mitte waren die Heizsteine altar-ähnlich aufgebaut. Ich war gespannt, als die Musik leiser wurde und das Licht ausging. Dann kam ein Typ herein, in einem pelzbesetzten Kapuzenmantel (in dem Raum waren es ca. 85 Grad, wohlgemerkt!), sowie weißer Pluderhose und weißen Schläppchen. Er trug eine Fackel und machte großes Aufheben um das was nun kam: Schließlich war er nicht umsonst deutscher Saunameister geworden, wie auf einem Handtuch eingraviert war! Dramatische Lichteffekte und Urzeitklänge begleiteten sein Theater, die Leute klatschten mit. Ich klatschte nicht, weil ich NIE mitklatsche. Ich hasse es, in eine Show mit einbezogen zu werden. Den anderen 60 Leuten schien das Ganze sehr zu gefallen, während ich mich bemühte, vor Lachen oder vor Hitze nicht von der Bank zu kippen. Bierernst schüttete unser Sauna-Medizinmann immer neue Düfte auf die Steine und wedelte psychedelisch mit den Handtüchern vor unseren Augen herum. Genauso musste es in einer dieser schamanischen Schwitzhütten zugehen, dachte ich. Ich wartete förmlich darauf, dass plötzlich einer meiner nackten Nachbarn hypnotisiert aufstünde und unverständliches Zeug brabbeln würde, um dann wie ein Vogel davonzuschweben. Davon konnte allerdings nicht die Rede sein. Als schließlich Aufguss Nummer drei zuende war, verbeugte sich der Jan Rouven der deutschen Saunaindustrie und wurde aus der Arena herauskomplimentiert. Ich fragte mich, ob er sich sein Wissen mithilfe von Youtube-Tutorials angeeignet hatte, und wie es wohl war, vor einem so außerordentlich selbstbewusst hüllenlosen Publikum aufzutreten. Schwitzend latschte ich mit den anderen Gästen aus der Holzhütte und achtete darauf, in dem Getümmel mit niemandem zusammenzustoßen.

Schon jetzt hat sich mir das vergangene Wochenende als eines der verrückteren im noch jungen Jahr 2020 eingebrannt! Ob es wohl noch getoppt werden kann...?

 

How to häcksel (11.05.19)

Das Wetter ist schlecht? Die Bahn kommt nicht? Die Uni nervt? Die Freunde haben keine Zeit? Du bist mit der Gesamtsituation unzufrieden? Fahr zum Baumarkt und miete dir einen Häcksler. Häcksler haben die Eigenschaft, furchtbar klobig und schwer zu sein. Fahre also mit dem Bus deiner Eltern und nimm dir noch Leute mit, die dir helfen das Ding zu transportieren. Wenn du es dann wieder aus dem Auto herausbekommen hast, stelle das Gerät irgendwo hin, wo du dann feststellst, dass das Verlängerungskabel nicht reicht. Schiebe den Häcksler woanders hin, schleppe die Asthaufen heran und drücke auf den grünen Knopf, um zu beginnen. Wenn dann ein piependes Geräusch ertönt, solltest du dir vielleicht erst mal die Bedienungsanleitung durchlesen, auch wenn du ein Mensch bist, der nie, nie, nie, Instruktionen liest. Mach es trotzdem, aus wenn es noch so sehr nerven mag. Schiebe also darauf den Behälter in die richtige Position und schraube den Aufsatz vernünftig fest. Dann wirst du erfreut bemerken, dass es funktioniert! Während also ein Regenschauer um dich herum niedergeht, versuchst du unterm Carport deiner Eltern etliche Schlingpflanzen in die Häckselöffnung zu stopfen, woraufhin sie immer mal wieder verhakt und du wieder von vorn beginnen musst. Aber mit der Zeit bekommst du mehr Übung und kannst gar nicht mehr aufhören, suchst immer noch mehr Stöcke und bist enttäuscht, wenn manche Stöcke einfach zu dick sind, so dass die Maschine sie nicht schafft. Wenn der Bottich mit Häckselabfall voll ist, schleppst du ihn quer über das Grundstück, um ihn auf den Beeten zu verteilen. Und dieser immer gleiche Prozess mit dieser Maschine, die einem Küchengerät in Übergröße nicht unähnlich ist, macht etwas mit dir. Es macht zufrieden, immer neue Stöcker und Büsche zu zerkleinern. Bis die Mietzeit irgendwann um ist und du das Schätzchen leider zurück zum Baumarkt bringen musst. Aber es wird nicht das letzte Mal sein, denkst du dir, du hast Lunte gerochen. Die Gartensaison hat ja gerade erst begonnen!

Hilfe, ich erwachse! (8.5.19)

Vor einigen Wochen bekam ich einen Anruf meiner Bank, dass ich mich bitte um einen Termin für einen sogenannten "Finanzcheck" bemühen solle. Als ich zu diesem Termin erschien, erwartete mich ein netter beanzugter Herr, der sich also nun mit meinen phänomenalen studentischen Ersparnissen auseinandersetzen wollte. Die folgende Stunde wurde mir einmal mehr klar, wie wenig Ahnung ich von solchen Dingen habe. Hilflos hörte ich mir alle möglichen Informationen über meine bisherige Situation an und spätestens, als ich nach meinen langfristigen Zielen gefragt wurde, musste ich passen. Momentan bin ich 24 Jahre alt und leider hat mir noch niemand den ultimativen Plan für mein Leben gegeben. Oder ich hab ihn irgendwo verbummelt, das kann natürlich gut sein. Jedenfalls fragte der nette Bankmann dann nach meiner präferierten Wohnsituation und Autokauf. Wohnen: Ja, bin ich für. Nomadische Tendenzen sind zwar wahrnehmbar, jedoch ziehe ich einen festen Wohnsitz - am liebsten mit Ziegen, Hühnern und Garten sowie ein paar anderen coolen Menschen - einem Zelt vor. Autokauf hat sich ebenfalls erledigt, da mein Drahtesel mein Ein und Alles ist. Das war also schonmal geklärt. Dann ging es noch um solche Dinge wie Investitionen und Vorsorge treffen. Ich stand wie der Ochs vorm Berg und ließ mir erklären, wie die Geldwelt funktioniert. Und fühlte mich phänomenal dumm. Aktien? Immobilien? Gold? Rendite? Fonds? Waren für mich böhmische Dörfer. (Ich kannte höchstens Fondue). Genauso wie Hypothekenaufnahme und Bausparvertrag, von Dispositionskrediten ganz zu schweigen. Rentenversicherung und Altersvorsorge, noch ein sehr wichtiges Thema. Mir rauchte jetzt schon der Kopf. Ich habe doch noch nicht mal angefangen zu arbeiten, und trotzdem erzählte mir in den letzten Wochen jeder zweite Mensch, dass man nicht früh genug anfangen könnte, in die Rentenkasse einzuzahlen. Was für eine deutsche Sichtweise, dachte ich. Als wenn wir wüssten oder beeinflussen könnten, was in vierzig Jahren passiert! Es ist wahrscheinlich, dass bei meinem Renteneintritt die aktuelle Währung Esspapier ist. Oder dass die Menschen in Ackerbauland bezahlen, weil Robert Habeck als neuer Bundeskanzler ökologische Konsequenzen durchgesetzt hat. Wer weiß das schon? Am sinnvollsten ist es doch letztlich, alles Geld in die Matratze oder in einen Sparsocken zu stecken und dann tunlichst zu vergessen...

Rumheul'n is nich! (6.5.19)

Es gibt so Tage, da fragt man sich ganz einfach warum. Und überhaupt, und wieso. Ein solcher Tag war heute. Nach dem Aufstehen gab es keinen Kaffee mehr. Meine Lösung: Instantkaffee. Als ich mit dem Rad zur S-Bahn Station fahren wollte, merkte ich, dass der Vorderreifen komplett platt war. Dazu muss man wissen, dass mein neues (ultracooles!!!!!) Crossbike ganze zwei (ZWEI) Tage alt ist. Und jetzt platt. Na gut, dann lief ich eben zum Bahnhof. Die Bahn um 9.30 Uhr kam ohne Begründung einfach nicht. Na gut, nahm ich eben die Bahn um 9.50 Uhr. Diese hatte zehn Minuten Verspätung, so dass ich jetzt schon den Arzttermin, zu dem ich um elf Uhr musste, nicht mehr zeitig schaffen würde. Als ich versuchte, in der Praxis anzurufen, meldete sich konsequent die Warteschleife. Ich hatte eine Rotznase, aber kein Taschentuch. Meine drei Kulis zum Schreiben funktionierten allesamt nicht und meine Handcreme war im Rucksack ausgelaufen. Als die S-Bahn am Essener Hauptbahnhof hielt, fuhr mir mein Anschlusszug vor der Nase weg. Na gut, machte ich also Notfallshopping im Bahnhofsdrogeriemarkt. Mit der nächsten Bahn ging es nach Recklinghausen, von dort aus mit dem Bus in Richtung Herten. Der Bus fuhr aber (oh Wunder) unangekündigterweise nur bis nach Herten Mitte, so dass ich noch eine Viertelstunde laufen musste. 50 Minuten zu spät kam ich in die Praxis, wo "der Doktor mich vor der Pause nun eventuell nicht mehr aufrufen könne". Hatte ich mir fast gedacht. Doch dann, oh Wunder, kam ich doch noch dran. Zur Blutentnahme streckte ich meinen rechten Arm aus, der fürchterlich brannte, als die Arzthelferin Blut abnehmen wollte. Also musste sie mir auch noch in den anderen Arm piksen. Und mein Blutdruck war ebenfalls zu niedrig (obwohl mir doch eigentlich fast der Kragen geplatzt wäre!) Auf dem Weg mit dem Bus zurück nach Recklinghausen bekam ich die Bahn nur knapp, und die S-Bahn hatte ich natürlich wieder um eine Sekunde verpasst. Notfallkaffee (auch für den Blutdruck) und meditatives Stricken half ein bisschen, um wieder zuhause angekommen, den angenehmeren Dingen des Tages frönen zu können: Einen Schlafsack von der Post abholen, zur Bücherei gehen, im Bürgerbüro wählen. Meine Laune besserte sich. Danach baute ich den Reifen aus und flickte. Dabei ging das Ventil flöten. Einfach weg. Meine Mitbewohner halfen mir suchen, in meinem staubigen, dreckigen Zimmer. Es kam der Vorschlag, staub zu saugen und dann im Behälter zu wühlen, dort müsste sich doch das Ventil finden? Nee, war nicht der Fall. Vielleicht im Hamsterkäfig? Pedro und Hermes gaben keine Auskünfte. Ich war müde, so müde. Das alte Rad hatte ich schon in den Keller gebracht. Dort stand zum Glück noch ein zweites Schrottrad, dessen Ventil niemand mehr brauchen würde. Als der Reifen wieder eingebaut war, legte ich mich wortlos ins Bett - noch bevor das Sandmännchen kam. Aber: Rumheul'n is nich!

Gelsenwasser und Kirschen (27.04.19)

Als brave und interessierte Tochte bin ich bei meinem Vater im neuen Büro zu Besuch gewesen. Natürlich war es spannend zu sehen, wie das neue Bürogebäude so aussieht, mit den speziellen Lüftungsfenstern und den grau-weißen modernen Besprechungsräumen im Obergeschoss. Nur war ehrlich gesagt die Hochleistungs-Kaffeemaschine für Cappuccino aus frisch gemahlenen Bohnen noch ein klein bisschen spannender. Nachdem ich mir also zackzack meinen neuen Thermobecher mit Koffein gefüllt hatte, gingen wir noch ein bisschen spazieren, und ich hatte erneut das Gefühl, das Ruhrgebiet in Schutz nehmen zu wollen. Weil der Park durch welchen wir gingen, wirklich hübsch war. Industriell-hübsch sozusagen. Wie sagte schon Frank Goosen so treffend: "Nee, schön is dat nich. Aber meins!" Als ich darauf hin durch Kleinstgärten und alte Bergarbeitersiedlungen radelte, saßen am Straßenrand zahnlose Omis auf Klappstühlen, die den Kindern, die auf den Wegen spielten, wild gestikulierend unverständliche Dinge zuriefen. Mein Weg führte mich wieder zurück durch die Innenstadt in Richtung Bahnhof, wo ich mich ein klein wenig wie beim Enduro-fahren fühlte, als ich verbotenderweise in der Fußgängerzone durch die Menschen navigierte. No risk, no fun... Eine Frau verteilte Intellekt in Form von Stofftaschen einer Buchhandelskette. So sah man also vor den Dönerläden Menschen mit bunten Buchbeuteln sitzen - Menschen, die man sonst eher nicht in einem literarischen Laden verorten würde. Aber dies war sicherlich schonmal ein Schritt in die richtige Richtung! Und ob in den Beuteln Bierdosen oder Bände von Brecht transportiert wurden, das war sicherlich zweitrangig. Zwei Jungs, ca. drei Jahre alt, liefen Hand in Hand am 1-Euroladen vorbei, ein rührendes Bild. Im Bahnhof traf ich dann auf eine Gruppe von quirligen Knäppchen, in blauen Trainingsanzügen, die scheinbar von einem Ferien-Fußballtrainingslager kamen. Ich grinste, als ich sie herumtanzen sah. Im Zug zurück nach Bochum saß mir eine vierköpfige Gelsenkirchener Familie gegenüber, offensichtlich im Ausflugsmodus. Bauchtasche, Acryl-gelnägel, Proviantwürstchen und bunte Rucksäcke für die Kleinen. Ich fragte mich, wo der Ausflug wohl hinführen mochte, wenn die folgenden Stationen des Bummelzugs Wanne-Eickel, Bochum Riemke, Hamme, West und Bochum Hauptbahnhof waren... Die Gesprächsthemen reichten von Primark über chinesische Schriftzeichen als Tattoos bis hin zu Graffiti. Die kleine Tochter trug ein kleines Plastikdiadem und einen Zauberstab. Wunderbar, dachte ich. Einfach wunderbar.